Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Alltag eines „Plagiatsförsters“
Wenn Jochen Zenthöfer sich wissenschaftliche Arbeiten vornimmt, kann das für die Urheber unangenehm werden. Er glaubt, dass bei rund zehn Prozent aller Dissertationen in Deutschland Zweifel angebracht sind.
Ludwig Erhard brachte Martin Huber, dem Generalsekretär der CSU, den ganzen Ärger ein. Genauer gesagt sein Vorname. Der ehemalige Bundeskanzler wurde nämlich in der Dissertation des Csu-politikers zum Thema „Der Einfluss der CSU auf die Weltpolitik der Bundesrepublik Deutschland von 1954 bis 1969 im Hinblick auf die Beziehungen zu Frankreich und den USA“mehrfach erwähnt. Huber nannte ihn, wie es wissenschaftlicher Usus ist, immer nur mit seinem Nachnamen. Einige Male aber auch mit dem vollen Namen, und das machte Jochen Zenthöfer misstrauisch.
Der Jurist und Wirtschaftswissenschaftler schreibt für die Frankfurter Allgemeine über wissenschaftliche Arbeiten, kürzlich ist sein Buch „Plagiate in der Wissenschaft. Wie Vroni Plag Wiki Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt“(Transcript Verlag) herausgekommen. Für eine Zeitungskolumne hatte Zenthöfer Hubers Arbeit vor einiger Zeit schon einmal in der Hand, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Als Huber nun Generalsekretär der CSU wurde, habe er sich sehr gewundert, ob denn keiner dessen Arbeit vorher geprüft habe, nachdem die Partei bereits mit den ehemaligen Ministern Guttenberg und Scheuer zwei prominente Plagiatsfälle hatte.
Die unterschiedliche Namensnennung in Hubers Dissertation führte Jochen Zenthöfer direkt zu Guido Knopps populärwissenschaftlichem Werk „Die Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“, aus dem Huber offenbar einige Passagen übernommen hatte, ohne sie kenntlich zu machen. „Dummerweise hat er vergessen, den Vornamen zu löschen“, sagt Zenthöfer, der in Luxemburg lebt, in nüchternem Ton am Telefon.
Eine Nachlässigkeit mit Folgen, denn nun wird die Dissertation von der Ludwig-maximilians-universität (LMU) bekanntlich überprüft. Wer bei der LMU nachfragt, wird auf eine kurze Erklärung auf der Website der Universität hingewiesen, äußern will sich derzeit niemand von der Prüfungskommission dazu, selbst wenn es gar nicht um den konkreten Fall Huber gehen soll, sondern um Plagiate in der Wissenschaft im Allgemeinen und welche Rückschlüsse dies auf die Qualität der Wissenschaft im Besonderen zulässt.
Jochen Zenthöfer ist dagegen auskunftsfreudig und führt aus, dass etwa 80 Prozent der Dissertationen in Deutschland ohne Fehl und Tadel seien. Die restlichen 20 Prozent lägen „im Graubereich“, enthielten also vereinzelt plagiierte Passagen, die aber nicht den Entzug eines Doktortitels rechtfertigten. Von
Sinkt der wissenschaftliche Standard? Immer wieder kommen Fälle ans Licht, in denen in wissenschaftlichen Publikationen Plagiate nachgewiesen werden können, also Text übernahmen, die nicht als solche gekennzeichnet sind.
