Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Juwelen der alpinen Welt

Einst waren sie Sehnsuchts­orte von Dichtern und Malern, heute werden manche Bergseen von Selfie-jägern überrannt. Beobachtun­gen bei einer Tour durch die Allgäuer Alpen.

- VON MICHAEL MUNKLER

Oberstdorf Sie schimmern tiefblau oder smaragdgrü­n, sind meist umrahmt von majestätis­chen Gipfeln, die sich im Wasser spiegeln: Die Hochgebirg­sseen in den Alpen, von denen es geschätzt etwa 4000 gibt. Schon der österreich­ische Dichter und Maler Adalbert Stifter sah in einem Bergsee „ein unheimlich­es Naturauge“und erkannte ein „jungfräuli­ches Schweigen“. Ehrfurcht vor der Natur lehre dieser Anblick.

Doch mit dieser Ehrfurcht ist es vielerorts in den Bergen längst vorbei. Beispiel Schrecksee in den Allgäuer Hochalpen: Obwohl er weit abgelegen liegt und der Fußmarsch dorthin von Bad Hindelang-hinterstei­n etwa drei Stunden dauert, wird der See seit Jahren richtiggeh­end überrannt. Scharenwei­se pilgern Feierwütig­e und Selfie-jäger hinauf auf über 1800 Meter, oft angelockt durch Veröffentl­ichungen in sozialen Medien. Manche kommen sogar in Sandalen oder Flip-flops. Und müssen dann unter Umständen von Bergwachtl­ern wegen Fußproblem­en versorgt werden. So wie am Unteren Gaisalpsee bei Oberstdorf. Beide Ziele gelten als touristisc­he Hotspots im Allgäu. Einheimisc­he gehen da schon gar nicht mehr hin. Seit Jahren gehen Behörden, Polizei und Naturpark-ranger immer wieder gegen feiernde Camper an den Seen vor. Wer beim Biwakieren oder Zelten im Naturschut­zgebiet erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro rechnen. Inzwischen habe sich durch das konsequent­e Eingreifen die Situation etwas entspannt, glaubt Karl Schindele, Chef des Kemptener Wasserwirt­schaftsamt­es. Gefährdung­en des empfindlic­hen Ökosystems gebe es aber auch durch eine zu intensive Viehhaltun­g im unmittelba­ren Uferbereic­h mancher Seen.

Entstanden sind die meisten Gebirgssee­n in den Alpen gegen Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren durch den starken Gletscher-rückgang. Am Ende von Moränen staute sich das Wasser. Andere Gewässer bildeten sich erst am Ende der „kleinen Eiszeit“nach den 1850er Jahren. Oder Hang- und Bergstürze bewirkten einen Aufstau des Wassers.

Eiskalt und tiefblau ist der Rappensee, nach dem die gleichnami­ge Hütte des Deutschen Alpenverei­ns benannt ist. Er liegt hinter Oberstdorf nahe der Grenze zu Vorarlberg und gilt mithin auch als südlichste­r See der Republik. Wärmer als zehn oder zwölf Grad wird das Wasser hier, auf 2047 Metern Höhe, auch an heißen Juli-tagen nicht. Und doch suchen manche Wanderer Abkühlung, machen einige hektische

Schwimmzüg­e in den eiskalten Fluten. Generell ist das Baden in Bergseen nicht verboten. Besucher sollten sich aber auf den Wegen halten, um die sensible Ufervegeta­tion nicht zu schädigen.

Piet Linde vom Kemptener Wasserwirt­schaftsamt macht etwas, was eigentlich streng verboten ist: Er schippert mit einem selbst gebauten und hinauf geschleppt­en Spezialrud­erboot über den 1880 Meter hoch gelegenen Engeratsgu­ndsee im Nebelhorn-gebiet. Der Biologe darf das. Denn er sammelt Daten für ein auf viele Jahre angelegtes Klimafolge­n-monitoring des Landesamte­s für Umwelt. Untersucht werden die Auswirkung­en der fortschrei­tenden Erwärmung auf das Ökosystem von Bergseen. An den an Bojen befestigte­n Ketten sind Sensoren angebracht, die beispielsw­eise Temperatur und Sauerstoff­gehalt in den unterschie­dlichen Wasserschi­chten messen und diese Daten speichern. Linde muss in regelmäßig­en Abständen die Batterien austausche­n und die Daten sichern. Auch der nahe gelegene Laufbichls­ee (2020 Meter) unterhalb des Hindelange­r Kletterste­igs wird im Rahmen des Monitoring­s untersucht. „Das sind extreme Lebensräum­e“, sagt Linde über die Gebirgssee­n, die viele Monate im Jahr eisbedeckt sind. Gibt es dort überhaupt Fische? Elritzen habe er im Engeratsgu­ndsee schon gefunden, antwortet der Biologe. Diese Fischart sei sehr anpassungs­fähig. Auch Saiblinge bevorzugen das kalte und klare Wasser in Bergseen, das sehr nährstoffa­rm ist. Zudem leben in einigen Allgäuer Bergseen Forellen, die irgendwann eingesetzt wurden.

In der Alpenweit wird in den kommenden Jahren nach Einschätzu­ng der Geologisch­en Bundesanst­alt in Wien die Zahl der Bergseen noch zunehmen – bedingt durch den massiven Gletschers­chwund infolge der fortschrei­tenden Erwärmung. Darunter seien dann aber auch ganz kleine Gewässer, die vielleicht schon bald wieder verschwind­en. Kleine temporäre Seen trocknen in zunehmend heißeren Sommern vorübergeh­end ganz aus.

„Jungfräuli­ches Schweigen“(Stifter) herrscht am Eissee nahe der Grenze zwischen dem Oberallgäu und Tirol, in dem sich das Rauhhorn-massiv spiegelt. Selbst im Frühsommer schwimmen oft noch Eisreste im See. Das hat ihm seinen Namen gegeben. Der Blick von oben auf das Gewässer erinnert an Adalbert Stifters Vergleich mit einem „unheimlich­en Naturauge“in der wilden Berglandsc­haft. Wer spürt da nicht – wie der Dichter und Maler – die Ehrfurcht vor der Natur?

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Fotos: Michael Munkler (3), Reinhard Tandler Von tiefblau bis smaragdgrü­n schimmern die Bergseen zwischen den majestätis­chen Gipfeln der Alpen (im Uhrzeigers­inn): Schrecksee, Gaisalpsee, Piet Linde auf dem En‰ geratsgund­see und der Rappensee.
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