Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Tour de Bauernhof
Warum auf Campingplätzen schlafen, wenn es doch naturnäher, exklusiver und günstiger geht? Auf Höfen etwa oder Weingütern. Über eine Familientour mit dem Wohnmobil bis Südfrankreich – zu interessanten Menschen, lustigen Tieren und alten Römern.
Erst schaut die Ziege nur neugierig durch die Tür, zwei Meckerer später springt sie plötzlich die zwei Stufen hinauf und steht im Wohnmobil. Der jüngste Camper verzieht sich ins Dachgeschoss und schaut entsetzt-begeistert von oben zu, die anderen drei Familienmitglieder kringeln sich vor Lachen, während die Ziege meckernd im Flur steht. Dass dieser Trip nun sogar wortwörtlich tierisch gut wird ... Zugegeben, wir sind nicht ganz unschuldig an dem kleinen Zwischenfall kurz vor der Schweizer Grenze. Auf Fellfühlung zu gehen, war schließlich auch Teil des Bauernhofcamping-plans gewesen.
Seit der Corona-pandemie sind auf den Straßen mehr Wohnmobile unterwegs, immer mehr Menschen leihen sich eine Ferienwohnung auf Rädern aus oder kaufen sich gar eine. Die Branche boomt, der Hunger nach Freiheit, Unabhängigkeit und Abenteuer scheint groß. Immer mehr Menschen campen auch lieber ohne Campingplatz, weil etwa zu voll, zu reglementiert, zu rundumversorgt, zu teuer. Wer nicht wild campen möchte, findet im Internet inzwischen Plattformen und Apps, die naturnahe Stellplätze vermitteln. Immer bekannter und beliebter wird auch das Konzept, das das europaweite Netzwerk der Fédération Européenne de la Formule Invitations (Fefi) anbietet, zu dem der französische Anbieter „France Passion“und der deutsche Führer „Landvergnügen“gehören. Die Idee dahinter: Wohnmobil-reisende kaufen sich einen Genussführer für ein Land, bekommen damit eine Plakette sowie Zugangsdaten zu einer Reise-app und dürfen dann je 24 Stunden kostenlos auf einem der teilnehmenden Bauernhöfe oder Weingüter stehen – vorausgesetzt, das Fahrzeug ist mit Sanitäranlagen ausgestattet. Goldene Regeln beim Bauernhofcampen: Hallo sagen, ein guter Gast sein, Respekt und Interesse zeigen, auf Wiedersehen und Danke sagen – idealerweise auch mit einem Einkauf im Hofladen, damit etwas Geld auf dem Hof bleibt.
Also los. Bevor es auf die Straße geht, müssen Neu-wohnmobilisten aber erst einmal das Knöpfedrücken lernen. In einer eineinhalbstündigen Einführung bei Hymer wird uns etwa gezeigt, wie im Hightechgefährt die Heizung funktioniert und wo die Energie-wasserversorgung gecheckt wird, wie sich das Hubdach aufklappen lässt und, ganz wichtig, wie und wo Flüssigkeiten ins Fahrzeug rein- und wieder rauskommen. Bei falscher Befüllung droht Totalschaden.
Der erste Bauernhof, den wir mit unserem Leihmobil ansteuern, ist der Riegenhof von Doris Braun am Ortsrand von Mainhardt nördlich von Aalen. Dass er uns aus dem Meer an Punkten, also Höfen in der Landvergnügen-app, ins Auge gefallen ist, hat auch mit seiner Lage am Limes zu tun. Der jüngste an Bord interessiert sich für Römer und Germanen, hat auf der Anfahrt schon alte Sandalen im Limesmuseum in Aalen bestaunt – und Doris hat zu seiner Freude auch gleich den richtigen Begrüßungsspruch parat: „Wir sind hier im Barbarenland“, sagt sie lachend und zeigt an ihrem Hof vorbei gen Westen: „Da hinten verläuft der Limes, es gibt auch einen Nachbau, da könnt ihr leicht hinspazieren.“Aber erst einmal dürfen wir auf der großen Wiese parken, unter dem Birnenbaum den Knopf fürs Hubdach drücken. Die Nachbarn: Kamerunschafe, die die lebenden Rasenmäher auf dem Hof sind und sich sogar streicheln lassen.
Natürlich schauen wir uns den Limes-zaun an, werden am nächsten Tag auch die nachgebauten Wachtürme nördlich und südlich von Mainhardt besichtigen, erfahren, dass hunderte Jahre später an
Bei Doris Braun auf dem Riegenhof bei Mainhardt gibt es einen Stellplatz unterm Birnenbaum, noch dazu in Limesnähe und mit Kamerunschafen als direkte Nachbarn.
Benni und Catherina Haessler haben die Dorfscheune in Bieselsberg umgewidmet und haben Platz für Tinyhouses – mit oder ohne Räder.
Am Lac de Saintecroix endet die Gorges du Verdon, eine riesige Schlucht.
Ort noch eine andere wichtige historische Grenze verlief: Die Haller Landhege war eine rund 200 Kilometer lange Hainbuchen-dornenhecke, die bis 1802 die Rechtsgrenze der Reichsstadt Schwäbisch Hall markierte. Der Jüngste ist fasziniert von den einstigen Räubergeschichten rund um die Landhege.
Aber spannender ist eigentlich das, was Doris ein paar hundert Jahre und Meter weiter auf ihrem Hof veranstaltet. Sie hat ihn einst von ihren Eltern übernommen, schon vor Jahren auf Bio umgestellt und dann wieder neu erfunden, indem sie dort jungen und alten Menschen ein Zuhause in ihrer HOF-WG gibt. Es wird gemeinsam gearbeitet, gegessen, gefeiert, gegraben, gelernt, gelacht. Doris hat keine Zeit zum Verreisen. „Also hole ich mir die Welt einfach auf den Hof“, sagt sie. Deshalb mache sie auch bei Landvergnügen mit. Wobei sich seit Corona der Besuch schon etwas verändert habe. Nach wie vor würden die Leute die Natur suchen – aber einige auch nur einen kostenlosen Stellplatz. Nichts mit Einkauf im Hofladen.
Wir decken uns mit Mitbringseln ein – Rosen- und Holunderblütensirup, selbst gemachte Artemisia-seife aus dem Heilkräutergarten, Kräutertee von Doris’ Acker – und setzen unsere Tour durch kleine Orte fort. Durch Dörfer, in die wir möglicherweise sonst niemals gekommen wären und höchstwahrscheinlich auch nie wieder kommen werden, vorbei an Gasthäuser namens Stern, Sonne, Hirsch oder Lamm gen Nordschwarzwald, wo uns ein interessantes Hof- und Unterkunftkonzept erwartet.
Erst einmal aber machen wir in Weil, dem Geburtsort des Astronomen Johannes Kepler, einen Stopp fürs, nun ja, nennen wir es Flüssig
Die schnaubenden Nachbarn am Mas de Carlet. keitenmanagement, klingt appetitlicher. Mithilfe der Stellplatz-radarapp finden wir den städtischen Stellplatz mit Station für Frischund Abwasser.
Wenig später jedenfalls empfängt uns in Bieselsberg an der Ortsdurchfahrt ein Hahn – und wir lernen kurz darauf Benni und Catherina Haessler kennen: Die beiden haben eine alte Scheune im Ort zum Veranstaltungsraum „Dorfscheune“umgebaut und in die Wiese dahinter zwei Tiny-ferienhäuser gesetzt. Wir dürfen unser Tiny-house auf Rädern daneben parken, mit blühendem Holunderbusch im Rücken, einer tollen Aussicht ins Tal auf Catherinas Pferde und später einem atemberaubenden Sternenhimmel über uns – in diesem Teil des Keplerlands gibt es kaum Lichtverschmutzung am Nachthimmel. Biedem
Entlang der Route Napoleon in Frankreich warten wunderschöne Landschaften mit Bergen, Eichenwäldern und im Süden auch vielen Lavendelfelder.
Der Pont du Gard bei Nimes ist eines der besterhaltenen Römerbauwerke. selsberg hat sogar eine Sternwarte und unser Stellplatz einen Stern verdient. Für fünf Euro pro Erwachsenem dürfen wir Toilette und Dusche in der Dorfscheune benutzen. Von Benni bekommen wir selbsthergestellten Apfelsecco und einen frischgeschnittenen Salatkopf. „Legt einfach was in die blaue Kasse in der Scheune“, sagt Benni. Seine Frau bietet uns an, ein Lagerfeuer in der Feuerschale zu machen, und verrät uns, wo Holz und Anzünder liegen.
Am nächsten Morgen scheint noch die Sonne, aber eine Regenfront ist im Anmarsch. Uns zieht es gen Süden – nun mit einer Kiste Apfelsecco und zwei Marmeladengläsern an Bord. Doch der Pfingstferienverkehr verlangsamt unsere Schweiz-durchfahrt erheblich, wir entscheiden kurzerhand, die Nacht
Bei Mainhardt auf dem Heidenhügel gibt es noch einen Limesnachbau.
Am Morgen stand sie wieder vorm Wohnmobil: die hartnäckige Ziege. in Nyon am Genfer See zu bleiben und Freunde zu besuchen. Da wir keinen Ch-bauernhofführer haben, improvisieren wir mit der Stellplatz-app, die uns einen Parkplatz neben dem Uefa-gebäude vorschlägt. Der kleine Fußballfan an Bord freut sich, zumal es sogar einen Pfau als tierischen Nachbarn gibt, dem Rest der Crew gefällt der Ort an der großen Straße aber nicht. Zu viel Stein, zu laut – Ohr und Auge campen schließlich mit. Außerdem sind da ja noch die Horrorgeschichten von Gaseinleitungen und nächtlichen Einbrüchen, die sich Wohnmobilisten gerne mal erzählen. Also lieber ab in die Wohnanlage bei den Freunden – auch viel Stein, aber wenigstens ruhig und sicher. Vor dem Einschlafen sind wir im Kopf schon in Frankreich und schauen uns die nächsten potenziellen Höfe in der France-passion-app an.
