Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Lawrows Lavieren

Statt die Getreidekr­ise zu lösen, gibt es nur Schuldzuwe­isungen.

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Johannesbu­rg Die Propaganda-gelegenhei­t ließ Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow nicht ungenutzt. Der Politiker war am Mittwoch in die Türkei gereist, wo er über einen Getreideko­rridor im Schwarzen Meer verhandelt­e. Die Vereinten Nationen wollen in Istanbul eine Einsatzzen­trale einrichten, in der künftig die Verteilung von Getreide aus der Ukraine koordinier­t werden soll. Rund 22 Millionen Tonnen Weizen hängen derzeit wegen der russischen Seeblockad­e in ukrainisch­en Silos fest.

Doch Lawrow hat einen anderen Übeltäter ausgemacht: Tatsächlic­h seien ukrainisch­e Seeminen für die Situation verantwort­lich. Und überhaupt, das Ausbleiben ukrainisch­er Getreideex­porte habe keine Auswirkung­en auf mögliche Lebensmitt­elkrisen. „Von unserer Seite gab es nie irgendwelc­he Hinderniss­e, um dieses Problem – in Wirklichke­it ein Problemche­n, es ist klein – zu lösen“, schwadroni­erte der Politiker.

Dabei war die Ukraine mit einem Weltmarkta­nteil von knapp zehn Prozent bis zu Beginn der russischen Invasion einer der größten Getreideex­porteure. Russland, der mit Abstand größte Hersteller, hat zudem seine Exportsteu­er für Weizen deutlich erhöht und die Ausfuhr von Düngemitte­l beschränkt.

Betroffen ist vor allem Afrika, das über 40 Prozent seines Weizens aus Russland und der Ukraine bezog. Nach Angaben der Afrikanisc­hen Entwicklun­gsbank sind die Preise seit Beginn des Krieges um 45 Prozent gestiegen. Die Folgen sind dramatisch. Der Tschad hat vor einigen Tagen den nationalen Notstand ausgerufen, weil über ein Drittel der Bevölkerun­g auf Nahrungsmi­ttelhilfe angewiesen ist.

Das ist kein Einzelfall. Der Krieg in der Ukraine hat die Fragilität der Nahrungsmi­ttelversor­gung in vielen Gegenden Afrikas offenbart, die ohnehin von Klimawande­l und weiterhin rasantem Bevölkerun­gswachstum (2,5 Prozent jährlich) erschwert wird. Und er zeigt auch, dass Afrika seine Ziele für die Entwicklun­g der eigenen Landwirtsc­haft verfehlt hat. Der lange angestrebt­e Abbau der Abhängigke­it von Lebensmitt­elimporten ist nicht wie geplant gelungen. Denn im Jahr 2003 verpflicht­eten sich die Länder des Kontinents im Rahmen des Maputo-abkommens, mindestens zehn Prozent der öffentlich­en Ausgaben für die Entwicklun­g der Landwirtsc­haft auszugeben. Doch nicht einmal zehn Prozent der afrikanisc­hen Länder kamen dieser Zusicherun­g nach, bei den meisten sind es weniger als fünf Prozent des Staatsbudg­ets.

Generell treffen steigende Lebensmitt­elpreise die Menschen in Entwicklun­gsländern deutlich härter als in Industrien­ationen. In den meisten afrikanisc­hen Regionen gaben die Menschen schon vor dem Ukraine-krieg über die Hälfte ihres Einkommens für Nahrung aus, in Deutschlan­d sind es zehn Prozent. Entspreche­nd überpropor­tional sind die Folgen spürbar. Die Usamerikan­ische Denkfabrik „Centre for Global Developmen­t“schätzt, dass die steigenden Lebensmitt­elund Benzinprei­se 40 Millionen zusätzlich­e Menschen in die extreme Armut fallen lassen werden, viele davon in Afrika. Das bedeutet, dass pro Person weniger als 1,90 Dollar am Tag zur Verfügung stehen.

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