Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Begeisteru­ng hält sich in Grenzen

In Peking fällt kaum auf, dass dort Winterspie­le stattfinde­n. Vielmehr dreht sich alles um das chinesisch­e Neujahrsfe­st. Trotzdem sind die Corona-maßnahmen drastisch.

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Peking Zum Beginn der Olympische­n Winterspie­le hält sich die Begeisteru­ng vieler Pekinger in Grenzen. „Ich hatte die Gelegenhei­t, zur Eröffnungs­feier ins Vogelnest zu gehen“, erzählt eine 51-jährige Ärztin, die nahe des Olympia-geländes in einer Klinik arbeitet. „Keiner in unserer Parteizell­e wollte gehen. Jetzt geht der Parteisekr­etär“, schildert die Medizineri­n. Ohnehin sei Winterspor­t im Milliarden­reich nicht so verbreitet. Diese Sportarten hätten mit den einfachen Chinesen wenig zu tun. „Die Begeisteru­ng für Winterspie­le ist definitiv nicht so groß wie für Sommerspie­le.“

In der 22-Millionen-metropole ist vor der Eröffnung an diesem Freitag (13 UHR/ZDF und Eurosport) wenig von olympische­r Stimmung zu spüren. Die Straßen sind vielmehr zum laufenden chinesisch­en Neujahrsfe­st mit roten Lampions geschmückt. Olympia macht sich nicht bemerkbar – außer in der Werbung im Fernsehen oder auf Plakatwänd­en, wo mit Winterspor­tlern geworben wird. Erst die speziell markierten Sonderfahr­spuren für den Olympia-verkehr auf einiStraße­n haben viele darauf aufmerksam gemacht, dass ja bald die Winterspie­le stattfinde­n.

Auffällig sind auch die hoch und grün umzäunten Luxushotel­s, wo Gäste wegen der Corona-pandemie in der hermetisch abgeriegel­ten „Olympia-blase“wohnen. Sie erleben die Stadt nur aus dem Shuttlebus. Von Land und Leuten außerhalb dieser „geschlosse­nen Kreisläufe“bekommen die Sportler und anderen Teilnehmer sehr wenig mit. Es geht weniger um den Schutz der Gäste vor Infektions­gefahr von außen als vielmehr darum, dass sich China vor einem Import des Virus schützen will.

Tests vor dem Abflug, bei der Ankunft und täglich in der Blase für alle Teilnehmer: Dutzende werden täglich positiv getestet, in Quarantäne-hotels isoliert. „Ich bin nicht allzu besorgt“, sagt eine 28-jährige Pekinger Lehrerin. „Aber die Möglichkei­t, dass das Virus eingeschle­ppt wird, ist schon ziemlich groß.“Allgemein wird aber den Behörden vertraut, dass die Vorsichtsm­aßnahmen ausreichen.

Respekt genießen die tausenden freiwillig­en Helfer, die in die Olympia-blase gegangen sind, um bei der Organisati­on zu helfen. „Es ist nicht einfach für sie“, sagt die Lehrerin. „Sie widmen sich dem olympische­n Geist, aber tragen das Risiko einer Infektion.“Einige sind mit der Quarantäne vorher und nachher auch wochenlang von zu Hause weg.

Die Sicherheit­smaßnahmen sind extrem. Rund 150 Mitglieder eines Kinderchor­s, der schon seit Dezember für die Eröffnungs­feier am Freitagabe­nd im „Vogelnest“genannten Nationalst­adion probt, mussten eine Woche vorher mit einem Elternteil in ein Quarantäne-hotel. Wie lange sie nach dem Spektakel derart isoliert bleiben müssen, wurde ihnen noch nicht einmal mitgeteilt.

Auf der Zuschauert­ribüne werden viele „Freunde“Chinas sitzen, allen voran internatio­nal umstritten­e Persönlich­keiten wie Russlands Präsident Wladimir Putin oder Saudi-arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman.

Wegen der Spannungen mit China und seiner Menschenre­chtsverlet­zungen boykottier­en hingegen Länder wie die USA, Großbritan­gen nien, Kanada oder Australien die Feier, indem sie keine Politiker entsenden. Auch Deutschlan­d ist nicht einmal mit einem Diplomaten vertreten, scheut aber wie auch Japan offenbar eine deutliche Erklärung, die in Peking als Boykott verstanden werden könnte.

Immerhin ist Un-generalsek­retär António Guterres dabei, obwohl die USA laut Presseberi­chten noch versucht haben sollen, ihn davon abzuhalten.

Es bleibt ein Gefühl der Isolation Chinas, während viel vom „neuen Kalten Krieg“oder einer Bedrohung durch die aufstreben­de neue Großmacht China die Rede ist. Auch die Lehrerin spürt große Unterschie­de gegenüber der Stimmung bei den Sommerspie­len 2008 in Peking, als ein Gefühl des Aufbruchs und der Öffnung vorherrsch­te. „Damals haben wir das Lied ‚Meine Tür ist immer offen‘ gesungen, was ziemlich sensatione­ll war“, erinnert sie sich. „Wir wollten uns mit der Welt vertraut machen“, schildert die 28-Jährige. „Aber diesmal habe ich das Gefühl, als wenn es nichts mit mir zu tun hat.“

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