Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zugunglück: Erste Gutachter beenden Untersuchung
Unabhängig von Polizei und Staatsanwaltschaft haben Experten den Unfallort in Augenschein genommen.
Burgrain Nach dem Zugunglück in Burgrain bei Garmisch-partenkirchen haben die ersten Gutachter ihre Untersuchungen abgeschlossen. Vier Sachverständige der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) hätten den Unfallort verlassen, erklärte deren Sprecher Moritz Metzler am Mittwoch auf Anfrage unserer Redaktion. „Jetzt warten wir auf die Ergebnisse.“
Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft ermitteln noch weiter an der Unglücksstelle, nehmen etwa die Lok und einen intakten Waggon unter die Lupe, die nach wie vor auf den Gleisen stehen. Die Bahnstrecke ist wohl mindestens noch mehrere Wochen gesperrt. Die B2 und der Tunnel Farchant aber sind wieder für den Autoverkehr freigegeben.
Am Freitag waren auf Höhe Burgrain mehrere Waggons einer Regionalbahn aus den Gleisen gesprungen. Vier Frauen und ein 13-Jähriger starben, 40 Passagiere erlitten Verletzungen. Schnell stand ein technischer Defekt als Ursache im Raum. Die Waggons entgleisten in einer lang gezogenen Kurve, Sanierungslisten zufolge hatte die Deutsche Bahn in den kommenden Wochen dort Gleisarbeiten geplant. Mittlerweile wird gegen drei Bahnmitarbeiter ermittelt. Medienberichten zufolge unter anderem gegen die Person, die für den Zustand der Strecke verantwortlich ist.
Die Expertinnen und Experten der Untersuchungsstelle für Eisenbahnunfälle handeln dabei unabhängig von der Staatsanwaltschaft München
II, die die strafrechtlichen Ermittlungen führt. „Natürlich arbeiten wir bei den Beweismitteln zusammen“, erklärt Sprecher Metzler. „Aber wir sehen uns das Unglück vor allem unter dem Blickwinkel an: Was war die Ursache – und wie kann man durch die Ergebnisse das System insgesamt verbessern?“Mit einem Gerät namens Krabbe, einer Art kleiner Draisine, haben die Fachleute etwa die Gleise an der Unfallstelle vermessen. Auch die
Neben Polizei und Staatsanwaltschaft geben nach dem Unfall bei Garmischparten kirchen auch externe Fachleute ihr Urteil ab.
Bahn selbst nimmt regelmäßig solche Messungen vor, die zeigen sollen, ob sich Gleise etwa im Laufe der Zeit leicht verschoben haben.
Dass Schienen in Kurven schneller verschleißen, haben inzwischen mehrere Gleisexperten bestätigt. „Die Reibung ist eine andere als auf gerader Strecke“, erklärt auch Metzler. „Die Fliehkräfte ziehen einen Zug nach außen, das Rad ,knabbert‘ sozusagen an der Schiene.“Er will seine Erläuterung nicht speziell auf Burgrain bezogen wissen. Dafür müssten erst die Untersuchungsergebnisse vorliegen. Die Bundesstelle hat ein Jahr Zeit für ihren Bericht und eine Sicherheitsempfehlung. Liegen dann noch keine Erkenntnisse vor, muss sie zumindest einen Zwischenbericht vorlegen.
Im Fall des Zugunglücks von Aichach im Mai 2018 etwa veröffentlichte die BEU ihre endgültigen Ergebnisse im April 2020. Bei dem Drama von Gleis 2 krachte ein Nahverkehrszug in einen Güterzug. Der Lokführer des Regionalzugs und ein Passagier starben, 13 Fahrgäste überlebten teils schwer verletzt. Der Fahrdienstleiter hatte die Signale und Weichen per Hand einstellen müssen und den Personenzug aufs falsche Gleis geleitet. Der 35-Seiten-bericht, der auf der Homepage der BEU einsehbar ist, analysiert den Hergang und empfiehlt, Bahnhöfe ohne Gleisfreimeldeanlage mit einer solchen auszustatten. Die Deutsche Bahn muss allerdings nicht auf den Bericht warten, sondern nach einem Unglück so schnell wie möglich selbst sicherstellen, dass kein weiteres geschieht. Doch erst mehr als zwei Jahre nach dem Unglück bekamen die Aichacher Bahn-mitarbeiter bei ihrem über 70 Jahre alten Betriebssystem technische Unterstützung. Ist ein Gleis besetzt, blockiert eine Automatik heute den entsprechenden Hebel beim Fahrdienstleiter.
Wie lange die strafrechtlichen Ermittlungen dauern können, zeigt aktuell die S-bahn-kollision von Schäftlarn mit einem Toten. Dort ist auch knapp vier Monate später keine Anklage abzusehen, weil ein Sachverständigengutachten fehlt. Einer der Lokführer steht im Verdacht, für den Zusammenstoß verantwortlich zu sein.