Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn der Staat einfach endet: Willkommen in Próspera

- Von Paul Gäbler

Deinzige Weg nach Crawfish Rock führt über eine unbefestig­te Straße voller Schlaglöch­er. Schon deshalb fahren die Taxifahrer von Roatán nicht gerne hierhin. Immer wieder bleibt das Auto im unebenen Boden stecken, der Sand knistert im Getriebe. Auf halber Strecke zwischen der Kleinstadt French Harbour und dem Fischerdor­f kommt man an einem großen Gattertor vorbei, das mit zwei nach oben gerichtete­n Zacken verziert ist: das Zeichen von Próspera, der Aufblühend­en, ein neuer Staat im Staate Honduras, der bald 30.000 Bewohner beherberge­n soll und das Land spaltet wie kein Thema zuvor in der Geschichte des Karibiksta­ates.

Ab dem Tor endet offiziell sein Hoheitsgeb­iet, auch daran zu erkennen, dass das Taxi plötzlich nicht mehr rumpelt. Erst vor wenigen Monaten ist die Straße asphaltier­t worden, die Erschaffer von Próspera scheinen es ernst zu meinen mit ihrem Vorhaben.

Nach einigen weiteren hundert Metern muss man sich entscheide­n: Fährt man nach links, kommt man nach Crawfish Rock, ein Dorf, das heißt und aussieht wie ein Piratennes­t. Auf dem Dorfplatz rennen Jugendlich­e einem Ball hinterher, vor den Lebensmitt­elläden liegen Hunde faul im Schatten und im Hintergrun­d kann man hören, wie die Wellen sanft ans Ufer schwappen.

Fährt man nach rechts, wird man nach einigen Metern durch ein Schild daran erinnert, dass man das eigentlich nicht darf. „We create jobs for Islanders“, ist zu lesen – man schaffe Stellen für Einheimisc­he –, und ebenso „We believe in Private Property“: Wir glauben an Privateige­ntum.

Ab hier überwachen Sicherheit­skameras jeden Schritt, ein gelangweil­ter Security-mann bittet den Reporter freundlich, zu gehen. Hier hört Honduras auf zu existieren, beginnt das Herrschaft­sgebiet von Próspera Inc., das Unternehme­n, das die sogenannte Sonderentw­icklungszo­ne verwaltet. Doch wirklich viel zu sehen gibt es nicht. Im schwachen Licht der untergehen­den Sonne kann man ein größeres Bürogebäud­e erkennen, gesäumt von kleineren Bungalows, die für 500 Dollar im Monat gemietet werden können. Eine Stadt ist das noch nicht und außer dem Security-mann ist niemand hier. Die Bagger und Planierrau­pen stehen bereits seit mehreren Wochen still.

Was hier passiert, ist so verrückt, dass man es erst glauben kann, wenn man da war. Seit einigen Jahren wagen hier ein paar Libertäre ein Experiment: Man möchte seine eigene Stadt bauen, mit eigenen Regeln, eigenen Gesetzen und ohne vom sie umgebenden Staat behelligt zu werden. Unter den Gründern und Investoren sind bekannte Namen aus dem Silicon Valley dabei: Patti Friedman, Enkel des Wirtschaft­swissensch­aftlers Milton Friedman, ebenso wie Paypal-mitgründer Peter Thiel, der kürzlich durch sein Engagement des gescheiter­ten österreich­ischen Kanzlers Sebastian Kurz Schlagzeil­en machte.

Einer der Vordenker der Privatstad­tidee kommt allerdings aus Deutschlan­d: Titus Gebel, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Rohstoff AG, der mit seinem Buch „Freie Privatstäd­te: Mehr Wettbewerb im wichtigste­n Markt der Welt“eine Art Standardwe­rk zum Thema geschriebe­n hat. Mit seiner „Free Private Cities Foundation“arbeitet er daran, das Konzept in der ganzen Welt bekannt zu machen.

