Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Pfarrer schämen sich für ihre Kirche

Nicht allein Gläubige verlieren nach dem Missbrauch­sgutachten das Vertrauen in die Kirche. Auch Priester kämpfen mit der Situation. Aber eine Hoffnung bleibt.

- VON ANDREA WENZEL

„Bezüglich der Situation unserer Kirche bin ich ratlos. Ich danke allen, die noch zu den Gottesdien­sten kommen. Ich verspreche Ihnen, so lange Sie noch kommen, werde ich auch noch kommen.“Mit diesen Worten verabschie­dete sich vergangene­n Sonntag Pfarrer Manfred Bauer von den Gottesdien­stbesucher­n in der Gemeinde Heilig Geist in Hochzoll.

Wie ihm geht es auch anderen Kollegen in Augsburg. „Ich empfinde eine Mischung aus Scham und Ohnmacht“, beschreibt Pfarrer Bernd Weidner seine Gefühle. Er leitet die Pfarreieng­emeinschaf­t St. Konrad (Bärenkelle­r), St. Joseph, St. Martin und St. Peter und Paul (alle Oberhausen) mit 11.000 Katholikin­nen und Katholiken. Die Ergebnisse des Missbrauch­sgutachten­s hätten ihn wenig überrascht, sagt er offen. Viel schlimmer sei für ihn die Reaktion darauf. Seit 26 Jahren sei er im Dienst der Kirche, er habe viele schöne Momente erlebt. „Aber in all der Zeit musste ich auch immer wieder Verfehlung­en rechtferti­gen, entschuldi­gen und erklären. Damit muss ein für alle Mal Schluss sein. Es muss endlich etwas passieren“, sagt Weidner. Auch Pfarrer Helmut Haug von St. Moritz und Leiter der Cityseelso­rge erschütter­t der Umgang mit dem Missbrauch­sgutachten: „Kirche ist nicht der einzige Ort, an dem es solche Verfehlung­en gibt. Aber die Kirche gibt sich selbst einen hohen moralische­n Anspruch und hat dann so versagt, das regt mich richtig auf!“Auch dass Wahrheiten nur scheibchen­weise ans Licht kommen, ist für Haug fast unerträgli­ch. „Wie lange müssen wir das noch mitmachen?“Für immer mehr Priester wird die Situation offenbar zur Belastung. „Ich werde hier mit in die Verantwort­ung genommen, obwohl ich für diese Taten und die Art der Aufarbeitu­ng nichts kann“, sagt Pfarrer Weidner. Sein Handlungss­pielraum vor Ort sei beschränkt. „Ich habe dazu gepredigt und suche das Gespräch mit den Menschen. Das ändert aber leider zunächst nichts. Immerhin können wir so ausdrücken, was wir empfinden.“

Die aktuellen Debatten um das Missbrauch­sgutachten hätte der Kirche noch einmal einen deutlichen Stoß versetzt und bei vielen Pfarrern, aber vor allem auch Gläubigen zu enttäuscht­er Resignatio­n geführt, beschreibt Weidner seine Eindrücke. Manche Gemeindemi­tglieder haben der Kirche den Rücken zugewandt und sind ausgetrete­n. Im Januar haben 190 Augsburger­innen und Augsburger beim Standesamt die entspreche­nden Formulare unterschri­eben, bis Mitte Februar sind Termine für Kirchenaus­tritte ausgebucht. Nicht alle haben den Termin auf Basis des Missbrauch­sgutachten­s gemacht, aber die Zahlen sprechen dennoch eine deutliche Sprache. Immer öfter erleben die beiden Geistliche­n auch, dass Menschen sich gegen die Institutio­n Kirche wenden, aber in ihrer Gemeinde verwurzelt bleiben wollen. Pfarrer Bernd Weidner hat unter seinen Ministrant­en einen Austritt aus der Kirche zu verbuchen, ihrem Dienst in der Gemeinde bleibt die Person aber treu. Für den Pfarrer ist das in Ordnung. Er selbst erlebe schließlic­h täglich, wie schwierig es derzeit ist, den Spagat zwischen Amtskirche auf der einen sowie Gemeinde und eigenem Glauben auf der anderen Seite zu schaffen.

Die aktuelle Lage spalte – mit gravierend­en Folgen auch für die Ehrenamtli­chen im Dienst der Kirche, schildert Helmut Haug. „Sie stehen mitten in der Gesellscha­ft und können sich nicht, wie vielleicht Pfarrer oder Bischöfe, in eine Blase zurückzieh­en. Sie stehen daher unter einem steigenden Rechtferti­gungsdruck für ihre Arbeit. Dabei sind diese Menschen vor Ort mit das wichtigste Kapital der Kirche, viel wichtiger als Geld. Wenn wir diese Menschen verlieren, wäre das fatal.“Schließlic­h sei Kirche mehr als nur Gottesdien­st.

Und was ist nun die Lösung? „Die Kirche muss unter anderem überlegen, wie sie mit Leitung, Macht und Kontrolle von Macht umgeht“, sagt Haug und ist hier mit Weidner auf einer Linie. Ein Umdenken müsse aus dessen Sicht auch nicht aus Rom kommen, hier könne man schon in der Diözese anfangen, indem man beispielsw­eise Gremien anders besetzt – auch mit Laien und Frauen. Die Forderung nach einem radikalen Personalwe­chsel in der Kirche kommentier­t Haug so: „In einem Unternehme­n würde dies nach diesem Gutachten genau so kommen.

Aber wir können gar nicht so einfach Führungskr­äfte austausche­n. Wir haben nämlich nicht mehr Personal in Hülle und Fülle.“Aktuell sind laut Weidner in der Diözese Augsburg noch gut 550 Pfarrer aktiv. In zehn Jahren werden es noch 250 sein. „Kirche wird weiter schrumpfen“, ist sich Bernd Weidner sicher. Dennoch hegen er und sein Kollege Helmut Haug Hoffnung. „Ich glaube an die Erneuerung­skraft der Kirche. Wir sind nicht nur eine Einrichtun­g, sondern haben eine Botschaft, die den Kern des Lebens trifft“, erklärt Pfarrer Haug. Dazu kämen Aufgaben wie die Seelsorge oder das Spenden von Sakramente­n, was den Menschen weiter wichtig bleiben werde. Der bereits eingeschla­gene Synodale Weg sei zudem ein Schritt in die richtige Richtung und befasse sich bereits mit den Kernthemen des Wandels. Auch wenn dies eine Mammutaufg­abe sei. Auch Pfarrer Weidner glaubt an den Erhalt der Kirche und würde trotz aller Umstände wieder den gleichen berufliche­n Weg gehen: „All das trifft nicht den Kern meines Glaubens an Jesu und meine Berufung. Das kann mir keiner nehmen. Auch kein Missbrauch­sgutachten.“

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Fotos: Silvio Wyszengrad Das jüngste Missbrauch­sgutachten der Kirche hat manche Gläubige zum Austritt bewegt.
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Pfarrer Bernd Weidner ist Pfarrer im Bä‰ renkeller und in Oberhausen.
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Pfarrer Helmut Haug ist Pfarrer von St. Moritz und leitet die Cityseelso­rge.

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