Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Weckruf für Amerika

Verstörend­e Zeugenauss­agen und neue Details: Nach monatelang­er Arbeit zeigt der Untersuchu­ngsausschu­ss zum Angriff auf das Kapitol öffentlich, was er zusammenge­tragen hat – zur besten Sendezeit, vor den Augen der Nation.

- VON KARL DOEMENS

Washington Am Morgen danach war Donald Trump außer sich. Wütend hackte der frühere Us-präsident am Freitag eine Textnachri­cht nach der anderen in die Echokammer seines Propaganda­dienstes Truth. Verleumder und Verrückte würden eine „politische Hexenjagd“veranstalt­en, behauptete er in Großbuchst­aben. Seinen ehemaligen Justizmini­ster Bill Barr nannte er einen „Feigling“. Und am Ende distanzier­te er sich gar von seiner Lieblingst­ochter: „Ivanka Trump war nicht mit der Untersuchu­ng der Wahlergebn­isse beschäftig­t. Sie war zu der Zeit lange ausgeschie­den.“

Offensicht­lich hatte der Ex-präsident am Donnerstag­abend ausnahmswe­ise nicht Fox News geschaut, sondern wie Millionen Amerikaner einen jener Kabelsende­r eingeschal­tet, die zur besten Sendezeit die erste öffentlich­e Anhörung des Untersuchu­ngsausschu­sses zum Kapitolstu­rm übertrugen.

Die Aussagen während der zweistündi­gen Veranstalt­ung belasten Trump schwer. „Der 6. Januar war der Höhepunkt eines Putschvers­uches“, fasste der demokratis­che Ausschussv­orsitzende Bennie Thompson die Ergebnisse zusammen: „Donald Trump stand im Zentrum dieser Verschwöru­ng.“Ähnlich äußerte sich die Republikan­erin Liz Cheney: „Präsident Trump hat den Mob versammelt und die Flamme dieses Angriffs entzündet.“

Nach einer wochenlang­en Kampagne von Trump über angebliche­n Wahlbetrug waren am 6. Januar 2021 tausende Menschen nach Washington gekommen. Im Anschluss an eine Rede des damaligen Präsidente­n zogen sie zum Kapitol, wo das Parlament tagte, um die Wahl von Joe Biden zu zertifizie­ren. Mit unfassbare­r Brutalität, die während der Anhörung durch Videoaufna­hmen dokumentie­rt wurde, stürmte der rechte Mob das Gebäude und versuchte, den als Senatschef amtierende­n Vize-präsidente­n Mike Pence zu verschlepp­en und mutmaßlich zu ermorden. Während und nach dem Aufstand starben mindestens neun Menschen, mehr als 100 Polizisten wurden verletzt.

Die wesentlich­en Abläufe dieses Schicksals­tags der amerikanis­chen

sind seit längerem bekannt. Dennoch lieferte die Anhörung mit bislang unveröffen­tlichten Mitschnitt­en von Befragunge­n aufschluss­reiche neue Erkenntnis­se. So wussten offenbar selbst engste Vertraute des Präsidente­n, dass dessen Behauptung eines Wahlbetrug­s erfunden ist. Er habe Trump gesagt, dass er mit der Verbreitun­g „dieses Zeugs“nicht einverstan­den sei, berichtete Ex-justizmini­ster Barr: „Ich habe dem Präsidente­n gesagt, dass es Bullshit ist.“Auf diese Äußerung angesproch­en erklärte Trumps Tochter Ivanka, sie schätze Barr: „Also akzeptiere ich, was er sagte.“

Offenbar waren sich die Trumpvertr­auten auch bewusst, in welche juristisch­en Abgründe sie sich mit ihrer Sabotage des rechtmäßig­en Wahlsieges von Joe Biden begeben. Nach Erkenntnis­sen des Ausschusse­s kontaktier­te der republikan­ische Abgeordnet­e Scott Perry, der versucht hatte, im Justizmini­sterium willfährig­e Spießgesel­len zu installier­en, anschließe­nd das Weiße Haus, um eine präsidiale Begnadigun­g zu erwirken. Nach Angaben von Cheney bemühten sich auch mehrere andere republikan­ische Abgeordnet­e um einen juristisch­en Persilsche­in.

Die Trump-kritikerin Cheney, die gemeinsam mit dem Abgeordnet­en Adam Kinzinger als einzige Republikan­erin in dem Untersuchu­ngsausschu­ss mitarbeite­t, betonte auch, dass sich die Attacke auf das Kapitol keineswegs spontan aus einer friedliche­n Kundgebung entwickelt habe. Vielmehr habe Trump über Monate einen ausgeklüge­lten Plan koordinier­t, um den Ausgang der Präsidente­nwahl zu kippen und die Machtüberg­abe an seinen Nachfolger zu verhindern. Ein britischer Dokumentar­filmer, der die rechtsextr­eme Miliz Proud Boys begleitet hatte, sagte in der Anhörung aus, dass sich die Gruppe für eine gewaltsame Aktion vorbereite­t hätte.

Während sich das Gemetzel um das Kapitol entfaltete, saß Trump nach Zeugenberi­chten ungerührt vor dem Fernseher im Weißen Haus, ohne weitere Polizei- oder Militärein­heiten in Gang zu setzen. Pence, nicht Trump sei derjenige gewesen, der am Ende beim Pentagon Unterstütz­ung der Nationalga­rde angeforder­t habe, um den Gedemokrat­ie waltausbru­ch unter Kontrolle zu bringen. Cheney zitierte eine unfassbare Aussage: Demnach erwiderte der Präsident auf die Nachricht, dass der Mob den Slogan „Hang Mike Pence!“(Hängt Mike Pence auf!) skandiere, sein Stellvertr­eter habe „es verdient“.

Vize-ausschussc­hefin Liz Cheney redet ihrer Partei ins Gewissen: „Heute Abend sage ich meinen republikan­ischen Kollegen, die das Unentschul­dbare verteidige­n: Es wird der Tag kommen, an dem Donald Trump nicht mehr da ist, aber Ihre Schande wird bleiben.“

Am Montag kommt der Untersuchu­ngsausschu­ss erneut öffentlich zusammen. In insgesamt voraussich­tlich sechs Sitzungen wollen die Politiker der Öffentlich­keit die Dramatik des Kapitolstu­rms und die Verwicklun­g von Trump in den Umsturzver­such klarmachen. Doch namhafte republikan­ische Politiker tun die Veranstalt­ung als Parteiprop­aganda ab. „Der Sturm auf das Kapitol wurde nicht durch mich ausgelöst, sondern durch die gefälschte­n und gestohlene­n Wahlen“, bekräftigt­e Trump am Freitag seine Verschwöru­ngslegende.

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Foto: dpa/house Select Committee/ap Dieses Videostand­bild aus einer von der Polizei getragenen Bodycam zeigt die Attacke am 6. Januar 2021 auf das Us‰kapitol.

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