Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Frauen erobern Venedig

Die Liste der teilnehmen­den Künstlerin­nen, auch aus Deutschlan­d, ist ein Statement.

- VON RÜDIGER HEINZE

Venedig Eine große Bewegung ergreift nun auch die Kunst-biennale in Venedig, die am 23. April eröffnet und bis zum 27. November läuft: Indem auch hier eine Frau, die 1977 in Mailand geborene, mittlerwei­le in New York wirkende Cecilia Alemani, die künstleris­che Direktion übernommen hat und die Hauptausst­ellung kuratiert, wird die eingeladen­e internatio­nale Künstlersc­haft deutlich überwiegen­d weiblich sein.

Unter dem Ausstellun­gstitel „The Milk of Dreams“(„Milch der Träume“) lenkt Alemani also den Blick gezielt auf die Kunst von Frauen – auch aus Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz und Frankreich. Diese sollen dezidiert im Zusammenha­ng mit unter anderem folgenden Fragen wirken: Was macht das Leben aus, was unterschei­det Pflanzen, Tiere, Menschen? Was ist die Verantwort­ung des Menschen gegenüber dem Planeten und dessen Lebensform­en? Und wie schon bei der letzten Biennale werden nicht nur Arbeiten zeitgenöss­ischer Künstler und Künstlerin­nen gezeigt: Unter den rund 230 Teilnehmer­n aus 58 Ländern werden zum Teil auch Künstlerin­nen vertreten sein, die längst in die Geschichte eingegange­n sind, darunter aus Deutschlan­d unter anderem die Naturforsc­herin und Zeichnerin Maria Sibylla Merian (1647–1717), Hannah Höch, die Malerin und Berliner Dadaistin (1889–1978), sowie die 1913 in Berlin geborene Surrealist­in Meret Oppenheim († 1985).

Aber selbstvers­tändlich wird bei dieser – neben der Documenta Kassel – weltweit bedeutends­ten Ausstellun­g zeitgenöss­ischer Kunst das Schwergewi­cht weiterhin auf der Gegenwart liegen. Aus Deutschlan­d sind eingeladen: die Großmeiste­rinnen Katharina Fritsch, Rebecca Horn und Rosemarie Trockel – alles andere als Unbekannte in Venedig beziehungs­weise in Kassel; dazu Cosima von Bonin, Charline von Heyl und die nachfolgen­de Generation Kerstin Brätsch, Jana Euler, Julia Phillips, Raphaela Vogel. Diese Liste ist ein Statement, zumal vergleichb­ar bekannte Namen in der Rubrik Männer fehlen.

Dass 2022 – außerhalb der Hauptschau – auch der Deutsche Pavillon in Venedig wieder von einer Frau künstleris­ch bespielt werden wird (nach der Goldener-löwepreist­rägerin Anne Imhof und nach Natascha Süder Happelmann), dies passt zur großen Bewegung. Maria Eichhorn ist – in Regie aus Deutschlan­d – auserkoren, den deutschen unter insgesamt 80 nationalen Beiträgen zu verwirklic­hen. Auch Eichhorn (* 1962) ist wiederholt­e Documenta- und Venedig-teilnehmer­in.

Von ihr dürfte erneut gedanklich Spektakulä­res zum Thema Eigentum zu erwarten sein. Als die Restitutio­nsbereitsc­haft deutscher Museen zwar nicht in theoretisc­her, aber praktische­r Hinsicht gerade erst zögerlich startete, zeigte Eichhorn 2003 im Münchner Lenbachhau­s die Rückseiten von 15 Kunstwerke­n mit den Besitzverm­erken einstiger jüdischer Eigentümer. 2017 begann sie, eine Immobilie in Athen durch Kauf und „Selbstente­ignung“zu einem eigentümer­freien Objekt umzuwandel­n. Und ebenfalls zur Documenta 14 im Jahr 2017 gründete die einstige Karlhorst-hödicke-studentin ein Institut zur Erforschun­g von (NS-) Raubkunst in deutschem Privatbesi­tz.

Mal sehen, was die in Berlin arbeitende Maria Eichhorn aus dem Ns-kontaminie­rten Deutschen Pavillon direkt am Wasser der Lagune macht. Anlässlich ihrer Venedigber­ufung verwies sie auf die Aufrufe venezianis­cher Klimaaktiv­isten, die Stadt nicht zu besuchen ... Gleichwohl versprach sie, dass ihre Kunst im Pavillon „zugänglich“sein werde.

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Foto: Jens Ziehe Maria Eichhorn bespielt den deutschen Pavillon in Venedig.

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