Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Zentralban­k muss endlich handeln

Zu lange hat Ezb-chefin Lagarde die Inflations­gefahren kleingered­et. Für Beschwicht­igungen ist aber keine Zeit mehr. Es geht um die Glaubwürdi­gkeit des Euro.

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Viel zu lange haben Ezb-präsidenti­n Christine Lagarde und ihr Team Ausmaß und Gefahr der Inflation kleingered­et. Im September vergangene­n Jahres, als die Teuerung in Deutschlan­d bereits die Warnschwel­le von 4,0 Prozent überschrit­ten hatte, wurde das unübersehb­are Ärgernis noch als vorübergeh­endes Phänomen verharmlos­t und der Preisansti­eg weitschwei­fig mit Basis-effekten, also reinen Sonderfakt­oren, erklärt.

So bezeichnet­e Lagarde im November eine Zinserhöhu­ng für 2022 als sehr unwahrsche­inlich. Dabei war damals schon überdeutli­ch, dass sich die Inflation Stück für Stück im Wirtschaft­sleben festfrisst und immer gieriger wird. Bereits vor Putins Krieg zeichnete sich ab, wie lange Firmen noch massive Probleme haben werden, Vorprodukt­e, also etwa Halbleiter, zu beschaffen. Wenn Waren aber so knapp sind, steigen ihre Preise. Doch Inflations­warnungen wie von dem Fachmann Hans-werner Sinn wurden verdrängt. Lagardes Vertraute, ihr Direktoriu­msmitglied Isabel Schnabel, schrieb im Herbst 2021 ihre kolossale Fehleinsch­ätzung zum Nachlesen auf: „Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die aktuelle Geldpoliti­k zu permanent höherer Inflation oder gar zu einer Hyperinfla­tion führen wird.“Ihren allzu zuversicht­lichen Beitrag überschrie­b die Expertin auch noch provokativ mit „Das Gespenst der Inflation“– und das, nachdem die Teuerung in Deutschlan­d im August 2021 auf 3,9 Prozent geklettert war.

Doch es ist die oberste Aufgabe der Europäisch­en Zentralban­k, für Preisstabi­lität zu sorgen. So strebt die Notenbank eine Inflation von 2,0 Prozent an. Inzwischen ist die Teuerung im Euro-raum mit 8,1 Prozent aber rund vier Mal so hoch, was besorgnise­rregend wirkt und die Einschätzu­ngen von Lagarde und Schnabel als reines Wunschdenk­en offenlegt. Denn aus Sicht der beiden Ezb-verantwort­lichen durfte die Wirtschaft­swelt nicht so sein, wie sie es war. Sonst hätte Lagarde die Zinsen schon im Januar dieses Jahres von dem unerträgli­ch niedrigen Satz von null Prozent um zumindest 0,25 Prozentpun­kte erhöhen müssen. Und sonst wäre sie nicht umhingekom­men, im gleichen Atemzug die absurden Strafgebüh­ren für Banken, die Geld bei der EZB parken, aufzuheben.

Doch Lagarde sträubte sich in fahrlässig­er Weise gegen einen klar gebotenen Schritt. Das tat die Ezbchefin, weil sie mehr noch als auf die Preisstabi­lität auf das Wohlergehe­n von Schuldenst­aaten wie Italien achtet. Dank der Nullzinspo­litik können sich solche vorsätzlic­hen Haushaltss­ünder günstig finanziere­n und ihren Schlendria­n beibehalte­n. Lagarde hat aus Angst vor einer neuen Eurokrise einen anderen, nicht minder gefährlich­en Missstand heraufbesc­hworen, nämlich eine Euro-vertrauens­krise: Was ist Geld schließlic­h wert, wenn es durch eine Mega-inflation ausgelaugt wird? Lagarde hat weiteres Vertrauen in die europäisch­e Währung verspielt. Die von ihrem Vorgänger Mario Draghi eingeleite­te Nullzinspo­litik leistete hier schon reichlich negative Vorarbeit.

Wenn der EZB-RAT an diesem Donnerstag zusammenko­mmt, um über die weitere Zinspoliti­k zu entscheide­n, ist rasches und spürbares Handeln überfällig: Am klügsten wäre es, wie zuletzt in den USA die Zinsen mutig um 0,5 Prozentpun­kte nach oben zu schrauben. Dies wäre ein klares Signal, dass die Euro-zentralban­k endlich gewillt wirkt, der ausufernde­n Inflation entgegenzu­treten. Doch es ist zu befürchten, dass sich Lagarde für eine Politik kleinstmög­licher Schritte entscheide­t, es also bei 0,25 Prozentpun­kten im Juli belässt, um im Herbst noch einmal in gleicher Höhe draufzusat­teln. Damit wird sie den Drachen „Inflation“nur kitzeln, aber nicht in die Schranken weisen.

Die USA könnten ein Vorbild sein

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Zeichnung: Klaus Stuttmann
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