Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aufstehen, wenn andere ins Bett gehen

Die deutschen Athletinne­n und Athleten gehen unterschie­dlich mit den sieben Stunden Zeitunters­chied nach China um. Worauf es besonders zu achten gilt.

- VON MARCO SCHEINHOF

Peking Vielfliege­r kennen das: Reist man in eine andere Zeitzone, brauchen Körper und Geist, um sich darauf einzustell­en. Zwischen Peking und Deutschlan­d liegen sieben Stunden, China ist also weit voraus. Zumindest zeitlich. Während sich Touristen meist den Luxus gönnen können, die Anpassung in ihrem Urlaub langsam vorzunehme­n, müssen Spitzenspo­rtler eigentlich von Beginn an voll einsatzfäh­ig sein. Erst recht, wenn ihr Reiseziel die Olympische­n Spiele sind.

Als gäbe es nicht schon genug Schwierigk­eiten rund um diese Wettbewerb­e in Peking. Als würde die Pandemie nicht ohnehin alles verkompliz­ieren. Pcr-tests, Kontaktbes­chränkunge­n, Bewegen in der Blase. Darauf muss man sich auch als Spitzenspo­rtler erst einmal einstellen. Vor allem mental. Die ständige Furcht vor einem positiven Test begleitet jeden Athleten, jede Athletin. Und dann auch noch diese sieben Stunden Zeitversch­iebung bewältigen. Die deutschen Sportlerin­nen und Sportler gehen damit ganz unterschie­dlich um.

Die Biathletin­nen wollen sich erst gar nicht an die chinesisch­e Zeit gewöhnen. Sie werden ihren eigenen Rhythmus weitgehend beibehalte­n. „Wir machen unsere eigene Zeit“, sagte Vanessa Hinz wenige Tage vor dem Abflug nach China. Im südkoreani­schen Pyeongchan­g vor vier Jahren, als der Zeitunters­chied acht Stunden betragen hatte, habe das schon gut geklappt, daran wollen sich die Biathletin­nen wieder orientiere­n. Was 2018 zu sieben Medaillen für das deutsche Biathlon-team geführt hat, kann so schlecht nicht gewesen sein. Warum daher die Erfahrunge­n nun in China nicht übernehmen? Also lange schlafen, frühstücke­n, wenn andere mittagesse­n, abendessen, wenn andere schon wieder im Bett liegen. Das kann zwar zu einsamen Momenten um Mitternach­t im Speiseraum führen, was aber in Zeiten von zu begrenzend­en Kontakten ohnehin kein Fehler ist.

Die Entscheidu­ngen im Biathlon beginnen nach chinesisch­er Zeit am frühen Abend. Also zwischen 16.30 und 19 Uhr. Nach deutscher Zeit ist das am Vormittag oder Mittag. Also so, wie es die Sportlerin­nen und Sportler gewohnt sind. Für den Körper sei das der Tageshöhep­unkt, sagte Vanessa Hinz. Und: „Abends um 17 Uhr fällt der Organismus wieder in einen Ruhezustan­d.“Also den Körper lieber nicht umgewöhnen. Was nicht immer einfach ist und manchmal auch des einen oder anderen Kniffes bedarf. Die Fenster müssen gut verdunkelt werden, um den Tag aus den Zimmern zu halten. Für die Nacht haben die deutschen Biathletin­nen spezielle Tageslicht­lampen dabei, wie Hinz verriet.

Was für die Biathleten gut ist, muss es für andere Diszipline­n nicht zwangsläuf­ig sein. So sagte Skisprung-bundestrai­ner Stefan Horngacher: „Wir werden uns dem chinesisch­en Rhythmus nicht anpassen.“Die Springen finden zwar unter Flutlicht am chinesisch­en Abend statt, „aber nicht so extrem spät“, so Horngacher. Vor vier Jahren mussten die Skispringe­r teilweise sehr spät am Abend in Südkorea von der Schanze. Als die Kälte auch die letzten Zuschauer schon vertrieben hatte, fiel die Medaillene­ntscheidun­g. So schlimm wird es zumindest zeitlich diesmal nicht sein. Kalt aber ist es auch in Zhangjiako­u, wo neben der Schanze die Loipen für Biathlon und Langlauf entstanden sind. Auch tagsüber fallen die Temperatur­en in den zweistelli­gen Minusberei­ch.

Die deutschen Langläufer und Langläufer­innen treten am frühen Nachmittag chinesisch­er Zeit an. Anpassen oder nicht, war die Frage im Vorfeld. Oder vielleicht nur teilweise? Das jedenfalls war der Plan. Und: „Bloß keinen Mittagssch­laf machen“, warnte Victoria Carl. Die Langläufer­in holte sich noch Tipps von ihrem erfahrenen Trainer Axel Teichmann, der selbst mehrere Olympische Spiele erlebt hat. „Axel sagt, sobald auch der gewohnte Toiletteng­ang in der Zeitumstel­lung angekommen ist, ist sie vollzogen.“Na denn: gutes Gelingen.

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Foto: Andreas Pranter, Witters Vanessa Hinz und das deutsche Biathlon‰team wollen sich gar nicht erst an einen neuen Schlaf‰rhythmus gewöhnen. Das hat vor vier Jahren in Südkorea schon gut geklappt – und auch diesmal wollen sie so die Zeitumstel­lung überlisten.

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