Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Fußball per se interessie­rt mich nicht“

Neven Subotic war einer der besten Innenverte­idiger Europas. Heute führt er eine Stiftung, die sich für die Trinkwasse­rversorgun­g in Ostafrika einsetzt. Ein Gespräch über Leidenscha­ft, Verzicht und einen sportsücht­igen Vater.

- Interview: Tilmann Mehl

Sie haben bis zum Sommer 2021 für den SCR Altach in Österreich gespielt, sind seitdem vereinslos. War es das mit der Profi-laufbahn?

Neven Subotic: Ja. Ich hatte nur noch keine Zeit, es offiziell zu machen.

Statt Fußball zu spielen, sind Sie zum Autoren geworden. In Ihrem Buch beschreibe­n Sie zum einen Ihren Weg vom Flüchtling­skind zum gefeierten Fußballer wie auch Ihre Arbeit als Gründer und Leiter Ihrer Stiftung. Subotic: Fußball ist ein wichtiger Teil meines Lebens und ich liebe auch den Fußball. Aber ich bin nicht nur Fußballer. Natürlich wollte ich auch beschreibe­n, was hinter einem Sportlerle­ben steht. Aber der zweite Teil ist der, für den mein Herz brennt. Das ist das, was ich lebe. Die Stiftung gibt es seit zehn Jahren. Das ist auch der Nutzen des Buches. So orientieru­ngslos, wie ich war, sind viele Menschen in der Gesellscha­ft. Wir wissen nicht viel über die Welt draußen, also können wir nur bedingt handeln. Das Buch ist aber nicht vorschreib­end im Sinne von: Mach das, so ist es richtig. Ich kann nur sagen: Das ist mein Weg und zehn Jahre später ist das nicht nur eine Phase, sondern eine Bestimmung, die ich gefunden habe.

Würden Sie wirklich sagen, Sie waren orientieru­ngslos?

Subotic: Orientieru­ngslos im Sinne von: Was mache ich mit meinem Leben? Fußball an sich ist toll. Das ist schön, aber es verblendet auch. Wenn man von 10 bis 13 Uhr trainiert, passieren auch noch andere Dinge. Wenn man aber abdriftet und gar nicht am gesellscha­ftlichen Leben teilnimmt, geht diese vorbildlic­he Rolle, die man hat, verloren. Damit konnte ich nicht umgehen. Das einfachste ist es, sich an Normen zu orientiere­n. Aber es war ja keine Orientieru­ng von mir aus. Ich habe mich nicht mit mir oder irgendetwa­s anderem auseinande­rgesetzt und mich gefragt: Ist das richtig? Ich habe einfach angenommen, dass es richtig ist, weil das ist das, was ich sehe.

Vielleicht können Sie das kurz erklären?

Subotic: Im wirtschaft­lich-elitären Kontext wirst du schon für wenig gefeiert. Da gehst du einmal mit deiner Mannschaft ins Kinderkran­kenhaus, redest ein wenig mit den Kindern und verteilst Merchandis­ingprodukt­e. Da gibt es eine Diskrepanz zwischen Feedback und Realität.

Sie haben vor zehn Jahren eine Stiftung gegründet, fördern mit lokalen Partnern Wasseranla­gen in Ostafrika, bohren Brunnen und bauen sanitäre Systeme auf. Zudem wird Wissen vermittelt, wie die Anlagen instand gehalten werden. Das ist ja nicht zwingend die normale Freizeitbe­schäftigun­g eines Profifußba­llers ...

Subotic: Im Laufe der Buchrecher­che habe ich mal meine Google-suche von vor über zehn Jahren angeschaut. Es gab da nicht diesen einen Auslöser und dann hat es klick gemacht. Bei mir hat das mit einfachem Interesse begonnen: Was sind die wirklichen Probleme? Es war eine sachliche Herangehen­sweise: Was gibt es und wo finde ich Bedeu

Wenn Neven Subotic in eine der Ortschafte­n reist, in der ein Brunnen gebaut wurde, gibt es oft eine Feier. Hier singt er zusammen mit den Einwohnern Gabas im Nordosten Tigrays (einer Region im nördlichen Äthiopien).

tung? Ich kann nicht sagen, dass ich vor zehn Jahren viel verstanden habe, ganz und gar nicht. Auch das ist ein wichtiger Punkt: Man muss nicht alles wissen, bis man eine Entscheidu­ng trifft.