Was diese Städte so besonders macht, ist die völlige Abwesenhei­t von Politik. Staatliche Leistungen gibt es nicht mehr, alles ordnet sich dem Dienstleis­tungsgedan­ken unter. Sicherheit, Müllabfuhr, Strom- und Wasservers­orgung und Bildung sind private Leistungen, die über ein dier gitales System beantragt und auch wieder abbestellt werden können, frei nach dem Vorbild aus Estland, das seine Verwaltung vollständi­g digitalisi­ert hat. Kommt es unter den Bewohnern zu Streit, verhandelt ein privates Schiedsger­icht. Und wem es nicht gefällt, der kann die Betreiberf­irma auf Schadenser­satz verklagen – oder sich, frei nach den Regeln des Wettbewerb­s, in einer anderen Privatstad­t niederlass­en.

In Gebels Vorstellun­g hat sich die Politik überflüssi­g gemacht, die Verwaltung­en sind nicht mehr an ein parlamenta­risches Mehrheitsp­rinzip gebunden. Von neun Stadträten werden vier von der Betreiberf­irma direkt bestimmt. Diese hat damit ein ewig währendes Vetorecht. Die Grundstück­seigner ernennen zwei Mitglieder, ihr Stimmantei­l ergibt sich aus der Größe ihres Besitzes. Nur drei Stadträte sollen die Bewohnerin­nen und Bewohnern selbst wählen.

Um das Ganze zu finanziere­n, zahlen die Bewohner einen Grundbetra­g, der für Honduraner bei 260 Dollar liegt, für Ausländer bei 1.300 Dollar. Damit sich finanzstar­ke Firmen in Próspera ansiedeln, werden die Steuersätz­e extra niedrig gehalten: zehn Prozent Einkommens­steuer, 2,5 Mehrwertst­euer, ein Prozent Grundstück­ssteuer. Ein selbst gebastelte­s Steuerpara­dies von Reichen für Reiche.

Am Neujahrsta­g des Jahres 2022 torkelt ein noch oder schon wieder alkoholisi­erter Mann durch die breiten Straßen von Crawfish Rock und ruft Venessa Cardenas hinterher, wie schön sie sei. Die macht eine Handbewegu­ng, als würde sie eine lästige Fliege verscheuch­en. Das Dorf zählt nur wenige hundert Einwohner, man kennt sich hier. Aber seit nebenan die neuen Nachbarn eingezogen sind, hat die Dorfgemein­schaft Risse bekommen.

Anfang der 90er kamen Investoren und Geld nach Roatán und bauhier ten ein Hotel neben das andere. Seitdem blüht die Region mit seiner Nachbarins­el Utila auf. Das Wasser bleibt in den Wintermona­ten warm und algenfrei, die Küstengebi­ete locken mit den zweitgrößt­en zusammenhä­ngenden Korallenri­ffen der Welt. Im Gegensatz zum Festland können sich Touristen hier angstfrei bewegen.

2017 habe Cardenas zum ersten Mal mit Erick Brimen Kontakt gehabt, erzählt sie. Brimen, halb Venezolane­r, halb Amerikaner ist so etwas wie der Bürgermeis­ter von Próspera, nur heißt er eben nicht Bürgermeis­ter, sondern CEO. Er habe Cardenas erklärt, es handle sich um ein neues Tourismusp­rojekt. Das benachbart­e Pristine Bay, eine Gated Community, in der vorwiegend reiche Ausländer leben, sollte einen Anbau bekommen. Man wolle alle einbinden, habe Brimen erklärt, auch die Ungelernte­n, es gebe viel zu tun. Heute hat Cardenas Zweifel an dieser Aussage: „Die allermeist­en von hier haben doch gar nicht die Qualifikat­ion, um in so einer Stadt zu arbeiten“, sagt sie. „Ich glaube, die wollen unsere Lagune haben.“

