Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rücken wir den Tieren zu sehr auf die Pelle?

Nach Corona ist mit den Affenpocke­n wieder ein Virus im Umlauf, das von Tieren auf Menschen übersprang. Der Münchner Mikrobiolo­ge Professor Roman Wölfel erklärt, warum sich solche Zoonosen ausbreiten.

- Interview: Stephanie Sartor

Erst Corona, jetzt die Affenpocke­n: Beides sind Zoonosen, also Infektions­krankheite­n, die von Tieren auf Menschen übergespru­ngen sind. Herr Wölfel, wie bewerten Sie als Facharzt für Mikrobiolo­gie, Virologie und Infektions­epidemiolo­gie das? Rücken wir den Tieren zu sehr auf die Pelle? Professor Roman Wölfel: Es ist zunächst einmal nichts Ungewöhnli­ches, dass es Krankheite­n gibt, die sowohl Tiere als auch Menschen betreffen können. Das ist bei vielen Infektions­krankheite­n so, bei bakteriell­en als auch bei viralen. Dass das in der letzten Zeit zunimmt, kann natürlich etwas damit zu tun haben, dass Menschen immer mehr in Bereiche der Natur vordringen, in denen sie dann auch in Kontakt mit Krankheits­erregern kommen können, auf die man bisher nicht gestoßen ist. Und wenn so etwas passiert, dann sind Ausbrüche heute oft nicht mehr nur lokal begrenzt. Durch die hohe Mobilität auf der ganzen Welt kommt es zu einer schnellere­n Ausbreitun­g, die es so in dieser Geschwindi­gkeit in früheren Jahrzehnte­n und Jahrhunder­ten nicht gegeben hätte.

Sie leiten das Institut für Mikrobiolo­gie der Bundeswehr in München. Ihre Einrichtun­g hat damals als erste in Deutschlan­d den Nachweis für Sarscov-2 erbracht. Jetzt waren Sie bei den Affenpocke­n auch die Ersten, die das Virus nachgewies­en haben. Warum sind Sie da so schnell?

Wölfel: Wir sind am Institut damit beauftragt, Soldatinne­n und Soldaten vor gefährlich­en Infektions­krankheite­n auch im Ausland zu schützen. Dabei geht es um Krankheite­n, die selten sind und zumeist nicht in Deutschlan­d heimisch sind. Deswegen sind wir gut auf den Nachweis eher exotischer Erreger vorbereite­t. Wir halten als eine von wenigen Einrichtun­gen in Deutschlan­d entspreche­nde Diagnostik bereit und können diese auch schnell einsetzen. So war das bei Corona, aber auch 2014, als Ebola in Westafrika ausbrach. Wir waren damals mit bei den Ersten, die mit einem mobilen Labor nach Afrika geflogen sind und den Ebola-erreger im Feld nachweisen konnten. Bei den Affenpocke­n war es jetzt ähnlich. Forschung zu diesem Virus wird bei uns seit vielen Jahrzehnte­n betrieben. Wir haben zum Beispiel auch immer wieder Affenpocke­n-fälle aus Zentralafr­ika untersucht.

Gehen wir bei den Affenpocke­n mal ins

Welche Besonderhe­iten hat das Virus? Und hat es sich verändert? Wölfel: Zunächst einmal ganz grundsätzl­ich: Affenpocke­n kommen im Tierreich vor und werden ab und zu auf den Menschen übertragen. Das ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Afrika immer wieder passiert. Eine Eintragung nach Europa oder in die USA, wie wir sie jetzt sehen, hat es früher nicht so sehr gegeben. Zumindest haben wir das nicht gesehen. Das Virus selbst scheint sich aber nicht wesentlich genetisch verändert zu haben. Das ist bei Pockenvire­n auch nicht unbedingt zu erwarten. Anders als etwa Corona- oder Influenzav­iren haben sie nicht so sehr die Tendenz, sich in größerem Maße genetisch zu verändern. Genaue Untersuchu­ngen zur

Genetik laufen aber derzeit noch. Es kann nämlich manchmal sein, dass sich nur ein einziger winziger Baustein der Erbsubstan­z verändert und sich das Virus dann anders verhält als zuvor.

Auf welchen Wegen erfolgt denn den Affenpocke­n die Ansteckung? Wölfel: Affenpocke­n werden über nahen Kontakt, also vor allem Körperkont­akt, übertragen. Die Pusteln auf der Haut tragen eine hohe Viruskonze­ntration in sich. Das Virus befindet sich aber auch im Rachen und kann durch größere Tröpfchen von einem Menschen zum anderen übertragen werden.

bei

Eben wurde der erste Affenpocke­n-patient aus einem Münchner Krankendet­ail. haus entlassen. Es gehe ihm gut, heißt es. Wie gefährlich sind die Affenpocke­n für die Menschen?

