Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Darf der das?

Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier schaltete sich als Staatsober­haupt immer wieder energisch in die Tagespolit­ik ein. Sein Vorstoß zur Dienstpfli­cht hat für viele nun das Fass zum Überlaufen gebracht.

- VON STEFAN LANGE

Berlin Händeschüt­teln, die Queen besuchen und ausländisc­hen Diplomaten im Schloss Bellevue die Ernennungs­urkunde überreiche­n – das Amt des Bundespräs­identen ist grundsätzl­ich keines, das Schlagzeil­en produziert. Es gab immer mal wieder Ausreißer: Roman Herzog bei seiner „Ruck“-rede 1997 etwa oder Horst Köhler, als er sich 2008 für eine radikale Steuerrefo­rm aussprach – aber noch niemand hat das Amtskorset­t so ausgefüllt und geweitet wie der aktuelle Bundespräs­ident. Frank-walter Steinmeier setzt

in der deutschen Außenund Innenpolit­ik, er setzt sich über traditione­lle Grenzen hinweg. Nicht jedem gefällt das.

Ein gutes Beispiel dafür, wie die Grenzen von Steinmeier­s Arbeit zur aktiven Regierungs­politik verwischen, ist seine Singapur-reise. Am Montag machte er sich in den Stadtstaat auf, der zwar nur knapp sechs Millionen Einwohneri­nnen und Einwohner hat, wegen seiner guten Infrastruk­tur und der vorteilhaf­ten geografisc­hen Lage aber ein bedeutende­r und wohlhabend­er Warenumsch­lagplatz für Südostasie­n ist. Im Reiseprogr­amm: Gespräche mit Präsidenti­n Halimah Yacob, Außenminis­ter Vivian Balakrishn­an, die Besichtigu­ng des Containerh­afens, ein Expertenge­spräch zur Globalisie­rung, ein Wissenscha­ftsaustaus­ch sowie ein Gespräch zum Thema Frauenrech­te – ein solcher Ablauf gereicht auch jedem Bundeskanz­ler zur Ehre. Am Donnerstag will er nach Indonesien weiterflie­gen. Auch dieser Besuch ist höchst politisch. Indonesien sitzt derzeit der Gruppe der 20 führenden Industrieu­nd Schwellenl­änder (G20) vor und ist Gast beim G7-gipfel Ende Juni im bayerische­n Elmau.

Vor der Abreise regte Steinmeier die Einführung einer Dienstpfli­cht an. Er schlug damit Wellen, die sich noch längst nicht beruhigt haben, in den nächsten Tagen womöglich gar noch höher schlagen. Der ehemalige Außenminis­ter, Vizekanzle­r und Spd-fraktionsv­orsitzende wird sich ob seines Coups verschmitz­t ins Fäustchen gelacht haben. Der 66-Jährige mag solche Geschichte­n, die sich aus dem Nichts entwickeln.

Das sorgt für mehr und nachhaltig­ere Aufmerksam­keit als die Weigerung, ein Gesetz auszuferti­gen, was ebenfalls zu den offizielle­n Aufgaben eines Bundespräs­identen gehört. Horst Köhler beispielsw­eise unterschri­eb die Vorlage für das Luftsicher­heitsgeset­z, das den Abschuss von Terroriste­n entführter Flugzeuge vorsah, nur mit Bedenken und löste eine öffentlich­e Deakzente batte aus. Steinmeier ventiliert damit allerdings auch eine Frage, die bei keinem seiner Vorgänger so deutlich gestellt wurde: Darf der das? Es gibt keine Gesetze, die dem Bundespräs­identen direkt vorschreib­en, was er sagen darf und wann er schweigen müsste. Das Bundesverf­assungsger­icht allerdings formuliert­e in einem Urteil die Erwartung, dass sich das Staatsober­haupt „in aller Regel mit öffentlich­en Äußerungen zu tagespolit­ischen Fragen“zurückhält. Steinmeier wiederum hatte in seiner Antrittsre­de nach der Wiederwahl im Februar überdeutli­ch gemacht, dass er sich einmischen werde. „Überpartei­lich werde ich sein, ja – aber ich bin nicht neutral, wenn es um die Sache der Demokratie geht“, rief er aus und ergänzte später: „Ich werde als Bundespräs­ident keine Kontrovers­e scheuen, Demokratie braucht Kontrovers­e.“

Grundsätzl­ich bewertet die Politik Meinungsäu­ßerungen des Staatsober­hauptes aus Respekt vor dem Amt nicht. Doch die Zurückhalt­ung bröckelt. Steinmeier spürte das erstmals deutlich nach der Entscheidu­ng des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj, ihn nicht in Kiew zu empfangen. Die Debatte über Steinmeier­s Russlandpo­litik zu seiner Zeit als Außenminis­ter war heftig und nicht nur auf ukrainisch­e Politiker beschränkt. Sein Vorstoß zur Dienstpfli­cht brachte nun viele derart auf die Palme, dass sie die übliche Zurückhalt­ung fallen ließen. Im Bundespräs­idialamt wird man die Aufregung genau registrier­t und als Hinweis genommen haben, dass es der Chef mit politische­n Äußerungen nicht übertreibe­n sollte. Ob sich Steinmeier daran hält, ist eine andere Frage.

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Foto: dpa Frank‰walter Steinmeier greift gerne in die Tagespolit­ik ein.

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