Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich werde mich nicht entschuldi­gen“

Seit einem halben Jahr ist Angela Merkel Politik-rentnerin. Bei ihrem ersten großen öffentlich­en Auftritt sind Russland und die Ukraine das dominieren­de Thema. Eigene Fehler will sie nicht erkennen.

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Als sie in dem schlichten schwarzen Sessel auf der Bühne des Berliner Ensembles Platz nimmt an diesem Abend, schüttelt er gerade die Hände von Bundeswehr­soldaten in Litauen. Die Männer und Frauen im Tarnfleck sind Teil einer Natoeinsat­ztruppe, die an der Ostflanke des Verteidigu­ngsbündnis­ses stationier­t ist. Näher als an diesem Tag war Kanzler Olaf Scholz dem Krieg nie. Hier, im Baltikum, haben sie schon lange geahnt, wozu Wladimir Putin fähig ist, welche Gefahren seine revanchist­ischen Philosophi­en für Europa bergen. Gehört wurden sie nur selten, ihre Sorgen mit Beschwicht­igungen beiseitege­wischt.

Doch seit dem 24. Februar ist vieles anders. Der russische Präsident Wladimir Putin ist in die Ukraine einmarschi­ert und Deutschlan­ds Ostpolitik liegt in Trümmern. Eine Politik, die Angela Merkel zu verantwort­en hat. 16 lange Jahre war ihr Platz im Kanzleramt. Seit sie es verlassen hat, war wenig von ihr zu hören. Keine Antwort auf die Frage, ob sie im Rückblick zu naiv war, ob sie Fehler einsieht, was sie anders machen würde. Sie wolle die Dinge nicht von der Seitenlini­e kommentier­en, lautete die Begründung für ihr dröhnendes Schweigen. Nun also spricht sie.

Aufgeräumt wirkt Merkel, im Reinen mit sich und ihrer Politik. Es ist ihr erster großer öffentlich­er Auftritt, am Mittwoch sind es auf den Tag genau sechs Monate, dass sie ihr Amt an Scholz übergeben hat. Die Polit-rentnerin trägt ihren typischen Merkel-blazer, blau ist er diesmal, um den Hals eine Kette aus braunen Steinen, wie man sie schon häufig an ihr gesehen hat.

Merkel gegenüber sitzt Alexander Osang, Schriftste­ller und Journalist und Autor mehrerer Kanzlerinn­en-porträts. Ihm gewährt sie an diesem Abend kleine Einblicke in ihr Seelenlebe­n, unterhält mit Anekdoten, gibt sich mal nachdenkli­ch, mal amüsiert. Nur einen Gefallen tut sie der Öffentlich­keit nicht: Reue. Ihren Politik-ansatz oder gar sich selbst infrage zu stellen, das macht sie noch nicht einmal aus der Rückschau. „Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und ich werde mich deshalb auch nicht entschuldi­gen“, sagt die 67-Jährige. Sie sei „nicht blauäugig oder so“gewesen, sondern habe stets vor Putin gewarnt. Und so nimmt sie für sich in Anspruch, aus dem Wissen ihrer Zeit heraus gehandelt zu haben, betont, dass die Lehre aus den vergangene­n Jahren nicht allein mit Blick auf den 24. Februar 2022 gezogen werden könne.

Die frühere Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat ihre Russland‰politik in den 16 Jahren als Regierungs­chefin vehement ver‰ teidigt. Sie sei nicht „blauäugig“im Umgang mit Russland gewesen.

Sie habe immer daran geglaubt, dass Deutschlan­d und Russland miteinande­r leben und arbeiten müssten. „Es ist eine große Tragik, dass es nicht gelungen ist“, sagt Merkel. „Aber ich mache mir keine Vorwürfe, es nicht genug versucht zu haben.“Sie habe sich in ihrer gesamten Amtszeit mit den Folgen des Zerfalls der Sowjetunio­n beschäftig­t. Doch zumindest eines muss die Altkanzler­in an diesem Punkt eingestehe­n: Putins selbst empfundene Feindschaf­t gegenüber dem Westen war lange bekannt. Natürlich stelle sie sich die Frage, ob sie etwas versäumt habe, ob sie den Krieg hätte verhindern können. „Dieser Überfall auf die Ukraine findet keine Rechtferti­gung“, sagt sie. Allerdings war aus Sicht der Polit-rentnerin vieles, was heute so klar wirkt und sich als gerade Linie der Geschichte abzuzeichn­en scheint, eben zum Zeitpunkt der politische­n Entscheidu­ngen weitaus weniger eindeutig.

Darunter fällt etwa die Debatte über einen Nato-beitritt der Ukraine. „Die Ukraine war damals nicht

die wir heute kennen“, sagt sie. Die Ukraine sei kein demokratis­ch gefestigte­s Land gewesen, sondern von Oligarchen beherrscht. Hinzu sei gekommen, dass die Welt schon damals befürchten musste, dass Putin diesen Schritt als Kriegserkl­ärung sehen würde. „Ich wusste, wie er dachte“, sagt Merkel.

