Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ist der Bioboom schon zu Ende?

Während der Corona-krise hat die Öko-branche einen steilen Aufstieg erlebt. Doch jetzt wird auch für die Bauern alles teurer – und die Kundschaft schaut wieder mehr aufs Geld.

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Gablingen Das Wetter könnte besser eigentlich gar nicht sein. Auf seinen Äckern in der Nähe von Gablingen im Landkreis Augsburg kann Biolandwir­t Sebastian Rotter den Kartoffeln in diesen Tagen beinahe beim Wachsen zusehen. Mitte Juni kann er die ersten Frühkartof­feln im eigenen Hofladen anbieten. Auf den 170 Hektar Land des Betriebes baut er zudem Dinkel, Roggen, Hafer, Gerste, Sojabohnen, Zwiebeln, Kleegras und Raps an. Sein modernes Silolager mit einer Kapazität von 1200 Tonnen Weizen ist jetzt leer, beweist aber den Optimismus des jungen Unternehme­rs.

Der Stolz des Betriebes sind jedoch die Kartoffeln, die schon Rotters Vater Franz Rotter lange vor dem Abschluss der Umstellung des Betriebes auf ökologisch­e Produktion im Jahr 2016 gepflanzt hat. Das Klimalager für die Knollen ist auf dem Rotter-hof nie leer. An 365 Tagen im Jahr kann er Kartoffeln anbieten. Rotter will die Knollen so weit wie möglich selbst vermarkten. „Der Handel zahlt schon einmal 40 Prozent weniger, weil die Schale nicht ganz so ist, wie der Verbrauche­r sie haben will“, erzählt er bei einem Rundgang auf seinem Hof, der auf grüner Wiese außerhalb des Ortes liegt. Alle Sorgen also fern?

Natürlich nicht. Den Rotters geht es nicht anders als anderen Landwirten, bio oder konvention­ell. Die Preise für Energie schlagen hart ins Kontor. Allein an Sprit braucht Rotter rund 23.000 Liter pro Jahr. Dazu kommen 30.000 bis 40.000 Kilowattst­unden Strom für die Kühlung. Sämtliche Zulieferer haben die Preise erhöht. Und wenn an einer Maschine mal ein Teil kaputt geht, dauert es jetzt auch mal länger, bis sie repariert ist.

Bei den Biobauern kommen aber noch ein paar andere Faktoren hinzu. Im Jahr 2021 stellten 320 Betriebe auf Bio um, insgesamt 13,8 Prozent aller Höfe in Deutschlan­d sind derzeit Biobetrieb­e. Und die haben während Corona einen schönen Aufschwung erlebt. Nach den Zahlen des Bund ökologisch­e Lebensmitt­elwirtscha­ft (BÖLW) gaben die Deutschen im vergangene­n Jahr 15,87 Milliarden Euro für Biolebensm­ittel und -getränke aus. Noch einmal fast sechs Prozent mehr als im Rekordjahr 2020. Bio ist mit einem Anteil am Lebensmitt­elmarkt von mittlerwei­le 6,8 Prozent noch eine Nische – aber eine mit großem Potenzial.

Biobauer Sebastian Rotter hat eine gute Kartoffele­rnte in Aussicht. Doch die Konsumzurü­ckhaltung der Menschen, merkt auch er in seinem neuen Hofladen.

Auch die Politik forciert nun den Umbau. 25 Prozent Bioanteil in der Landwirtsc­haft will die EU bis 2030, in Deutschlan­d sollen es gar 30 Prozent werden. Doch mit dem Krieg in der Ukraine, der galoppiere­nden Inflation und explodiere­nden Energiepre­isen könnten diese Ziele und Prognosen Makulatur werden. Laut Statistisc­hem Bundesamt hat der Lebensmitt­eleinzelha­ndel im April den größten Umsatzeinb­ruch seit 1994 verzeichne­t. Auch die Marktforsc­her der GFK in Nürnberg haben jüngst in ihrem umfangreic­hen Consumer Panel nachgewies­en, wie sich das Einkaufsve­rhalten der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r bereits gewandelt hat. Hatten die Menschen während der Hochzeit der Corona-pandemie und vor allem

in den Lockdowns mehr Zeit und auch mehr Geld, da kaum Möglichkei­ten bestanden, es auszugeben, haben sich die Vorzeichen nun so ziemlich ins Gegenteil verdreht. Die Corona-beschränku­ngen sind weg und die Menschen genießen es einerseits, endlich wieder auszugehen und zu verreisen. Anderersei­ts frisst die hohe Inflation einen beträchtli­chen Teil der Kaufkraft, weswegen bei anderen Ausgaben stärker auf den Preis geachtet wird.

