Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Bürokratie bringt Geflüchtete an ihre Grenzen
Der Staat verspricht unbürokratische Hilfe für Menschen aus der Ukraine, aber die Kommunen tun sich schwer damit. Ein Augsburger Beispiel.
Die von der Regierung versprochene unbürokratische Hilfe für in Deutschland angekommene ukrainische Flüchtlinge stößt an ihre Grenzen. Nach Ankerzentrum, Ausländerbehörde und Sozialamt werden sie laut Tanja Hoggankloubert nun vom Jobcenter angeschrieben und sollen wieder Formulare ausfüllen. Am Info-point des Deutsch-ukrainischen Dialogs am Königsplatz kommen ratlose Menschen mittlerweile mit Ordnern voller Schriftverkehr an und erbitten Hilfe. Geflüchtete, die nie in einem solch bürokratischen System zu Hause waren, sagt Kloubert, resignieren. „Denn wir am Info-point schaffen vielleicht 35 Leute pro Tag.“Die Zahl derer, die Hilfe benötigen, sei ungleich höher.
Seit Galina vor gut drei Monaten ihre Heimat Luzk in der Ukraine verließ und nach Deutschland kam, ist für sie nichts mehr selbstverständlich. Freuen kann sie sich in den Kriegswirren über die Familienzusammenführung mit ihrem Mann Oleksandr, mit dem sie und Sohn Dima eine eigene Wohnung der AWO im Herrenbach bezogen haben. Sie sind in Sicherheit. Doch nun muss sich die 45-Jährige mit Schwierigkeiten auseinandersetzen, die sie erneut an die Grenze der Belastbarkeit bringt. Es ist der Kampf durch eine Flut von Formularen.
Erst im September hatte ihr Mann Oleksandr in einem Altenheim seine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft angetreten. Das Paar ist seit seiner Wiedervereinigung darum bemüht, alles richtig zu machen, um in der fremden Umgebung heimisch zu werden. Gar nicht so einfach: Jetzt soll er bis Monatsende seine Bankverbindung und seine Besitzverhältnisse in der Ukraine offenlegen. Als Erstes wurde aber der Antrag auf Registrierung abgelehnt, weil bei der zuständigen Behörde eine wesentliche Auskunft unter den Tisch fiel.
Viele Geflüchtete aus der Ukraine kommen zum Infopoint am Königsplatz, um Hilfe für bürokratische Anliegen zu bekommen. Marina Sidak vom Deutschukrainischen Dialog, die Ukrainerin Viktoriia Kaliesnileova sowie die Helferinnen Teresa Frohnwieser und Irina Gröger (von links) haben oder beantworten Fragen.
der Bezirksverband der Arbeiterwohlfahrt als „Wohnungsgeber“in Stadtbergen ansässig ist, sei der Landkreis und nicht die Stadt Augsburg zuständig, hieß es. Zwei Zeilen weiter wäre deutlich geworden, dass sich besagter Wohnraum in Augsburg befindet. Ein Versehen des Amtes, das jetzt die Mieter zu spüren bekommen. Gerade die Wohnungssuche gehe oft mit Enttäuschungen einher – für Deutsche ebenso wie für Ukrainer, geschweige denn für Afghanen oder Syrer.
Die Fachleute vom Info-point nennen die Situation „kompliziert“, auch wenn sie angeben, es sei seit Beginn des Krieges „schon besser geworden“. Auf etwa 90 Prozent der Hilfesuchenden beziffern sie die Quote derer, denen sie auch helfen können. So seien die Formulare ge
und übersetzt worden. Dennoch komme man bei gewissen Problemfällen – gerade im medizinischen Bereich – an Grenzen. So wie im Fall von Galina und Oleksandr. Am Samstag trennen sie sich wieder für drei Wochen, weil Galina mit dem Sohn heimreist, um dort Dringliches zu regeln.
Auch die Lebenshaltung in Deutschland ist mühsam. Denn die staatlich zugesicherten Hilfen wurden erst einmal nicht ausbezahlt. Mutter und Sohn entgingen dadurch gut 500 Euro im Monat. Bis vor wenigen Tagen das Geld ausbezahlt wurde, lebte die dreiköpfige Familie von der Ausbildungsvergütung des Vaters. Auch die Lebensmittelgutscheine, die ihnen zugesichert wurden, entpuppten sich als Hemmschuh. Während sie laut Soweil
zialamt in jedem Geschäft einzulösen gewesen wären, wurden sie tatsächlich überall abgelehnt. Lediglich Aldi und Lidl akzeptierten sie.
Der Weg zum Briefkasten ist inzwischen gefürchtet. „Welche Überraschung wird er bereithalten?“, fragt sich die Familie jeden Tag. Jüngst war es ein Schreiben des Sozialamtes, das darauf hinwies, dass noch folgende Unterlagen benötigt würden: der Nachweis über Familienversicherung bei der Krankenkasse, die Lohnabrechnungen vergangener Monate, der Kindergeldbescheid, der Kindergeldzuschlagsbescheid, die Bescheide über Berufsausbildung, Wohngeld und die Änderung der Lohnsteuerklasse.
Obwohl Oleksandr über gute Deutschkenntnisse verfügt, kann er mit so manchem Wort nichts anfankürzt
gen. „Was bitte ist ein Kindergeldzuschlagsbescheid?“Wie ergeht es da erst Flüchtlingen, die noch am Anfang ihres Spracherwerbs stehen? Das fragen sich auch die Mitglieder vom Ukrainischen Verein und vom Info-point Deutsch-ukrainischer Dialog. So gehe es inzwischen vielen, sagen sie. Verunsicherung, Resignation, ja Angst machten sich mit Erhalt eines jeden Schreibens breit. Aufgrund der Fülle von Papieren seien die beglaubigten Übersetzer mittlerweile überlastet.
Viele der Geflüchteten stehen laut Tanja Kloubert kurz vor der Kapitulation. Auch die Familie im Herrenbach. Für die Verständigung im Alltag versucht sich Galina täglich einige Worte Deutsch einzuprägen. Ansonsten ist der Handyübersetzer ihr ständiger Begleiter.