handwerkliche Fehlern, Schlampereien, könne man sprechen, wenn es drei, fünf oder auch zehnmal vorkommt, dass Quellen nicht genannt würden, meint Zenthöfer. Systematisches Vorgehen könne man unterstellen, wenn es sich als durchgängige Arbeitsmethode herausstelle, dass fremdes Gedankengut in der Arbeit verwendet wurde, ohne als solches ausgewiesen zu werden. „Wenn Sie in einen Supermarkt gehen und ihre Produkte in einen Wagen legen und es rutscht eines in die Handtasche, dann ist man geneigt, von einem Versehen zu sprechen. Wenn sie aber zehn Artikel in ihrer Handtasche haben, dann ist es Diebstahl, genauso ist es mit dem geistigen Diebstahl auch“, vergleicht er und kann sich eine Pointe nicht verkneifen: „Bei Karl Theodor zu Guttenberg waren es 95 Prozent, das ist bisher der Goldstandard.“Schlussendlich sieht Jochen Zenthöfer etwa zehn Prozent der Dissertationen in Deutschland, die zweifelhaft sind. Anders übrigens die Situation in Russland und China. „Dort braucht man wissenschaftliche Veröffentlichungen, um beruflich weiterzukommen. Deshalb wurde in diesen Ländern viel Schindluder getrieben“, weiß Zenthöfer.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass sich die Fälle von Plagiatsnachweisen auch in Deutschland häufen: Nicht nur Politiker und Politikerinnen wie Karl Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan oder Franziska Giffey, deren Doktortitel ab
wurden, oder Außenministerin Annalena Baerbock, in deren Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“Zitate nicht ausreichend belegt wurden. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden überführt wie die Soziologin Cornelia Koppetsch; die Professorin der Technischen Universität Darmstadt sogar zum wiederholten Mal. 2019 war ihr vorgeworfen worden, in ihrem hochgelobten Buch „Die Gesellschaft des Zorns“Texte anderer Wissenschaftler verwendet und nicht als Quelle angegeben zu haben. 2021 kam es zu ähnlichen Vorwürfen, die auch eine Disziplinarmaßnahme gegen die Professorin nach sich zogen. Nun hat eine Untersuchungskommission der TU Darmstadt vor einigen Tagen erneut „eine gravierende Missachtung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis“in Koppetschs 2020 erschienenen Monographie „Rechtspopulismus als Protest“ausgemacht. Die
Jochen Zenthöfer sucht nach Plagiaten in der Wissenschaft.
Deutsche Gesellschaft für Soziologie sieht den erneuten Plagiatsvorwurf gegen Koppetsch in einer Stellungnahme als geeignet an, „die Dignität unseres Fachs zu untergraben“.
Noch einmal deshalb an Jochen Zenthöfer die Frage: Welches Bild gibt die Wissenschaft ab, wenn die Zahl der Plagiate immer mehr zunimmt? Oder liegt es allein an der Verfeinerung der Überprüfungsmethoden durch elektronische Verfahren, dass Plagiatsfälle mehr an die Öffentlichkeit dringen? Sicher, meint Zenthöfer, früher mussten die Opfer schon selbst feststellen, dass ihre wissenschaftlichen Forschungen kopiert werden. Wobei er von der Verwendung von Plagiatssoftware abrät und selbst auf Google Books zurückgreift. Die einschlägigen Programme seien nicht geeignet, auch Struktur-, Ideen- oder Übersetzungsplagiate zu entdecken.
Viel entscheidender für die zunehmende Zahl hält er jedoch die Entwicklung der Wissensgesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten. Immer mehr Studierende, immer mehr Forschende bringen auch immer mehr Promotionen und Publikationen mit sich. „Die Behauptung, früher seien die Sitten lascher gewesen, ist falsch“, schreibt Zenthöfer in seinem Buch. „Die wissenschaftlichen Standards bei Plagiaten waren 1990 oder 1960 nicht anders als heute.“Und natürlich werfe es kein gutes Licht auf die Wissenschaft, auf Doktorväter wie Doktoranden, wenn Plagiate bekannt wererkannt
den. Für wichtig hält er deshalb, die Bedeutung des Urheberrechts zu stärken und die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens schon zu Studienbeginn, besser aber noch in den Schulen, zu vertiefen. „Das ist der Schlüssel zu allem“meint er und weist darauf hin, dass seriöses wissenschaftliches Arbeiten ebenso ein kultureller Vorteil wie auch ein Wettbewerbsvorteil für Deutschland sei. Als Aufgabe der Universitäten sieht er es an, formelle Verfahren zu entwickeln, wie Plagiate überprüft werden und diesen Prozess transparent zu gestalten, damit die Öffentlichkeit ihr Vertrauen in die Wissenschaft nicht verliere. Ein nicht unwesentlicher Punkt, den Zenthöfer hier anspricht, denkt man daran, wie die Wissenschaft gerade jetzt im Kreuzfeuer steht.
Deshalb kann der Journalist öffentlich gewordenen Plagiaten positive Aspekte abgewinnen. „Die Wissenschaft wird besser, weil das System neue Mechanismen entwickelt, um gegen unseriöses Handeln vorzugehen.“Deshalb meldet er Plagiatsverdachtsfälle an die Plattform Vroni Plag Wiki, die im Gegensatz zur ähnlich klingenden Vroni Plag nicht kommerziell arbeitet und unter deren zu überprüfenden Fällen nur zu einem Bruchteil die Arbeiten Prominenter sind. „Ich bin kein Plagiatsjäger, der Politikern nachstellt“, macht er deutlich. „Ich bin ein Plagiatsförster, einer, der den Wald der Wissenschaft in Ordnung halten möchte.“