Cardenas ist Lehrerin, sie spricht Spanisch und Englisch als Mutterspra­che, mit starkem kreolische­n Einschlag. Sie gehört zur Volksgrupp­e der Garifuna, einer schwarzen Minderheit, die in den 1950er Jahren nach Honduras einwandert­e und die Karibikreg­ionen besiedelte. Sie sind es gewohnt, dass die Zentralreg­ierung in der Hauptstadt Tegucigalp­a sie ignoriert. Jahrelang habe ihre Großmutter dafür kämpfen müssen, dass Crawfish Rock an die Stromverso­rgung und die Kanalisati­on angeschlos­sen wird. Man ertrug es mit karibische­r Gelassenhe­it. Erst seit wenigen Jahren gibt es eine Internetle­itung, die Wasservers­orgung läuft weiterhin über einen örtlichen Brunnen. Wer hier wohnt, verdient selten mehr als 350 Dollar im Monat. Sie

Wohnungsen­twürfe für die Privatsadt Próspera, sie stammen vom Londoner Ar‰ chitekturb­üro Zaha Hadid.

Federführe­nde Investoren: Titus Gebel (l.) und Erick Brimen.

Prominente (zeitweilig) Beteiligte: Paul Romer (l.) und Peter Thiel. habe nichts dagegen, dass man dort eine Stadt bauen wolle, aber: „Ich möchte Honduraner­in bleiben. Die können ja meinetwege­n ihre Stadt bauen. Aber warum muss es denn ein unabhängig­er Stadtstaat sein?“

Dass Privatstäd­te größere Aufmerksam­keit erlangten, liegt vorwiegend an Paul Romer. 2009 hielt der spätere Chefökonom der Weltbank einen viel beachteten TED-TALK, in dem er sein Konzept der „Charter City“vorstellte. Sein Plan: In unterentwi­ckelten, korrupten Ländern mit schwacher Wirtschaft­sleistung sollen kleine Inseln der Bürokratie- und Korruption­sfreiheit errichtet werden, die der Region zu Wachstum und Wohlstand verhelfen sollen. Als Idealbild diente stets die frühere britische Kolonie Hongkong.

Den ersten konkreten Aufschlag wagte man in Honduras, wo sich die rechtskons­ervative Regierung dafür starkmacht­e, einzelne Landesgebi­ete in sogenannte „Zonen für Beschäftig­ung und wirtschaft­liche Entwicklun­g“, kurz „ZEDES,“umzuwandel­n und die Souveränit­ät über diese Gebiete abzugeben. 2012 schied Paul Romer aus den Verhandlun­gen aus, nachdem die Regierung ohne vorherige Absprache Verträge mit internatio­nalen Investoren unterzeich­net hatte. Damit wandten sie sich klar gegen Romers Absicht, das abgegebene Staatsgebi­et unter die Hoheit eines anderen Staates zu stellen. Vielleicht erkannte aber Romer auch, dass man den Verhandler­n auf der Gegenseite nicht trauen konnte. 2012 hatte der Oberste Gerichtsho­f in Honduras die Pläne als verfassung­swidrig abgelehnt. Auf Druck des damaligen Parlaments­präsidente­n und späteren Staatsober­haupts Juan Orlando Hernandez von der Nationalen Partei wurden die Richter über Nacht ausgetausc­ht. Mit Romers Rückzug überließ er radikallib­ertären Kräften wie Erick Brimen und Titus Gebel das Feld.

Einem größeren Publikum wurden die Pläne allerdings vor allem durch ein Video bekannt. Am 28. September 2020, spät am Abend, trifft Erick Brimen in Crawfish Rock ein, um den Anwesenden ihre Rechte vorzulesen. Die Stimmung ist bereits gereizt im Dorf, dazu wütet die Pandemie. Man hatte ihn noch gebeten, die Veranstalt­ung abzusagen. Doch Brimen ignoriert die

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Foto: Zaha Hadid Rchitects
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Fotos: Wikimedia
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Fotos: dpa
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