Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Afrika wird zur Müllkippe des Westens

Die Deutschen spenden immer mehr Altkleider. Doch viele Jacken, Shirts und Hosen sind von mieser Qualität.

- (Cindy Riechau, Kristin Palitza und Erich Reimann, dpa)

Tunis/accra Berge von T-shirts, Jeans und Schuhen türmen sich auf wackeligen Tischen. Mit viel Ausdauer durchstöbe­rn die Kunden an einem sonnigen Wintertag die gebrauchte­n Kleidungss­tücke auf einem zentralen Markt in Tunesiens Hauptstadt. „Die Preise sind gut“, sagt ein junger Mann aus Tunis, der regelmäßig hier auf dem sogenannte­n Fripe einkauft. Mal eine Jacke, mal ein paar T-shirts. Die meisten Sachen kosten umgerechne­t nicht mehr als drei Euro, einige sind für ein paar Cent zu haben. Manchmal gingen Sachen allerdings auch schnell kaputt, sagt der Tunesier und zeigt auf das Loch im Ärmel eines Pullovers.

Second-hand-klamotten sind in dem nordafrika­nischen Land weit verbreitet. Tunesier mit T-shirts einer deutschen Musikschul­e oder Sportverei­ns sind kein seltener Anblick. Denn in Tunesien landen auch viele gebrauchte Waren aus Deutschlan­d. Nach Un-angaben ist die Bundesrepu­blik einer der größten Exporteure von Altkleider­n.

Mehr als eine Million Tonnen gebrauchte Textilien werden in Deutschlan­d dem Bundesverb­and Sekundärro­hstoffe und Entsorgung (BVSE) zufolge jährlich für die Wiederverw­ertung gesammelt. Das sind über 15 Kilogramm pro Einwohner – mit steigender Tendenz. Auch nach Ghana werden Unmengen gebrauchte­r Textilien aus westlichen Ländern verschifft. Die Wegwerfmen­talität des Westens habe hier eine Umweltkata­strophe ausgelöst, sagt Sammy Oteng, Projektlei­ter der OR Stiftung in der Hauptstadt Accra, die sich für mehr Nachhaltig­keit in der Modeindust­rie einsetzt. Allein auf dem größten Second-hand-markt des Landes, Kantamanto, gingen wöchentlic­h 15 Millionen Kleidungss­tücke ein. „Bei einer Bevölkerun­g von 31 Millionen Menschen kann man leicht ausrechnen, dass die Hälfte aller Ghanaer ein Kleidungss­tück kaufen müsste“, erklärt Oteng. 40 Prozent aller ankommende­n Altkleider seien außerdem zu alt oder zu schäbig, um wiederverw­ertet zu werden.

Jeden Tag werden Oteng zufolge rund 70 Tonnen Textilien von Kantamanto auf eine Müllhalde am Ufer der Korle-lagune in Accra abgeladen. Von dort werde die Kleidung oft in die Lagune geweht und ins Meer gespült. „Wir sind zur Müllkippe des Westens geworden.“Der Trend zur billigen Wegwerfmod­e bereitet auch der Branche in Deutschlan­d Sorgen. Synthetik-fasern

und Materialmi­xe sind laut BSVE inzwischen dominieren­de Bestandtei­le der Modeindust­rie. Diese Stoffe ließen sich nur schwer wiederverw­erten.

Auch in Chile kommen Unmengen an Altkleider­n aus dem Westen an. Die Hügellands­chaft der dortigen Atacama-wüste wird inzwischen durch neue gigantisch­e Berge ergänzt: Kleiderhau­fen. Nahe der Stadt Alto Hospicio stapeln sich alte Hosen, T-shirts und Pullover am trockenste­n Ort der Welt. In dem südamerika­nischen Land würden rund 40 Prozent der ankommende­n Textilien aussortier­t und entsorgt, sagt der Umweltbeau­ftragte der Stadt, Edgar Ortega. Jeden Tag landeten so rund 20 Tonnen alter Klamotten in der Wüste. Auch rund die Hälfte aller Sachen aus deutschen Altkleider-containern oder kirchliche­n Sammelstel­len könne nicht weiter getragen werden, berichtet der Dachverban­d Fairwertun­g, in dem sich gemeinnütz­ige Altkleider­sammler zusammenge­schlossen haben. Die Textilien ließen sich dann nur noch zu Putzlappen oder Rohstoffen verarbeite­n – oder müssten entsorgt werden.

Nur rund fünf bis zehn Prozent der in Deutschlan­d gesammelte­n Altkleider werden laut Verbrauche­rzentrale Nordrhein-westfalen an Bedürftige hierzuland­e weitergege­ben oder in Läden als Secondhand-ware weiterverk­auft. Rund 40 Prozent der gesammelte­n Textilien werden in osteuropäi­sche und afrikanisc­he Länder verkauft. Der Export in afrikanisc­he Staaten ist schon lange umstritten, weil die Flut an Billigware die einheimisc­hen Textilprod­uzenten bedroht. Vor ein paar Jahren versuchte sich eine Gruppe ostafrikan­ischer Empfängerl­änder mit einem Importstop­p gegen die Einfuhr zu wehren. Die USA drohten daraufhin, die Länder aus dem Agoa-handelsabk­ommen zu werfen, das vielen afrikanisc­hen Staaten zollfreien Zugang zum Usmarkt gewährt. Nur Ruanda behauptete sich. Alle anderen zogen zurück.

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Foto: Cindy Riechau, dpa Tunesiens Hauptstadt ist ein Umschlag‰ platz für Altkleider.

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