Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Entwickelt Deutschland keine Kampfhubschrauber mehr?
Im Gegensatz zu Frankreich scheint Berlin kein Interesse an einem besseren Tiger-helikopter zu haben. Was das für Donauwörth bedeutet.
Donauwörth/berlin Das neue Zauberwort beim Einkauf von Rüstungsgütern lautet „off the shelf“, also „ab Lager“. Seit Kanzler Olaf Scholz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine von einer „Zeitenwende“spricht, ändert sich auch die Politik bei der Beschaffung militärischer Güter. Der Druck auf die Bundesregierung ist groß geworden, Panzer, Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber nicht erst drei, vier Jahre oder noch später nach der Bestellung zu bekommen, sondern von der Stange zu kaufen. So fiel die Wahl auffällig häufig auf amerikanische Modelle wie den Tarnkappenbomber F-35. Und die Bundesregierung will auch schwere Ustransporthubschrauber des Typs CH-47 Chinook von Boeing bestellen. Das zeichnete sich schon vor dem Krieg ab, hat Airbus doch so einen Helikopter nicht im Angebot.
Es fließen also Milliarden in die USA. Wo bleibt da der von Frankreich und Deutschland dominierte Airbus-konzern, schließlich sollen gut 40 Milliarden Euro für Einsätze in der Luft aufgewandt werden? Wolfgang Schoder, Deutschlandchef von Airbus Helicopters, macht sich im Gespräch mit unserer Redaktion Hoffnung, dass die Ustransporthubschrauber zumindest von dem europäischen Hubschrauber-bauer gewartet werden. Hier gebe es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Boeing und Airbus. Das langfristig ausgerichtete Instandhaltungsgeschäft gilt als finanziell lukrativ und würde Arbeitsplätze am größten deutschen Standort in Donauwörth absichern.
Dort arbeiten rund 6500 Menschen fest für das Unternehmen. Schoder kündigt wegen der vor allem guten Auftragslage für zivile Hubschrauber an, dass in dem nordschwäbischen Werk rund 200 zusätzliche Arbeitsplätze sowohl mit dem Schwerpunkt auf neue Technologien als auch Stellen mit klassisch technischer Ausrichtung entstehen sollen. Rund die Hälfte der geplanten Einstellungen sei bereits in diesem Jahr erfolgt.
Doch mit einem Instandhaltungsauftrag für amerikanische Helikopter will sich Schoder nicht begnügen. Er zeigt sich enttäuscht, „dass im Luftfahrtbereich die zwei großen Brocken in die USA gehen“. Airbus Helicopters könnte aber noch von dem 100-Milliarden-programm profitieren. Der Manager sagt: „Wir rechnen uns Chancen aus, dass wir bei der Beschaffung von leichten militärischen Unterstützungshubschraubern mit unserem bewährten Model H145M zum Zuge kommen.“Die in Donauwörth produzierten Maschinen genießen bei der Bundeswehr wegen ihrer pünktlichen Lieferung und der hohen Einsatzbereitschaft einen guten Ruf. Der Airbus-mann ist nun gespannt darauf, wie der Kauf-prozess für diese kleineren Hubschrauber abläuft: „Es ist interessant, ob Produkte der heimischen Industrie auch so schnell und unkompliziert wie Us-fluggeräte beschafft werden. Das ist für mich jetzt der Lackmustest.“Auf alle Fälle verspricht der Deutschland-chef des Hubschrauber-herstellers: „Wir können die Maschinen zwölf Monate nach der Bestellung der Bundeswehr auf den Hof stellen.“Das würde dem von
Scholz favorisierten Einkauf ab Lager entsprechen. Noch ist unklar, ob die Bundesregierung leichte militärische Hubschrauber made in Donauwörth ordert. Bei einem anderen Helikopter-thema scheint mehr Klarheit zu herrschen – und das zum Leidwesen von Airbus Helicopters. Denn die Bundesregierung wirkt nicht gewillt, den Kampfhubschrauber Tiger technisch rundzuerneuern, also weiterzuentwickeln. Das machen jedoch die Airbus-länder Frankreich und Spanien. Deutschland könnte hier also ausscheren,
was in Paris mit Sorge zur Kenntnis genommen wird. Der Tiger ist einer der Säulen französisch-deutscher Rüstungszusammenarbeit. Dabei wäre eine Fortsetzung der Tigerstory wichtig für die Beschäftigten in Donauwörth, würde das doch reichlich Arbeitsplätze garantieren.
Schoder ist nun „sehr enttäuscht, dass die Weiterentwicklung des Tigers nicht in dem 100-Milliardenprogramm enthalten ist“. Der Manager würde es begrüßen, wenn die Bundesregierung bei dem Kampfhubschrauber langfristiger denkt.
So warnt er: „Wenn wir nicht beim Tiger dranbleiben, besteht die Gefahr, dass Deutschland die Fähigkeit verliert, Kampfhubschrauber zu entwickeln.“Noch hat Berlin dem Tiger nicht endgültig die Rote Karte gezeigt, es deutet sich aber an.
In den vergangenen Jahren haben sich negative Berichte über den Tiger gehäuft. Der Tenor lautet stets: Die Einsatzfähigkeit des Hubschraubers sei zu gering. Zu viele der deutschen Maschinen stünden immer wieder am Boden. Auffällig ist aber auch: In Spanien und Frankreich sieht die Situation besser aus. Und auch bei deutschen Auslandseinsätzen in Mali oder Afghanistan soll der Tiger häufig in der Luft gewesen sein. Schoder sagt dazu: „Die Performance des Kampfhubschraubers ist sehr gut.“Warum gibt es dann vor Ort in Deutschland immer wieder massive Probleme? Der Airbus-manager räumt Defizite bei der Verfügbarkeit ein. Er spricht von einem Verbesserungsbedarf, etwa was die Beschaffung von Ersatzteilen betrifft. Hier sieht der Luftfahrt-manager Industrie wie Bundeswehr gefordert. Schoder zeigt sich zuversichtlich: „Wir kriegen die Probleme in den Griff.“In Deutschland wird der Tiger von der Bundeswehr und der Industrie gewartet. Hier hakte es immer wieder. Inzwischen gibt es eine gemeinsame Zielvereinbarung der beiden Partner, wie Wartungsziele erreicht werden. Erste Fortschritte zeichnen sich ab. Schoder wünscht sich einen zusätzlichen „leistungsabhängigen Vertrag“mit der Bundeswehr. Der soll so funktionieren: Wenn alles wie versprochen läuft, bekommt Airbus einen finanziellen Bonus, sonst droht ein Malus. Neue Verträge, welche die Bundeswehr mit Us-kunden abschließt, sind mit solchen leistungsabhängigen Klauseln versehen. Dabei ist es schwer zu sagen, wie viele Tiger am Boden stehen, weil Ersatzteile fehlen. Schoder macht keine konkreten Angaben. Er räumt ein, die Situation sei schlechter, als dies angemessen wäre. Dass sich auch die Bundeswehr mit Details zurückhält, hat einen einfachen Grund: Solche Informationen könnten Ländern wie Russland Rückschlüsse über die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands liefern.