Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wann bewegt sie sich?

Die Inflation in Europa erreicht fünf Prozent, die Europäisch­e Zentralban­k mit ihrer Chefin Christine Lagarde zeigt sich besorgt, lässt aber den Zins vorerst bei null. Csu-wirtschaft­spolitiker Markus Ferber kritisiert dies scharf.

- VON MICHAEL KERLER

Frankfurt am Main Lange hatte Ezbchefin Christine Lagarde betont, dass die höhere Inflation in Europa ein vorübergeh­endes Phänomen sei. Schließlic­h waren manche Preise nach dem Höhepunkt der Coronakris­e nur gestiegen, weil in China Häfen geschlosse­n hatten und durch unterbroch­ene Lieferkett­en der Nachschub nach Europa fehlte. Die Rückkehr zu den alten Mehrwertst­euersätzen in Deutschlan­d löste ebenfalls Preisschüb­e aus. Alles, so hatte es Lagarde erwartet, würde sich aber bald wieder normalisie­ren. Doch diese Wette ging nicht auf: Im Januar 2022 schoss die Inflation in Europa auf 5,1 Prozent, in Deutschlan­d liegt sie im Schnitt der letzten drei Monate ebenfalls auf diesem hohen Niveau. Selten ist deshalb die Zinsentsch­eidung des Ezb-rates mit so großer Spannung erwartet worden wie am Donnerstag. Nimmt die EZB den Kampf gegen die Inflation auf? Hebt sie die Zinsen an? Christine Lagarde hat zunächst viele Kritikerin­nen und Kritiker enttäuscht, ließ aber auch vorsichtig Raum für eine Kursänderu­ng.

Die Europäisch­e Zentralban­k hält vorerst an ihrem ultralocke­ren geldpoliti­schen Kurs fest. Der Leitzins bleibt bei null Prozent, Banken zahlen weiterhin den Negativzin­s von minus 0,5 Prozent, wenn sie Geld bei der EZB parken. Auch die Anleihekau­fprogramme, die Geld in den Markt pumpen, sollen fortgeführ­t werden.

Doch es lohnt sich auch, auf die Zwischentö­ne zu achten: Lagarde räumte ein, dass die Inflation höher ist als erwartet. Sie sei sich bewusst, dass die Inflation eine Belastung für die Menschen darstelle, vor allem für jene, die täglich Essen auf den Tisch stellen müssen, sagte sie. Im EZB-RAT mache man sich „geschlosse­n Sorgen“angesichts der hohen Inflation. Wie sich diese mitentwick­le, sei aber „unsicher“. Noch hält der EZB-RAT, bestehend aus den Notenbankv­ertretern der Euro-länder, den ultralocke­ren Kurs für richtig. Läuft die Situation aus dem Ruder, würde die EZB aber reagieren: „Der EZB-RAT ist bereit, alle seine Instrument­e gegebenenf­alls anzupassen, um sicherzust­ellen, dass sich die Inflation mittelfris­tig bei einem Zielwert von zwei Prozent stabilisie­rt.“

Zahlreiche­n Beobachter­innen und Beobachter­n erscheint die abwartende Haltung zu zahm, zu zögerlich. „Ich bin enttäuscht“, sagte Csu-europaparl­amentarier Markus Ferber unserer Redaktion. „Die Inflation galoppiert, die EZB korrigiert ihren Kurs aber weder kurzfristi­g noch langfristi­g“, sagt er. „Das Mandat der Europäisch­en Zentralban­k ist es, Geldwertst­abilität zu sichern. Bei einer Inflation von fünf Prozent kann man nicht mehr von Geldwertst­abilität sprechen“, kritisiert Ferber.

Die Inflation scheint hartnäckig­er zu sein als erwartet. Nicht nur die Energiepre­ise, auch die Kosten für Lebensmitt­el legen zu. Längst wollen andere Zentralban­ken wie in den USA die Zinsen anheben. Großbritan­nien setzte den Leitzins am Donnerstag auf 0,5 Prozent hoch. Da die EZB passiv bleibe, „holt sie sich zusätzlich­e Inflation herein“, warnt Ferber. Denn Anleger stecken angesichts höherer Zinsen in Amerika ihr Geld lieber in den Dollar, der Eurowechse­lkurs gerät unter Druck, die Preise für Importgüte­r steigen. „Die EZB muss dem Markt gerecht werden und reagieren“, fordert Ferber deshalb.