Warum haben Sie sich dafür entschiede­n, Brunnen zu bohren?

Subotic: Wir realisiere­n das Menschenre­cht auf Trinkwasse­r und zu sanitären Anlagen. Frauen und Kinder sind bis zu sechs Stunden täglich unterwegs und schleppen verdreckte­s Wasser. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn du jeden Tag verunreini­gtes Wasser zu dir nimmst. Die holen es aus Bächen, Lachen und Tümpeln, die auch von Tieren genutzt werden – nicht nur zum Trinken. Das ist menschenun­würdig. Und es hat Auswirkung­en auf die Zukunft. Kinder holen Wasser, anstatt in die Schule zu gehen. So wird Bildung Luxus und Wasser Pflicht. Deshalb setzen wir uns für den strategisc­hen Anker Wasser ein. Wasser ist eine Brücke zu einer selbstbest­immten Zukunft.

Wie viele Brunnen wurden bislang gebaut und wie viel kostet ein Brunnen? Subotic: Es sind 464 fertige Projekte, die knapp 180.000 Menschen täglich nutzen können. Ein Brunnen kostet etwa 10.000 Euro. Wir wollen diese Zahl nicht nur erhöhen, sondern auch mit Stärkungen der Nutzungsph­ase stabilisie­ren.

Sie stecken selbst pro Jahr 400.000 Euro in das Projekt. Sie haben viel verdient während Ihrer Karriere als

Profifußba­ller, aber auch Ihr Geld ist endlich.

Subotic: Unabhängig von meiner Person ist es natürlich hilfreich, Förderpart­ner zu finden. Irgendwann ist mein Geld aufgebrauc­ht. Ich weiß aber, wo ich das Geld investiert habe, und bereue keinen einzigen Cent. Im Gegenteil: Ich hätte es nicht besser investiere­n können.

Im Buch schildern Sie, dass Sie manchmal Scham gegenüber anderen empfinden, die noch mehr Engagement investiere­n. Verstehen Sie, dass andere auch Ihnen gegenüber Scham empfinden, wenn Sie mitbekomme­n, wie viel Sie investiere­n?

Subotic: Ich kann das nachvollzi­ehen, aber will dieses Gefühl nicht hervorrufe­n. Ich möchte die Leute erreichen, die das lesen und dann sagen: Ja, das stimmt. Und die sich dann fragen, was bedeutet das, und einen weiteren Schritt gehen. Ich möchte nicht vorschreib­end wirken im Sinne von: Mach das und das. Mein Weg ist zu zeigen, was für mich richtig ist. Und daraus kann man vielleicht etwas für sich selbst ableiten. Ich habe meinen Weg gefunden – und auch der ist nicht perfekt. Ich weiß, so wie ich bin, sollte nicht jeder sein. Das wäre schrecklic­h.

Gibt es irgendwas, das Sie aus Ihrem Sportlerle­ben mitgenomme­n haben für Ihre jetzige Tätigkeit?

Subotic: Der Sport ist sehr wertvoll fürs Leben. Ich weiß nicht, wie sehr die Wettkampfm­entaliät oder ein Gefühl für ein Team zu haben für

diejenigen präsent ist, die nicht in einer Mannschaft gespielt hat. Auch das Management. Wenn es vom Trainer keine klare Ansage gibt, was der genaue Ansatz ist, wird es schwierig. Klar, man will Tore schießen und vors Tor kommen. Genauso vage könnte ich einem Mitarbeite­r sagen, wir wollen unsere Wasserproj­ekte realisiere­n und du musst den Serviceber­eich gut verwalten. Aber: Was ist gut? Da muss man definieren, welche Kriterien wichtig sind. Ich habe Mannschaft­en erlebt, wo das anders war. Da habe ich gefragt: Wie gehen wir die Sache an? Und die anderen Spieler haben gesagt: Wenn du das weißt, dann weißt du mehr als wir – und ich war der Neueste im Verein.

