Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ihre Ahnen pflanzten die ersten Tulpen der Fuggerstad­t

Das Patrizierg­eschlecht der Herwarth hat zahlreiche Nachkommen. Bei einem großen Familientr­effen in Augsburg ging es auch um die Leidenscha­ft für die Blumenart, die früher kostbarer war als Gold.

- VON EVA MARIA KNAB

Carl Herwarth von Bittenfeld aus Berlin ist sehr gespannt, als er am Wochenende in Augsburg ankommt. Einer seiner Augsburger Ahnen sorgte vor 465 Jahren für Furore. In seinem Garten brachte er eine der ersten Tulpen zum Blühen, die in Mitteleuro­pa zu haben waren. Was folgte, war eine „Tulpomanie“in Kreisen der Bevölkerun­g, die sich diesen farbenpräc­htigen Luxus leisten konnten. Die importiert­en Blumen waren mehr wert als Gold und Edelsteine. Manche Käufer trieben sie in den Ruin. Was damals geschah, darüber will der 67-jährige mehr Details erfahren. Die Gelegenhei­t ist jetzt besonders günstig.

Familienfo­rschung hat bei den Herwarths – früher Herwart geschriebe­n – Tradition. Regelmäßig finden auch Familientr­effen statt, um Kontakte zu pflegen und gemeinsam Städte zu besuchen, die für das altehrwürd­ige Patrizierg­eschlecht geschichtl­ich von Bedeutung sind. Augsburg ist so eine Stadt. Hier trafen sich am Wochenende rund 40 Herwarth-nachfahren samt Angehörige­n aus dem In- und

Ausland. „Augsburg ist der erste belegte Ausgangspu­nkt“, erklärt Carl Herwarth von Bittenfeld. Seine Vorfahren haben eine wichtige Rolle in der einstigen freien Reichsstad­t gespielt. Sie waren Ratsherren und Stadtpfleg­er, Domherren und gut betuchte Handelsher­ren mit Beziehunge­n bis in den Orient – kurz gesagt, sie waren einflussre­ich. Zusammen mit den Welsern hätten sie sogar eine Expedition nach Venezuela ausgerüste­t, heißt es in einer Familiench­ronik.

Zu ihren Besitztüme­rn gehörten einst das Schloss Wellenburg und andere Landsitze, aber auch verschiede­ne Anwesen in Augsburg, etwa das Gebäude in der Maximilian­straße, in dem heute das Hotel Maximilian’s untergebra­cht ist. Nach dem finanziell­en Niedergang des Handelshau­ses Herwarth sei es an die Fugger verkauft worden, erzählt der Nachfahre aus Berlin. Carl Herwarth von Bittenfeld interessie­rt sich diesmal aber für etwas anders. Er hat ein kleines Büchlein mit der Abbildung einer roten Tulpe mitgebrach­t. Sie blühte einst im Garten des Augsburger Kaufmanns Johann Heinrich Herwart und sorgte weit über die

Aufsehen.

Ein Bild genau dieser Blume ist aktuell in der Ausstellun­g „Tulpenscha­u im Gartenbau“in der Staatsund Stadtbibli­othek Augsburg zu sehen (bis 8. Juli). Nach Recherchen von Historiker­n blühte die erste aus Konstantin­opel importiert­e Tulpe in Deutschlan­d und Mitteleuro­pa in Augsburg. Belegt ist, dass der Züricher

Stadtgrenz­en hinaus für

Naturforsc­her Conrad Gessner 1557 ein entspreche­ndes Aquarell aus Augsburg erhalten hat. Zwei Jahre später konnte der Gelehrte die einzige Tulpe seines Lebens in Herwarths Garten in natura bewundern.

Die Patrizier mit der Eule im Wappen haben in Augsburg viele Spuren hinterlass­en, die man noch heute sehen kann. Eines der ältesten Zeugnisse ist ein Grabmal des Gelehrten

Carl Herwarth von Bittenfeld (links) und Alexander von Herwarth zeigen eine Abbil‰ dung der Tulpe, die ein Ahne nach Augsburg gebracht haben soll.

Johannes Herwarth von 1356 im Kreuzgang des Doms. In der Kirche St. Georg existierte eine Herwarth’sche Kapelle. In Augsburg gibt es auch eine Herwartstr­aße.

Die Ahnenreihe der Herwarth lässt sich über 800 Jahre zuverlässi­g zurückverf­olgen, laut Familiench­ronik bis ins Jahr 1198. Tausende Nachkommen seien aus dem Geschlecht hervorgega­ngen, sagt Carl Herwarth von Bittenfeld. Allein aus seinem Familienzw­eig leben heute rund 60 Nachkommen aus vier Generation­en. Die weitverzwe­igten Linien reichen von Deutschlan­d bis nach England, Frankreich, in die Niederland­e und die Schweiz. Wie wichtig ist dem Berliner die Ahnenforsc­hung? „Wir alle sind von unseren Familien beeinfluss­t, auch durch die Vorfahren“, sagt er. So oder so. Aus seiner Sicht ist es kein Zufall, dass er inzwischen nicht nur einen persönlich­en Bezug zu Augsburg hat, sondern auch von Berufs wegen. Der Berliner Stadtplane­r und sein Büro haben maßgeblich an der Erarbeitun­g des Stadtentwi­cklungskon­zeptes Augsburg mitgewirkt, das Ende 2019 beschlosse­n wurde.

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Foto: D. Schätzle

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