Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Abenddämmerung für den Verbrenner
Kann die EU ihre ehrgeizigen Klimaziele umsetzen? Das Eu-parlament stimmte dafür, dass Neuwagen ab 2035 kein CO mehr ausstoßen dürfen. Bei anderen entscheidenden Vorschlägen herrscht weiter Streit.
Straßburg Die Bedeutung des Politkrimis ließ sich schon am vollen Plenarsaal ablesen. Es kommt selten vor, dass fast alle 750 Plätze im Euparlament besetzt sind. Doch die Fraktionen hatten ihre Abgeordneten nach Straßburg beordert, jedes Votum zählte bei diesem historischen Abstimmungsmarathon über das so wichtige wie umfangreiche Klimapaket von Eu-kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das den sportlich anmutenden Titel „Fit for 55“trägt.
Um acht Gesetzesvorhaben ging es am Mittwoch, 1265 Änderungsanträge lagen vor. Dementsprechend lang wurde der Tag, dementsprechend angespannt war die Stimmung. Die Schlüsselabstimmungen versprachen, knapp zu werden, darunter das Votum um die sogenannten Flottengrenzwerte, die festlegen, wie viel Kohlendioxid die Modelle der Autohersteller ausstoßen dürfen. Die Kommission hatte empfohlen, den Co2-grenzwert für Fahrzeuge so schnell zu verschärfen, dass ab 2035 nur noch Autos und kleine Nutzfahrzeuge neu zugelassen werden dürfen, die überhaupt kein CO2 mehr erzeugen. Das Defacto-verbot des Verbrenners gehört zu den tragenden Säulen des Grünen Deals, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden will. Und es setzte sich im Parlament unter Applaus durch. Man habe klargemacht, dass „der Fokus in Zukunft auf der Elektromobilität liegen soll“, lobte der Eu-parlamentarier Michael Bloss von den Grünen. „Noch können wir den Klimakollaps aufhalten und die Autoindustrie kann dabei eine zentrale Rolle spielen.“
Zu den Kritikern des Vorstoßes, die bis zuletzt für ihren Änderungsantrag kämpften, gehört der Cdueuropaabgeordnete Jens Gieseke. Die Christdemokraten hatten gefordert, die Grenzwerte bis 2035 nur um 90 Prozent statt um 100 Prozent zu senken. „Ein Technologiemix ist besser als ein einseitiges Verbot“, hatte Gieseke die Alternative beworben. Ohne Erfolg. Nach der Abstimmung zeigte er sich enttäuscht: „Damit ist weder dem Weltklima noch der europäischen Wettbewerbsfähigkeit geholfen.“Stattdessen nehme man „den Verlust von bis zu einer halben Million Arbeitsplätzen billigend in Kauf“. Für die Zulieferindustrie sei die Entscheidung „ein Schlag ins Kontor“. Die Euabgeordnete Angelika Niebler (CSU) trommelte ebenfalls bis zu
für „Technologieoffenheit“. Sie fürchte, „dass man sich mit Blick auf den Riesenbedarf an Strom wieder einseitig abhängig macht“. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, müssen noch die 27 Mitgliedstaaten zustimmen.
Bereits am Mittag wurde hingegen das mächtigste Instrument des Klimapakets, die Reform des Emissionshandelssystems (ETS), abgeschmettert. Im Anschluss an das Votum, bei dem die Mehrheit eine geplante Ausweitung des Systems auf Gebäude und Verkehr abgelehnt hatte, kochten die Emotionen über. „Es ist eine Schande“, schimpfte der
Eu-parlamentarier Peter Liese (CDU), der im Umweltausschuss verantwortlich für den Kompromiss war. Weil der vorgelegte Entwurf vom Parlament zunächst mit Hilfe der Konservativen abgeschwächt wurde, entzogen Sozialdemokraten und Grüne ihre Stimmen – und ließen das Gesetz durchfallen. Danach schob man sich gegenseitig die Schuld am Scheitern zu. Nun geht es zurück an das Komitee, wo man um eine mehrheitsfähige Position ringen will. Verschoben wurde unter anderem die Abstimmung über die Einführung eines Grenzausgleichmechanismus, im abkürzungsverletzt liebten Brüssel CBAM getauft. Der Spd-europaabgeordnete Tiemo Wölken warf den Christdemokraten vor, den europäischen Grünen Deal sabotieren zu wollen mit dem seiner Meinung nach „verwässerten“Vorschlag der Kommission.
Die hatte vergangenes Jahr Pläne zur Verschärfung des ETS präsentiert, um das Ziel zu erreichen, die Co2-emissionen in diesem Jahrzehnt um mindestens 55 Prozent zu senken. Dafür forderte die Behörde zum einen die Ausweitung des Systems auf weitere Sektoren, zum anderen die Abschaffung der kostenlosen Verschmutzungsrechte für Branchen, die besonders viel Kohlendioxid ausstoßen wie die Stahloder Zementindustrie. Sie erhalten derzeit die meisten ihrer Co2-zertifikate kostenlos. Das soll etwa verhindern, dass Unternehmen von außerhalb der EU einen Wettbewerbsvorteil genießen, weil sie unter laxeren Klimaregeln produzieren. Die Industrie leistete massiven Widerstand gegen die Abschaffung dieses Privilegs. Ob Automobilhersteller, Stahlproduzenten oder Chemieunternehmen - sie schickten ihre Armada an Interessenvertreter gen Brüssel zum Klinkenputzen. Abgeordnete beklagten einen wahren „Lobbysturm aufs Eu-parlament“.