Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Und wieder der Breitscheidplatz
Am Mittwochmorgen rast in Berlin plötzlich ein Auto in eine Menschenmenge. Eine Lehrerin stirbt, viele Menschen werden verletzt. Und dann findet die Polizei ein Bekennerschreiben.
Berlin Millionen Menschen kennen den Ort in Berlin, an dem sich das Leben für einige am Mittwoch schlagartig verändert – das gilt besonders für eine Schülergruppe aus Hessen. Zwischen der Gedächtniskirche und dem Luxuskaufhaus Kadewe ist großflächig mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Gegen 10.30 Uhr am Mittwochvormittag gingen vorher mehrere Notrufe ein.
Ein Auto ist in eine Menschenmenge gefahren. Der silberfarbene Kleinwagen steckt 200 Meter weiter in einem Schaufenster. Das Glas zersplittert, die Scherben sind auf dem Boden verteilt. Dutzende Polizeiautos und Krankenwagen stehen an der Straße. Ein Hubschrauber kreist in der Luft. Etwas entfernt sieht man einen abgedeckten Körper auf der Straße.
Es sind Bilder, die einem klarmachen, was es bedeutet, wenn jemand aus dem Leben gerissen wird. Viele Opfer des Autofahrers gehören zu einer 10. Schulklasse aus Bad Arolsen in Nordhessen. Die getötete Frau war eine Lehrerin. Ein weiterer Lehrer wurde schwer verletzt, ebenso eine ganze Reihe von Schülern, einige lebensgefährlich. Die hessische Landesregierung zeigt sich tief bestürzt. „Diese schockierende Nachricht aus Berlin macht mich fassungslos und tief betroffen. Meine Gedanken sind bei den Opfern, die voller Freude auf einer Klassenfahrt in der Hauptstadt waren“, teilt Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) mit. Notfallbetreuungsteams seien nach Bad Arolsen geschickt worden, um den Angehörigen, Mitschülern und Lehrern beizustehen.
Der Autofahrer wurde nach seiner Tat von Passanten festgehalten, berichtet Polizeisprecher Thilo Cablitz. Die Polizei habe den 29-Jährigen dann festgenommen und werde ihn vernehmen. Im Lauf des Tages gibt es zunehmend Hinweise, dass es kein Unfall war. In dem Auto, das der Schwester des Fahrers gehört, lagen Schriftstücke und Plakate mit Äußerungen zur Türkei, wie sie auf Demonstrationen hochgehalten werden. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von einem „Tatverdächtigen“, der in ein Krankenhaus gebracht wurde. Im Moment gebe es keine Erkenntnisse zu einer politischen Motivation. Der Fahrer, ein Deutsch-armenier, soll psychisch auffällig sein, hieß es von der Polizei. Erwähnt wurde in dem Zusammenhang eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein anderer Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.
Der Vorfall am Mittwoch spielt sich nach bisherigem Stand so ab: Der Mann fährt den Renault-kleinwagen am späten Vormittag an der Straßenecke Ku’damm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku’damms und in die Menschengruppe. Dann fährt er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkt er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchiert ein anderes Auto, überquert die Marburger Straße und landet im Schaufenster einer Parfümerie.
Gegenüber dem zerstörten Schaufenster steht später ein 42-jähriger Mann. Er hat einen freien Tag, mit dem Auto wollte er zu einem Termin. Er habe an der roten Ampel gestanden und wollte rechts abbiegen. Plötzlich sei ein Auto – „es war sehr, sehr schnell, bestimmt 150“– über den Bürgersteig gekommen und im Schaufenster einer Parfümerie gelandet.
Der Ort, an dem Polizei und Feuerwehr am Mittwoch gemeinsam helfen, ist ein besonderer in der Berliner Geschichte. 2016 hatte nur wenige Meter entfernt, auf dem Breit
Die Todesfahrt ereignete sich ganz in der Nähe der Gedächtniskirche nahe des Ku’damms. scheidplatz an der Gedächtniskirche, ein islamistischer Attentäter einen Lkw in einen Weihnachtsmarkt gesteuert. Nun stehen Journalisten genau dort, wo damals der Anschlag passierte, und filmen auf die gegenüberliegende Seite. „Es klafft noch immer eine Wunde im Herzen dieser Stadt“, sagt Polizeisprecher Cablitz. Vor Ort sind deswegen auch Polizisten mit Maschinenpistolen. Manche Menschen haben auch Bilder von 2019 im Kopf. Damals war ein Mann mit seinem schweren Auto von der Invalidenstraße abgekommen. Vier Menschen starben. Der Mann war trotz einer Epilepsieerkrankung und einer Gehirnoperation einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren.
Am Mittwoch fordert die Polizei Menschen bei Twitter auf, keine Bilder vom Ort des Geschehens zu posten. Stattdessen bittet sie um Hinweise. Augenzeugen sollten psychologisch betreut werden, wie ein Feuerwehrsprecher sagt. Das Angebot gelte auch für Einsatzkräfte, manche seien vielleicht auch 2016 im Einsatz gewesen. „Es ist im Kopf drinnen.“
Die frühere Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) twittert: „Ich höre Hubschrauber. Sirenen. Mein Körper zittert. Was für ein Horror!“Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erklärt kurz nach der Tat: „Es ist eine Situation, wo man denkt: Um Gottes willen, nicht schon wieder! Ob das jetzt ein Zufall war, der Ort, ob das ein bewusst gewählter Ort war, das wissen wir alles noch nicht.“van der
Andreas
„Es ist eine Situation, wo man denkt: Um Gottes willen, nicht schon wieder!“Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey