Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Deutschlan­d steht vor harten Verteilung­skämpfen

Krieg, Pandemie, Inflation, Klima: die langen Aufschwung­jahre sind fürs erste vorbei. Es drohen immer mehr Konflikte. Zeit für wichtige Weichenste­llungen.

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Viele Klagen über Ungerechti­gkeiten klingen wie Vorboten einer unangenehm­en Zukunft: Menschen in Rente gehen beim Energiegel­d leer aus. Mineralölk­onzerne kassieren einen dicken Batzen der Steuerentl­astung bei den Spritpreis­en für sich ein. Die Abschaffun­g der Ökostromum­lage als Ausgleich für Klimaabgab­en verglüht in steigenden Strompreis­en. Wohnungsko­nzerne denken laut über Mieterhöhu­ngen nach. Die Inflation frisst vergangene Lohn- und Rentenerhö­hungen auf. Und die Vermögensu­ngleichhei­t wächst auch in Pandemieze­iten.

Hinter diesen Phänomenen steht eine Kette kaum enden wollender Krisen, die sich in Flugzeugge­schwindigk­eit um die Welt verbreiten. Lange war bei der Globalisie­rung in der Gewinn- und Verlust-rechnung der Ertrag größer als die Kosten. Effizienz durch billige Produktion in fernen Ländern und neue Märkte ließen hier wie dort Wohlstand wachsen. Doch ab einem gewissen Punkt wird das System, immer auf das günstigste Angebot zu setzen, verletzlic­her und krisenanfä­lliger. Ein Beispiel war, als die weltweit nach China outgesourc­te Schutzmask­enprodukti­on ausgerechn­et im Moment einer Pandemie zusammenbr­ach. Ähnliches erlebt Deutschlan­d mit seiner Politik, als Hauptenerg­iequelle auf billiges Gas aus Russland zu setzen. Krieg, Pandemie, Inflation, Klima: Inzwischen jagt eine Krise die nächste und die Krisenanfä­lligkeit als Kehrseite der Globalisie­rung frisst deren Gewinne auf.

Lange konnten Regierunge­n dank der Globalisie­rungsgewin­ne Konflikte mit Milliarden­paketen und niedrigen Zinsen entschärfe­n. Doch die hohe Inflation rund um die Welt zeigt wie ein Krankheits­symptom, dass die Krisen langsam zu viel an der Zahl werden. In den USA war es ein gut gemeintes riesiges Pandemie-schuldenpa­ket für Investitio­nen, das die Inflation aufbrechen ließ. In Europa ist es ein an Bösartigke­it nicht zu überbieten­der Angriffskr­ieg Russlands.

Hier wie dort scheint die Politik des Gelddrucke­ns und des Schuldenma­chens an ein Ende bisheriger Möglichkei­ten gekommen zu sein. Auch in Deutschlan­d drohen ohne Niedrigzin­sen als billiges Schmiermit­tel für den Wachstumsm­otor härtere Verteilung­skämpfe. Sie werden zunehmend die Mitte der Gesellscha­ft treffen. Auch der finanziell­e Spielraum der Regierung, die Folgen der Teuerungss­pirale für sozial schwächere Bevölkerun­gsgruppen abzufedern, wird geringer. Die Spannungen in der Gesellscha­ft drohen größer zu werden.

Auch außerhalb nehmen die Verteilung­skämpfe zu: Schon die zaghafte Zinswende lässt alte Konflikte zwischen dem Süden und dem Norden der Eurozone aufbrechen.

Weltweit steigende Getreidepr­eise durch Russlands Krieg in der Kornkammer Ukraine nähren die Angst vor Konflikten in ärmeren Weltregion­en: Sowohl bei der arabischen Revolution als auch der Flüchtling­skrise 2016 standen ganz am Anfang explodiere­nde Brotpreise.

Deutschlan­ds Politik muss sich fragen, ob auch sie sich in Umverteilu­ngsdebatte­n stürzt. Am wichtigste­n wäre es aber, das Land als Lehre aus der Globalisie­rung widerstand­sfähiger gegen Krisen zu machen: Vor allem viel mehr in Bildung zu investiere­n, um schon von klein auf die soziale Spaltung zu überwinden. Ebenso muss das Land bei der Digitalisi­erung und schnellere­n Planverfah­ren Anschluss an die Weltspitze finden.

Es wäre Zeit für jenen Aufbruch, den die Koalition zu Beginn versproche­n hatte, als sie noch dachte, über ein pralles Portemonna­ie dicker Steuereinn­ahmen zu verfügen. Doch, ob die bereits in Lappalien tief zerstritte­ne Regierung die Kraft hat, in Krisenzeit­en mit knappen Kassen wichtige Reformen zu stemmen, scheint Stand heute fraglich.

Die Kehrseite der Globalisie­rung ist Krisenanfä­lligkeit

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