Die Zentralban­k müsste in einem ersten Schritt nicht nur die Anleihekau­fprogramme zurückfahr­en, sontelfris­tig dern auch mittel- und langfristi­g beenden, fordert Ferber. „Dafür muss ein klarerer Pfad beschriebe­n werden, als man ihn jetzt in den Beschlüsse­n hat.“In einem zweiten Schritt müsse die EZB den Negativzin­s für die Banken von minus 0,5 auf null erhöhen. In einem dritten Schritt sollte dann der Leitzins von null auf 0,25 bis 0,5 Prozent steigen. „Lagarde deutet das frühestens Ende des Jahres an“, kritisiert Ferber.

Kritiker befürchten, dass die EZB die Zinsen niedrig hält, um den hochversch­uldeten Staaten in Südeuropa entgegenzu­kommen. Der Vorwurf ist heikel, denn dies läge nicht im Mandat der EZB. „Man könnte inzwischen zu der Vermutung kommen, dass es mehr um Staatsfina­nzierung in Südeuropa geht als um Geldwertst­abilität“, sagt aber auch Ferber. Nächste Woche will Lagarde dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparl­aments Rede und Antwort stehen. Die Fragerunde könnte intensiv werden. „Lagarde hat anfangs angekündig­t, besser kommunizie­ren zu wollen. Angesichts von fünf Prozent Inflation gibt es wirklich eine Erklärungs­bedürftigk­eit“, kündigt Ferber an.

Bei den Banken kamen die Entscheidu­ngen der EZB am Donnerstag nicht gut an: „Die EZB gibt weiter Vollgas, und das, obwohl die Straße mittlerwei­le regennass ist“, sagte Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der Deka-bank. „Sie ignoriert die gegenwärti­gen hohen Inflations­raten, genauso wie die fortschrei­tende ökonomisch­e Erholung und die zunehmend angespannt­en Arbeitsmär­kte im Euroraum.“

Renommiert­e Ökonomen verteidige­n aber auch Lagarde: „Die Europäisch­e Zentralban­k behält einen kühlen Kopf und setzt ihren an Daten und Fakten orientiert­en Kurs fort“, meinte Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung. „Eine verfrühte Straffung der Geldpoliti­k würde an den hohen Energiepre­isen nichts ändern und stattdesse­n die Arbeitslos­igkeit erhöhen und die Löhne schwächen“, warnt er.

Hört man auf die Zwischentö­ne, zeichnet sich zudem eine Änderung im EZB-KURS ab: „Die EZB hat heute zwar noch nicht eine Änderung ihrer lockeren Geldpoliti­k beschlosse­n“, fasst es Commerzban­kchefvolks­wirt Jörg Krämer zusammen. „Aber sie gab doch recht klare Hinweise, dass sie vermutlich im März eine Straffung ihrer Geldpoliti­k in Gang setzen wird.“Bereits für den September könnte sie „ein Ende der Nettoanlei­hekäufe“beschließe­n. „Ferner erwarten wir nunmehr für September und Dezember eine Zinserhöhu­ng um jeweils 25 Basispunkt­e“, schreibt Krämer. Das wäre dann wirklich eine Wende.

 ?? Foto: Michael Probst, dpa ?? Im Rat der Europäisch­en Zentralban­k besteht große Sorge angesichts der hohen Inflation, sagte Christine Lagarde am Donners‰ tag. Jetzt lautet die große Frage, wann die EZB auch reagiert. Am Donnerstag tat sie es noch nicht.
Foto: Michael Probst, dpa Im Rat der Europäisch­en Zentralban­k besteht große Sorge angesichts der hohen Inflation, sagte Christine Lagarde am Donners‰ tag. Jetzt lautet die große Frage, wann die EZB auch reagiert. Am Donnerstag tat sie es noch nicht.

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