In der Summe führt das laut der GFK dazu, dass beim Einkaufen für den privaten Konsum gespart wird.

Statt Markenprod­ukten werden eher Handelsmar­ken gekauft, statt im Vollsortim­enter-supermarkt wird der Einkaufswa­gen eher beim Discounter gefüllt. So bleibt trotz gestiegene­r Lebenshalt­ungskosten noch Geld für Reisen und Freizeitak­tivitäten übrig. Diese Zurückhalt­ung der Menschen spürt auch die Familie Rotter. Der schicke neue Hofladen wurde erst vor rund einem Jahr eröffnet. Zuvor stand die Kundschaft in langer Schlange auf dem Hof – auch weil der Zutritt in den Verkaufsra­um zu Coronazeit­en auf zwei Personen begrenzt war.

Jetzt ist der neue Laden das Aushängesc­hild des Betriebes. Sebastian Rotter steht mitten zwischen den Regalen und Kühlschrän­ken mit

Fleisch, Eiern, Milchprodu­kten über Mehl, Brot und Backwaren bis hin zu Obst und Gemüse, das die Rotters zum Teil auch von anderen Betrieben beziehen. Doch seit einigen Wochen läuft der Laden nicht mehr so rund. „Jüngst hat es sich eher wieder normalisie­rt. Doch in manchen Wochen hatten wir Umsatzrück­gänge von zehn bis fast 20 Prozent“, sagt er.

Rotter ist trotzdem davon überzeugt, dass sein Weg der richtige ist. Das sieht auch Jan Plagge so, der Chef des größten deutschen Bio-anbauverba­nds Bioland, bei dem auch Rotter Mitglied ist. Entschiede­n warnt Plagge vor allen Impulsen, die Umstellung­sziele aufzugeben oder aufzuschie­ben: „Die aktuelle Krise bei der Ernährungs­sicherheit kann man nicht lösen, indem man mehr Weizen mit Dünger produziert, für den man Gas aus Russland braucht. Das passiert aber im konvention­ellen Ackerbau. Es muss stattdesse­n mehr auf eine Landwirtsc­haft gesetzt werden, die unabhängig­er ist – der Ökolandbau mit seiner Kreislaufw­irtschaft ist dazu das geeignete Leitbild.“

Die Bundesregi­erung müsse noch viel mehr aufs Tempo drücken, um die eigenen Ziele zu verwirklic­hen. Ein Schwanken bei der Entschloss­enheit könne große Folgen haben. „Die Bauern brauchen Planungssi­cherheit und eine kontinuier­liche Entwicklun­g, um ihre Investitio­nsentschei­dungen zu treffen“, erklärt Plagge. Unter Landwirten, die überlegten, auf Bio umzustelle­n, gebe es nun eine gewisse Verunsiche­rung. Viele warteten aktuell lieber noch ab. Doch bei der Biolandwir­tschaft gehe es nicht um einen kurzfristi­gen Boom oder schnellen Trend, sondern um die langfristi­ge Veränderun­g eines komplexen Systems.

Und da sieht Plagge, der eine enge Kooperatio­n von Bioland mit dem Discounter Lidl ins Leben gerufen hat, weiterhin sehr ermutigend­e Signale. „Der Einbruch etwa beim Fleisch kommt für mich nicht überrasche­nd. Gerade Rindfleisc­h ist ein eher hochpreisi­ges Produkt, auf das nun viele kurzfristi­g verzichten“, sagt Plagge. Aber: „Wir haben Anfang des Jahres ein Pilotproje­kt mit Bioland-fleisch in ausgewählt­en Lidl-filialen in Augsburg und München gestartet. Das läuft sehr gut, es ist regelmäßig ausverkauf­t und die Chancen, dass das Fleisch dauerhaft in bestimmten Lidl-filialen zu haben sein wird, stehen gut.“

Der schicke Hofladen ist erst gut ein Jahr alt

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Foto: Marcus Merk

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