Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein ganz besonderer Emmoment
Fußball-profis haben auch eine soziale Verantwortung. Vor dem Spiel am Samstag in Ungarn wird an den Herzjubel von Leon Goretzka erinnert.
Herzogenaurach Die Daumen und Zeigefinger zu einem Herzen vor der Brust vereint. Der Blick fest in Richtung des schwarzen Mobs auf der Tribüne. Seht her, Liebe lässt sich nicht verbieten! Mit seinem Torjubel beim 2:2 im Gruppenspiel gegen Ungarn vor fast genau einem Jahr sorgte Leon Goretzka für den großen emotionalen Em-moment. Am Samstag (20.45 UHR/RTL) geht es für die Fußball-nationalmannschaft in Budapest wieder gegen Ungarn und natürlich wurde Goretzka schon auf die über die große sportliche Bedeutung seines Treffers hinaus bewegende Szene angesprochen. Sie war schließlich das telegene Symbol einer Generation mündiger Fußball-profis, die gesellschaftliche Themen weder ignoriert, noch ignorieren kann.
„Das kam schon so ein bisschen aus dem Bauch raus, da hat auch vieles zusammengepasst, auch mit dem ganzen Thema davor, ob wir die Allianz Arena in den Regenbogenfarben anstrahlen dürfen oder nicht. Deswegen hat das ja natürlich sehr gut reingepasst“, sagte Goretzka vor dem Abflug der DFB-ELF am späten Freitagnachmittag nach Budapest. Ungarn und seine damals in München unangenehm agierenden Fans stehen weiter für die reaktionären Kräfte in der sozialen Fußball-welt. Englands Spieler wurden
vergangene Woche für ihren Kniefall gegen Rassismus dort lautstark ausgebuht, obwohl nach einer Uefasperre doch überwiegend nur Kinder im Stadion sein sollten.
Für die deutschen Fußball-stars ist die offene Auseinandersetzung mit sozialen Themen längst Common Sense – die Öffentlichkeit erwartet sie sogar, die Fans finden sie gut oder akzeptieren sie zumindest. Die Nationalmannschaft führt ihr sportliches Geschäft unter einem gesellschaftlichen Brennglas. Sie ist Projektionsfläche für fast alle Trends und Themen. Die Coronapandemie mit vielen komplizierten
und kontroversen Facetten war da ein Beispiel. Rund um den Juniviererpack der DFB-ELF in der Nations League reihen sich Aktionen nun förmlich aneinander: In Herzogenaurach liefen Thomas Müller und Co. mit Mitarbeitern von Sponsor Adidas beim „Run for the Oceans“für saubere Meere. Per Podiumsdiskussion folgte eine zweite Aufklärungsstunde von Experten über die schwierige Menschenrechtslage im Wm-gastgeberland Katar. Goretzka saß mit Müller, Joshua Kimmich und Serge Gnabry in der ersten Reihe. Unter Applaus der Zuschauer knieten dann die Dfbstars
am Dienstag gemeinsam mit den Engländern vor ihrem Spiel in der Allianz Arena. Und während der Partie wurde auf der Anzeigetafel auch noch das in den Regenbogenfarben leuchtende Stadion von außen gezeigt. Mit einem Jahr Verspätung bekam auch dieses Symbol für freie Liebe nach dem scharf kritisierten Uefa-verbot während der EM seine Strahlkraft. Bei seinem Pressekonferenzauftritt vor dem Nations-league-auftakt ging die erste Frage an Goretzka nicht um Form und Fitness im Dfb-trikot, sondern um sein „11-Freunde“-cover im Schiedsrichter-look. Mehr Respekt für Referees sei ihm ein Anliegen, sagte der 27-Jährige.
Droht jetzt – ausgerechnet ein halbes Jahr vor der Katar-wm – womöglich eine Überdosis an sozialem Gewissen? Goretzkas Herzjubel wurde auch hymnisch gefeiert, weil er spontan und authentisch war und nicht einer der Imagekampagnen eines sonst in Skandale verstrickten Verbandes und seiner Funktionärselite entsprang. „Wir sind uns bewusst, dass wir eine große Reichweite haben“, sagte Goretzkas Bayernund Dfb-kollege Kimmich. Oliver Bierhoff macht schon seit Monaten den Spagat zwischen Sport und Politik. „Es gibt nicht diese eine Wahrheit“, sagte der Dfb-direktor beim Katar-workshop.