Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Pfarrer schämen sich für ihre Kirche
Nicht allein Gläubige verlieren nach dem Missbrauchsgutachten das Vertrauen in die Kirche. Auch Priester kämpfen mit der Situation. Aber eine Hoffnung bleibt.
„Bezüglich der Situation unserer Kirche bin ich ratlos. Ich danke allen, die noch zu den Gottesdiensten kommen. Ich verspreche Ihnen, so lange Sie noch kommen, werde ich auch noch kommen.“Mit diesen Worten verabschiedete sich vergangenen Sonntag Pfarrer Manfred Bauer von den Gottesdienstbesuchern in der Gemeinde Heilig Geist in Hochzoll.
Wie ihm geht es auch anderen Kollegen in Augsburg. „Ich empfinde eine Mischung aus Scham und Ohnmacht“, beschreibt Pfarrer Bernd Weidner seine Gefühle. Er leitet die Pfarreiengemeinschaft St. Konrad (Bärenkeller), St. Joseph, St. Martin und St. Peter und Paul (alle Oberhausen) mit 11.000 Katholikinnen und Katholiken. Die Ergebnisse des Missbrauchsgutachtens hätten ihn wenig überrascht, sagt er offen. Viel schlimmer sei für ihn die Reaktion darauf. Seit 26 Jahren sei er im Dienst der Kirche, er habe viele schöne Momente erlebt. „Aber in all der Zeit musste ich auch immer wieder Verfehlungen rechtfertigen, entschuldigen und erklären. Damit muss ein für alle Mal Schluss sein. Es muss endlich etwas passieren“, sagt Weidner. Auch Pfarrer Helmut Haug von St. Moritz und Leiter der Cityseelsorge erschüttert der Umgang mit dem Missbrauchsgutachten: „Kirche ist nicht der einzige Ort, an dem es solche Verfehlungen gibt. Aber die Kirche gibt sich selbst einen hohen moralischen Anspruch und hat dann so versagt, das regt mich richtig auf!“Auch dass Wahrheiten nur scheibchenweise ans Licht kommen, ist für Haug fast unerträglich. „Wie lange müssen wir das noch mitmachen?“Für immer mehr Priester wird die Situation offenbar zur Belastung. „Ich werde hier mit in die Verantwortung genommen, obwohl ich für diese Taten und die Art der Aufarbeitung nichts kann“, sagt Pfarrer Weidner. Sein Handlungsspielraum vor Ort sei beschränkt. „Ich habe dazu gepredigt und suche das Gespräch mit den Menschen. Das ändert aber leider zunächst nichts. Immerhin können wir so ausdrücken, was wir empfinden.“
Die aktuellen Debatten um das Missbrauchsgutachten hätte der Kirche noch einmal einen deutlichen Stoß versetzt und bei vielen Pfarrern, aber vor allem auch Gläubigen zu enttäuschter Resignation geführt, beschreibt Weidner seine Eindrücke. Manche Gemeindemitglieder haben der Kirche den Rücken zugewandt und sind ausgetreten. Im Januar haben 190 Augsburgerinnen und Augsburger beim Standesamt die entsprechenden Formulare unterschrieben, bis Mitte Februar sind Termine für Kirchenaustritte ausgebucht. Nicht alle haben den Termin auf Basis des Missbrauchsgutachtens gemacht, aber die Zahlen sprechen dennoch eine deutliche Sprache. Immer öfter erleben die beiden Geistlichen auch, dass Menschen sich gegen die Institution Kirche wenden, aber in ihrer Gemeinde verwurzelt bleiben wollen. Pfarrer Bernd Weidner hat unter seinen Ministranten einen Austritt aus der Kirche zu verbuchen, ihrem Dienst in der Gemeinde bleibt die Person aber treu. Für den Pfarrer ist das in Ordnung. Er selbst erlebe schließlich täglich, wie schwierig es derzeit ist, den Spagat zwischen Amtskirche auf der einen sowie Gemeinde und eigenem Glauben auf der anderen Seite zu schaffen.
Die aktuelle Lage spalte – mit gravierenden Folgen auch für die Ehrenamtlichen im Dienst der Kirche, schildert Helmut Haug. „Sie stehen mitten in der Gesellschaft und können sich nicht, wie vielleicht Pfarrer oder Bischöfe, in eine Blase zurückziehen. Sie stehen daher unter einem steigenden Rechtfertigungsdruck für ihre Arbeit. Dabei sind diese Menschen vor Ort mit das wichtigste Kapital der Kirche, viel wichtiger als Geld. Wenn wir diese Menschen verlieren, wäre das fatal.“Schließlich sei Kirche mehr als nur Gottesdienst.
Und was ist nun die Lösung? „Die Kirche muss unter anderem überlegen, wie sie mit Leitung, Macht und Kontrolle von Macht umgeht“, sagt Haug und ist hier mit Weidner auf einer Linie. Ein Umdenken müsse aus dessen Sicht auch nicht aus Rom kommen, hier könne man schon in der Diözese anfangen, indem man beispielsweise Gremien anders besetzt – auch mit Laien und Frauen. Die Forderung nach einem radikalen Personalwechsel in der Kirche kommentiert Haug so: „In einem Unternehmen würde dies nach diesem Gutachten genau so kommen.
Aber wir können gar nicht so einfach Führungskräfte austauschen. Wir haben nämlich nicht mehr Personal in Hülle und Fülle.“Aktuell sind laut Weidner in der Diözese Augsburg noch gut 550 Pfarrer aktiv. In zehn Jahren werden es noch 250 sein. „Kirche wird weiter schrumpfen“, ist sich Bernd Weidner sicher. Dennoch hegen er und sein Kollege Helmut Haug Hoffnung. „Ich glaube an die Erneuerungskraft der Kirche. Wir sind nicht nur eine Einrichtung, sondern haben eine Botschaft, die den Kern des Lebens trifft“, erklärt Pfarrer Haug. Dazu kämen Aufgaben wie die Seelsorge oder das Spenden von Sakramenten, was den Menschen weiter wichtig bleiben werde. Der bereits eingeschlagene Synodale Weg sei zudem ein Schritt in die richtige Richtung und befasse sich bereits mit den Kernthemen des Wandels. Auch wenn dies eine Mammutaufgabe sei. Auch Pfarrer Weidner glaubt an den Erhalt der Kirche und würde trotz aller Umstände wieder den gleichen beruflichen Weg gehen: „All das trifft nicht den Kern meines Glaubens an Jesu und meine Berufung. Das kann mir keiner nehmen. Auch kein Missbrauchsgutachten.“