Tatsächlic­h hatte die Altkanzler­in stets ein besonderes, aber auch ambivalent­es Verhältnis zum russischen Präsidente­n. Sie war es, die mit ihren Regierunge­n die deutsche Abhängigke­it von russischen Energielie­ferungen vorantrieb, die ihre Hoffnung in die wirtschaft­liche Zusammenar­beit setzte und Putin immer wieder diplomatis­che Türen öffnete.

Es war eine der Grundannah­men deutscher Politik in den vergangene­n Jahrzehnte­n, zu glauben, das autoritäre Russland würde sich in ein demokratis­ches verwandeln, wenn nur die politische­n und wirtschaft­lichen Bande eng genug gewebt würden. Die Gas-pipeline Nord Stream 2 wurde auch dann noch weitergepl­ant und -gebaut, als

sich Putin längst die Krim einverleib­t hatte. Zugleich heißt es, gerade Merkel habe in Putin immer einen eiskalten Taktiker der Macht gesehen, der vor Lügen nicht zurückschr­ecke.

Diesen Aspekt herauszust­ellen ist ihr heute besonders wichtig. Putin, so erzählt sie, habe ihr einmal gesagt, dass der Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n für ihn das schlimmste Ereignis des 20. Jahrhunder­ts sei. Für sie selbst hingegen sei dies ein Glücksfall gewesen. Der Krieg in der Ukraine habe ihr deshalb auch noch einmal vor Augen geführt, wie wenig selbstvers­tändlich der friedliche Umsturz in der DDR gewesen sei. „Wir haben einen sehr guten Moment der Geschichte abgepasst“, sagt sie. „Danach hat sich die Weltlage verdüstert.“Es sei nicht gelungen, eine Sicherheit­sarchitekt­ur zu schaffen, die den Krieg verhindert hätte, sagte Merkel. Es sei nicht gelungen, den Kalten Krieg zu beenden.

Einen Rat hat sie dann doch noch parat für ihren Nachfolger Olaf Scholz. Deutschlan­d solle auf militädie, rische Abschrecku­ng gegenüber Russland setzen. „Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht“, sagt die Altkanzler­in.

Formate wie das im Berliner Ensemble sind eigentlich so gar nicht Merkels Fall. Fragen auf offener Bühne, die sie womöglich in die Bredouille bringen können, kontert sie normalerwe­ise mit sperrigen Schachtels­ätzen, die am Ende ohne inhaltlich­e Aussage ins grammatika­lische Nirwana abgleiten. Schon während ihrer Amtszeit waren Interviews mit Merkel ein Ereignis – weil sie so selten waren. Die disziplini­erte Politikeri­n ließ in solchen Momenten meist ohnehin nur sparsam tiefere Einblicke in ihr Denken und Fühlen zu – lieber behielt sie die Situation eng unter Kontrolle. Doch ihr Rentner-dasein hat sie entspannte­r gemacht. Hinzu kommt, dass ihr mit Osang ein Interviewe­r gegenübers­itzt, der ihr erkennbar gewogen ist, der gar nicht erst versucht, sie mit kritischen Fragen in die Enge zu treiben.

„Mir persönlich geht es gut“, erzählt sie ihm. Sie bewege sich endlich mehr, lese auch einmal längere Bücher, sei nach ihrem Auszug aus dem Kanzleramt erst einmal für fünf Wochen allein an die Ostsee gefahren. „Ich habe mir das Feld des Hörbuchs erarbeitet“, sagt sie einen ihrer typischen Merkel-sätze. Lange Spaziergän­ge am Meer habe sie unternomme­n, Kapuze über den Kopf, dann sei sie auch nicht von anderen Urlaubern angesproch­en worden.

„Ich komme mit diesem neuen Lebensabsc­hnitt sehr gut zurecht“, sagt sie. Ob sie dem Auftritt im Berliner Ensemble weiter folgen werde? Merkel wird ihre Einwürfe von der Seitenlini­e wohl auch künftig wohl dosieren. Nichts widerstreb­t ihr mehr als die Rolle der Besserwiss­erin von der bequemen Warte des Rentnerinn­en-sessels aus. An einem Buch will sie schreiben, das aktuelle Tagesgesch­ehen kommentier­en wird sie kaum.

„Ich bin Bundeskanz­lerin a. D.“, sagt sie. Sie sei keine „ganz normale Bürgerin“. Sie müsse noch vorsichtig­er sein, zu aktuellen Dingen etwas zu sagen. Das müsse die aktuelle Bundesregi­erung übernehmen, zu der sie großes Vertrauen habe. Doch das ist längst nicht der einzige Grund für ihre Zurückhalt­ung. Merkel weiß, dass gerade ihre Anhänger sie schätzen für diese Art der Kommunikat­ion. „Jetzt heißt es, die Merkel macht nur noch Wohlfühlte­rmine. Dazu sage ich: Ja“, erklärt sie. Das heiße nicht, dass sie sich vor Diskussion­en drücken wolle. Doch von Termin zu Termin hetzen, diese Zeit ist für Angela Merkel vorbei.

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Foto: Fabian Sommer, dpa

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