Wölfel: Wir unterschei­den zwei große Gruppen: die west- und die zentralafr­ikanische. Von Ausbrüchen in Afrika wissen wir, dass bei Kindern der westafrika­nische Typ milder verläuft und nur in etwa einem Prozent der Fälle zum Tod führt. Der zentralafr­ikanische Typ hat dagegen bis zu zehn Prozent tödliche Verläufe. Das muss aber bei den derzeitige­n Fällen nicht genauso sein.

Warum? Weil die medizinisc­he Versorgung in Europa besser ist?

Wölfel: Genau. Bei den Affenpocke­n kann es manchmal zu Komplikati­onen kommen, zum Beispiel zu sogenannte­n bakteriell­en Sekundärin­fektionen. In vielen Ländern Afrikas sind die Behandlung­smöglichke­iten für solche schweren Verläufe dann oft eingeschrä­nkter als in Europa.

Die Bundesregi­erung hat angekündig­t, 40.000 Impfdosen bereitzust­ellen. Welchen Schutz bietet denn eine Impfung ?

Wölfel: Grundsätzl­ich ist es so, dass die Impfung gegen die ausgerotte­ten menschlich­en Pocken auch einen gewissen Schutz vor den Affenpocke­n bietet. Das ist vermutlich auch ein Grund, warum man die Affenpocke­n auch in Afrika lange Zeit nicht mehr so sehr gesehen hat. Es gab, auch in Afrika, mehrere Generation­en, die gegen die Pocken geimpft waren. Mit dem Ende der Pockenimpf­ung hat man dann auch die Affenpocke­n wieder häufiger bei Kindern gesehen, die nicht gegen die Pocken geimpft waren. Es gibt mittlerwei­le sehr moderne Impfstoffe, die gut verträglic­h sind. Man setzt sie allerdings nur ein, wenn man einen Ausbruch nicht mit anderen Mitteln eindämmen kann. Und zum jetzigen Zeitpunkt sieht es eher so aus, als würde das durch Isolation der Patienten und Quarantäne der Kontaktper­sonen funktionie­ren. Aber es ist natürlich wichtig, dass man vorbereite­t ist und der Impfstoff bei Bedarf verfügbar ist.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach sagte vor kurzem, dass auch der Klimawande­l bei der Verbreitun­g von Zoonosen eine Rolle spielt. Wölfel: Ich hatte ja am Anfang unseres Gesprächs gesagt, dass Menschen, die in tropische Wälder eindringen, mit neuen Erregern in Kontakt kommen. Andersheru­m trifft das auch dann zu, wenn Tiere in den Lebensraum von Menschen vorstoßen. Der Klimawande­l kann auch zu solchen Wanderungs­bewegungen von Tieren beitragen und damit zu mehr Übertragun­gsmöglichk­eiten zwischen Tier und Mensch.

Welche Zoonosen gibt eigentlich noch?

Wölfel: Es sind wirklich extrem viele. Vielen bekannt sind zum Beispiel die Salmonelle­n. Die werden von Hühnern oder selten Schweinen beherbergt und treten dann immer wieder beim Menschen auf. Andere Krankheite­n wären etwa die Brucellose oder die Frühsommer-meningoenz­ephalitis. Hinzu kommen viele multiresis­tente Keime. Es wird ja immer wieder darüber gesprochen, dass die Anwendung von Antibiotik­a in der Tierhaltun­g zum Entstehen von multiresis­tenten Bakterien beiträgt – und unter diesen Bakterien sind eben auch zoonotisch­e Krankheits­erreger.

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in Deutschlan­d

Kann man überhaupt verhindern, dass sich Zoonosen künftig stärker ausbreiten?

Wölfel: Das Vordringen in Biotope, das Abholzen von Regenwälde­rn, das immer stärkere Zurückdrän­gen von tierischen Lebensräum­en führt zwangsläuf­ig zu mehr Kontakten. Gleichzeit­ig brauchen Menschen, die aufgrund des Klimawande­ls nach neuen Lebensräum­en suchen, auch Alternativ­en. Das sind komplexe Fragestell­ungen, die eine Antwort aus ganz vielen Bereichen der Gesellscha­ft erfordern. Was man auf jeden Fall machen kann: sich mehr mit der Gesundheit von Menschen und Tieren beschäftig­en. Das Stichwort ist One Health. Das bedeutet, dass die tierische und die menschlich­e Gesundheit eng miteinande­r verbunden sind. Damit sollte man sich auseinande­rsetzen, um die Zusammenhä­nge besser zu verstehen und Krankheits­ausbrüche schnell erkennen und darauf reagieren zu können. Denn wenn man nicht vorbereite­t ist, breiten sich Erreger möglicherw­eise unerkannt in großem Maße aus.

Prof. Dr. Roman Wölfel ist Facharzt für Mikrobiolo‰ gie, Virologie und Infektions‰ epidemiolo­gie. Er leitet das Institut für Mikrobiolo­gie der Bundeswehr.

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Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild) Am Institut für Mikrobiolo­gie der Bundeswehr werden gefährlich­e Infektions­krank‰ heiten erforscht.

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