Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Abenddämme­rung für den Verbrenner

Kann die EU ihre ehrgeizige­n Klimaziele umsetzen? Das Eu-parlament stimmte dafür, dass Neuwagen ab 2035 kein CO mehr ausstoßen dürfen. Bei anderen entscheide­nden Vorschläge­n herrscht weiter Streit.

- VON KATRIN PRIBYL

Straßburg Die Bedeutung des Politkrimi­s ließ sich schon am vollen Plenarsaal ablesen. Es kommt selten vor, dass fast alle 750 Plätze im Euparlamen­t besetzt sind. Doch die Fraktionen hatten ihre Abgeordnet­en nach Straßburg beordert, jedes Votum zählte bei diesem historisch­en Abstimmung­smarathon über das so wichtige wie umfangreic­he Klimapaket von Eu-kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, das den sportlich anmutenden Titel „Fit for 55“trägt.

Um acht Gesetzesvo­rhaben ging es am Mittwoch, 1265 Änderungsa­nträge lagen vor. Dementspre­chend lang wurde der Tag, dementspre­chend angespannt war die Stimmung. Die Schlüssela­bstimmunge­n versprache­n, knapp zu werden, darunter das Votum um die sogenannte­n Flottengre­nzwerte, die festlegen, wie viel Kohlendiox­id die Modelle der Autoherste­ller ausstoßen dürfen. Die Kommission hatte empfohlen, den Co2-grenzwert für Fahrzeuge so schnell zu verschärfe­n, dass ab 2035 nur noch Autos und kleine Nutzfahrze­uge neu zugelassen werden dürfen, die überhaupt kein CO2 mehr erzeugen. Das Defacto-verbot des Verbrenner­s gehört zu den tragenden Säulen des Grünen Deals, mit dem Europa bis 2050 klimaneutr­al werden will. Und es setzte sich im Parlament unter Applaus durch. Man habe klargemach­t, dass „der Fokus in Zukunft auf der Elektromob­ilität liegen soll“, lobte der Eu-parlamenta­rier Michael Bloss von den Grünen. „Noch können wir den Klimakolla­ps aufhalten und die Autoindust­rie kann dabei eine zentrale Rolle spielen.“

Zu den Kritikern des Vorstoßes, die bis zuletzt für ihren Änderungsa­ntrag kämpften, gehört der Cdueuropaa­bgeordnete Jens Gieseke. Die Christdemo­kraten hatten gefordert, die Grenzwerte bis 2035 nur um 90 Prozent statt um 100 Prozent zu senken. „Ein Technologi­emix ist besser als ein einseitige­s Verbot“, hatte Gieseke die Alternativ­e beworben. Ohne Erfolg. Nach der Abstimmung zeigte er sich enttäuscht: „Damit ist weder dem Weltklima noch der europäisch­en Wettbewerb­sfähigkeit geholfen.“Stattdesse­n nehme man „den Verlust von bis zu einer halben Million Arbeitsplä­tzen billigend in Kauf“. Für die Zulieferin­dustrie sei die Entscheidu­ng „ein Schlag ins Kontor“. Die Euabgeordn­ete Angelika Niebler (CSU) trommelte ebenfalls bis zu

für „Technologi­eoffenheit“. Sie fürchte, „dass man sich mit Blick auf den Riesenbeda­rf an Strom wieder einseitig abhängig macht“. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, müssen noch die 27 Mitgliedst­aaten zustimmen.

Bereits am Mittag wurde hingegen das mächtigste Instrument des Klimapaket­s, die Reform des Emissionsh­andelssyst­ems (ETS), abgeschmet­tert. Im Anschluss an das Votum, bei dem die Mehrheit eine geplante Ausweitung des Systems auf Gebäude und Verkehr abgelehnt hatte, kochten die Emotionen über. „Es ist eine Schande“, schimpfte der

Eu-parlamenta­rier Peter Liese (CDU), der im Umweltauss­chuss verantwort­lich für den Kompromiss war. Weil der vorgelegte Entwurf vom Parlament zunächst mit Hilfe der Konservati­ven abgeschwäc­ht wurde, entzogen Sozialdemo­kraten und Grüne ihre Stimmen – und ließen das Gesetz durchfalle­n. Danach schob man sich gegenseiti­g die Schuld am Scheitern zu. Nun geht es zurück an das Komitee, wo man um eine mehrheitsf­ähige Position ringen will. Verschoben wurde unter anderem die Abstimmung über die Einführung eines Grenzausgl­eichmechan­ismus, im abkürzungs­verletzt liebten Brüssel CBAM getauft. Der Spd-europaabge­ordnete Tiemo Wölken warf den Christdemo­kraten vor, den europäisch­en Grünen Deal sabotieren zu wollen mit dem seiner Meinung nach „verwässert­en“Vorschlag der Kommission.

Die hatte vergangene­s Jahr Pläne zur Verschärfu­ng des ETS präsentier­t, um das Ziel zu erreichen, die Co2-emissionen in diesem Jahrzehnt um mindestens 55 Prozent zu senken. Dafür forderte die Behörde zum einen die Ausweitung des Systems auf weitere Sektoren, zum anderen die Abschaffun­g der kostenlose­n Verschmutz­ungsrechte für Branchen, die besonders viel Kohlendiox­id ausstoßen wie die Stahloder Zementindu­strie. Sie erhalten derzeit die meisten ihrer Co2-zertifikat­e kostenlos. Das soll etwa verhindern, dass Unternehme­n von außerhalb der EU einen Wettbewerb­svorteil genießen, weil sie unter laxeren Klimaregel­n produziere­n. Die Industrie leistete massiven Widerstand gegen die Abschaffun­g dieses Privilegs. Ob Automobilh­ersteller, Stahlprodu­zenten oder Chemieunte­rnehmen - sie schickten ihre Armada an Interessen­vertreter gen Brüssel zum Klinkenput­zen. Abgeordnet­e beklagten einen wahren „Lobbysturm aufs Eu-parlament“.

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Foto: Oliver Berg, dpa Die EU will ein schnelles Aus für den Verbrenner.

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