Da wir den Römerfan nicht mit alten Mäuerchen und Steinchen überfrachten wollen, nehmen wir am nächsten Morgen nicht die Autobahn gen Provence, fahren nicht die imposanten römischen Arenen in Vienne und Orange an, sondern entscheiden uns für die parallel verlaufende Route Napoleon, die von Grenoble nach Antibes an der Cote d’azur führt. 1815 nahm Napoleon sie in entgegengesetzter Richtung, als er nach seiner Elba-verbannung wieder mit seinen Getreuen nach Paris marschierte. Die Straße wurde erst vor fast 100 Jahren gebaut, eine teils sehr kurvige Strecke durch sagenhaft schöne Landschaften, etwa vorbei am Nationalpark Ecrins und auch an unzähligen Boulangerien, Brasserien, Patisserien. Das Wohnmobil schnurrt, ihm machen die Steigungen gar nichts aus.
Wir möchten zu Madame Blondel und ihren Eseln, lernen, wie sie Seife herstellt. Die App-bilder von dem Hof bei Forcalquier sehen idyllisch aus. Laut Führer sollen wir uns telefonisch anmelden – doch aus dem Besuch wird nichts. Madame sagt uns, dass sie am Abend nicht da sei. Wir müssen also eine Hof-alternative finden. Freiheit, die ich meine: App auf – wenn schon keine Esel, dann aber Trüffel und Lavendel. Wir fahren eine Stunde weiter durch Eichenwälder zum Maison du Lavandin in Sainte-croix-du-verdon. Dort werden wir von Trüffelhund Mika und seiner Gang empfangen und Besitzerin Marie-france Bourjac zeigt uns die Wiese unter den Trüffeleichen – wir sind nicht die einzigen Camper. Aber trotzdem schön und mit viel Platz. Am Abend gibt’s Ballspielen mit den Hunden, danach Trüffelnudeln.
Beim Flüssigkeitenmanagement am Stellplatz über dem Lac de Sainte-croix am nächsten Morgen der Camping-albtraum: Wohnmobile dicht an dicht, der Geruch der Entsorgungsstation wabert über den Platz, Womos fahren an und ab. Schnell an der neu gekauften Lavendelseife schnuppern und weiter, die Augen entlang dem See über das türkisblaue Wasser schweifen lassen. Die Buchten sind ideal für eine Abkühlung oder ein Picknick. Hier endet die Gorges du Verdon, eine der größten Schluchten Europas.
Weil wir für den Römerfan noch einen Superlativ eingeplant haben, steuern wir am Nachmittag das Mas de Carlet in Mas Blanc des Alpilles an – ein kleines Weingut der Familie Dupuy, 10 Hektar, 40.000 Flaschen pro Jahr, nicht wenige verlassen in Wohnmobilen wie unserem das Grundstück. Der Römerfan hätte statt der Kisten lieber den gemütlichen Hofhund und eines der Pferde mitgenommen.
Am Pont du Gard bei Nimes hat er die Hoftiere aber schnell vergessen – die dreistöckige Aquäduktbrücke aus dem ersten Jahrhundert nach Christi Geburt ist eines der imposantesten noch erhaltenen Bauwerke aus der Römerzeit. Kurze Badepause mit Aussicht im Fluss. Dann wieder ab gen Norden.
Man könnte jetzt auf der Autobahn durchrauschen bis Augsburg, es doch mal mit dem Stellplatzradar oder dem Trick mit der Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit versuchen. Weil das Bauernhofcamping aber so schön ist, machen wir in der Nähe der Schweizer Grenze noch mal Halt, auf dem Hof von Dominique Guttin in Val de Virieu. Als wir
Durch die Zeiten: vom Limes zum Biohofprojekt
Und plötzlich entert die Ziege das Wohnmobil
ankommen, begrüßt uns kein Zweibeiner, nur der große, weiße Hofhund ist da und freut sich über eine Streicheleinheit.
Wir parken auf der mit Schild ausgewiesenen leeren Wiese, neben einem kleinen Teich und einer Boules-bahn, und essen Abendbrot mit Blick aufs Tal, an dessen Hang sich auch das Schloss von Virieu befindet. Und dann machen wir einen Fehler. Wir lassen die Salz-kräcker unbeaufsichtigt, die frei herumlaufende Ziege nutzt die Chance, schnappt sich einen und ist ob der kulinarischen Abwechslung so beeindruckt, dass sie wenig später das Wohnmobil entert und mehr will. Nachdem wir sie wieder rausgeschoben haben, läuft sie meckernd um den Wagen.
Am nächsten Morgen steht sie wieder glotzend davor. Keine Chance auf ein entspanntes Frühstück, wir brechen früher als geplant auf. Der Hofladen hat da leider noch nicht geöffnet. Aber keine Sorge, Dominique, wir kaufen dort beim nächsten Mal ein, versprochen. Bis dann hat uns die gefräßige Ziege hoffentlich vergessen. Au revoir.
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Reisetagebuch Ein Tagebuch von dem Roadtrip mit zahlreichen Tipps für Anfängerwohnmobilisten finden Sie unter azol.de/bauernhofcamping.