So läuft das tatsächlic­h auch im Profiberei­ch?

Subotic: Ja. Und das Schlimme ist: Im Profi- wie im Wirtschaft­sbereich klappt das manchmal. Trainer machen Aufstellun­gen und Spieler interpreti­eren ihre Rolle. Ich weiß nicht, ob das bewusst ist. Das kann in einem gewissen Kontext auch funktionie­ren. Meistens, wenn es eh schon läuft. Aber das hält sich nicht.

Nun ist Ihre Profi-laufbahn vorbei. Eine Entscheidu­ng, mit der Sie gut leben können?

Subotic: Ja, ich hatte eine geile Karriere. Ich könnte einigen Mannschaft­en noch etwas geben, aber auch das kostet Zeit. Die habe ich nicht. Ich kann nicht mit 40 Jahren Fußball spielen und die Stiftung leiten. Ich mag mich weiterbild­en.

Möchte etwas aufbauen, das künftig mehr wert sein wird als etwas, was jedes Jahr weniger bedeutend ist. Es ist auch eine Entlastung. In den letzten Stationen war es auch vor allem gesundheit­lich frustriere­nd für mich.

Verfolgen Sie den Fußball noch? Subotic: Ab und zu. Ich schaue aber kein ganzes Spiel an, nur noch Highlights, will nur Tore sehen. Fußball per se interessie­rt mich nicht, aber ich freue mich für meine ehemaligen Kollegen. Manche empfinde ich als meine kleinen Brüder. Ich hoffe, ihnen ein bisschen was mitgegeben zu haben in Sachen Entscheidu­ngsfindung und wie sie durch eine Karriere gehen.

Aber Sie würden eher eine Folge Southpark anschauen als das Champions-league-finale?

Subotic: Ja. Das packt mich null. Ich weiß, das ist sehr verwirrend. Ich weiß, dass Sport Leute auch verrückt machen kann. Mein Vater ist das Paradebeis­piel. Der schaut oder spielt nur Sport. Wenn ich den anrufe, schaut der Tennis oder zweite Liga Italien. Ich bin so angekotzt, weil vieles davon so irrelevant ist. Mein Vater kommt aus Jugoslawie­n. Er war immer sehr stolz auf die jugoslawis­chen Sportler und Sportlerin­nen und dann hat es auch noch sein Sohn auf die große Bühne geschafft. Aber wenn ich sehe, wie viel dadurch verloren gegangen ist, traue ich mich noch nicht mal, mich damit näher auseinande­rzusetzen.

Sie verzichten auf viel, das für Profifußba­ller selbstvers­tändlich ist, leben in einer kleineren Wohnung, besitzen kein Auto. Empfinden Sie das auch als Verzicht?

Subotic: Es ist nicht so, als würde ich Eis lieben und jeden Tag laufe ich an der Eisdiele vorbei und denk mir: Scheiße! Ich bin so viel glückliche­r. Ich habe zwei Schubladen mit Elektronik und so. In meinem Kleidersch­rank sind vier Fächer und alles ist da. Das ist sehr hilfreich. Ich bevorzuge das.

Aber denken Sie nicht manchmal auch: Ach, das gönne ich mir jetzt? Subotic: Ja klar. Egal ob für mich oder als Geschenk für andere: Wenn jemand etwas täglich nutzt, dann soll das hochwertig sein. Dann ist der Nutzen einfach riesig. Ein Computer beispielsw­eise. Wenn der kaputt ist, hol ich mir am gleichen Tag einen, der over the top ist.

Aber Luxusartik­el? Subotic: Nein.

● Neven Subotic hat als Innenver‰ teidiger mit Borussia Dortmund zwei Meistersch­aften gewonnen. Vor zehn Jahren gründete er die „Ne‰ ven Subotic Stif‰ tung“, die sich für die Trinkwas‰ serversorg­ung in Ostafrika enga‰ giert. Sein Buch „Alles geben“bei Kiwi er‰ schienen und kos‰ tet 22 Euro. ist

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Foto: Patrick Temme, Philipp Nolte
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