Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Den Krieg überstande­n, fürs Leben verloren

Das Staatsthea­ter Augsburg spielt mit „Ugly Lies The Bone“ein Stück über eine Afghanista­n-heimkehrer­in.

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Den Krieg am eigenen Leib erfahren zu haben, das ist hierzuland­e die Ausnahme. Veteranen der Bundeswehr können von ihrem Afghanista­n-einsätzen erzählen. Oder aber: Wir hören denjenigen zu, die vor Kämpfen nach Deutschlan­d geflüchtet sind. Und es fällt schwer, die Traumata zu verstehen, die Menschen davongetra­gen haben. Wie sehr der Krieg Menschen verändern und zerstören kann, erzählt zum Beispiel Lindsay Ferrentino­s Drama „Ugly Lies The Bone“.

Das Regie-duo Nicole Schneiderb­auer und David Ortmann hat das 90-minütige Drama für das Staatsthea­ter Augsburg auf der Brechtbühn­e als deutschspr­achige Erstauffüh­rung in Szene gesetzt. Bei der Auswahl des Stoffes, der 2015 in New York uraufgefüh­rt wurde, galt der Blick sicher noch dem schmählich­en Ende des 20-jährigen deutschen Afghanista­n-einsatzes. Nun hat der Krieg durch den russischen Angriff auf die Ukraine eine neue Bedeutung und Nähe bekommen.

Eine Kriegsvete­ranin steht in Ferrentino­s „Ugly Lies The Bone“im Mittelpunk­t. Sie ist noch nicht lange zurückgeke­hrt, lebt mit ihrer Schwester im Haus der Mutter, ist schwer traumatisi­ert und schwerer verletzt durch Verbrennun­gen. Jess kehrt nicht als dieselbe zurück, die sie war. Schon damit klarzukomm­en, wäre Herausford­erung genug für sie. Fast unmöglich wird die Rückkehr in die Normalität für sie allerdings in Momenten, in denen sie schmerzhaf­t erfährt, dass sich auch die Welt, die sie verlassen hat, verändert hat, dass dieses Florida in der Nähe der Weltraumst­ation nicht mehr dasselbe ist. Ihre Schwester Kacie (Katja Sieder als tapferes Allamerica­n-girl) hat einen Freund Kelvin, der vor lauter Selbstbewu­sstsein kaum noch in seine Cowboy-schuhe passt (wunderbar Sebastian Müller-stahl). Jess’ Ex Stevie (Julius Kuhn) hat eine andere geheiratet und weiß jetzt nicht, wie er mit Jess umgehen soll: Ist da noch Liebe in ihm oder nur Mitleid oder ein schlechtes Gewissen? Und Jess’ Mutter ist nicht mehr, das heißt, sie hat Alzheimer, lebt im Heim und erinnert sich nur noch an wenig. Um mit ihrem Leben und den Schmerzen wieder klarzukomm­en, macht Jess eine Therapie. Ihr Operator (immer sachlich Florian Gerteis) behandelt sie mit einem Programm, dass ein Körpertrai­ning in der virtuellen Welt vorsieht. Der spezielle Augsburger Inszenieru­ngsdreh ist es, die Sitzungen als

Christina Jung der Hand. als Jess mit Vr‰brille in virtuelle Inszenieru­ngspunkte mit ins Spiel zu holen. Das Publikum setzt sich drei Mal an dem Abend Vr-brillen auf und sieht dort die künstliche Jess, ihren Avatar, wie er ausgesucht wird, wie er sich bewegen soll, wie er sich in eine unangenehm­e Situation bringt. Das sind räumliche Grafiken mit Computersp­iel-optik und eine Welt aus Quadern, die mal eine Felswand ergeben und mal wie Geschosse umherschwi­rren (Vr-regie Alice Asper).

Gerade das bringt interessan­te Doppelunge­n ins Spiel: Denn Jess, die existenzie­ll Verletzte, kann das Einfache des Alltags, das Blabla des Lebens, kaum ertragen, etwa, ob die Brokkoli für alle reichen oder nicht. Sie lebt immer noch im Modus von Leben und Tod, will deshalb auch Kacies Freund Kelvin, den sie mit ihrem Armee-blick als Nichtsnutz einstuft, vertreiben. Ein einfaches Gespräch mit ihrem Ex kommt immer einem Ritt auf der Rasierklin­ge gleich, in dem jeden Moment alles kippen kann. Harmlos gibt es bei ihr nicht. Andersheru­m muss Jess, das sieht man in der Vr-welt, die einfachste­n Dinge wieder lernen, was dann wiederum anderen kaum einleuchte­n will.

Bühne (Denise Leisentrit­t) und Regie unterstrei­chen, wie unmöglich Nähe geworden ist. Das Haus besteht aus zwei Hälften, die Figuren bleiben immer auf Abstand. Das „Welcome Home“über allem wirkt 90 Minuten lang wie reine Ironie. Dank der Schauspiel­erin Christina Jung versinkt man als Zuschaueri­n oder Zuschauer an diesem Abend nicht in reine Depression, ihre Jess kämpft gegen all diese mit großer innerer Stärke, sie strahlt in ihrem Unglück noch Souveränit­ät aus. Aber wenn sie dann zu diesem quälenden Satz kommt, der im Hintergrun­d immer spürbar ist, nämlich, dass das alles einen Sinn gehabt haben muss, einen Sinn ergeben muss, spürt man das Nichts, in den die Menschen durch Kriege gerissen werden. Und für was, fragt man sich heute mit dem Blick auf die Ukraine? Zu Recht gebührt dann der stärkste Applaus auch ihr, Christina Jung, und ihrem Vermessen eines Kriegstrau­mas.

 ?? Foto: Jan‰pieter Fuhr ??
Foto: Jan‰pieter Fuhr

Newspapers in German

Newspapers from Germany