Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es wäre falsch, die Globalisie­rung negativ zu sehen“

Wirtschaft­swissensch­aftler Peter Bofinger spricht über Wege aus der Krise.

- Interview: Folker Quack

Nach der Corona-krise treibt jetzt der Krieg in der Ukraine die Preise weiter in die Höhe. Befürchten Sie eine große und lang anhaltende Inflation?

Peter Bofinger: So schnell werden wir zu den zwei Prozent Inflation nicht zurückkomm­en. Unsere Wirtschaft sieht sich einem perfekten Sturm gegenüber: Corona ist ja nicht weg, sodass Lieferengp­ässe die Preise weiter in die Höhe trieben. Und mit Russland und der Ukraine fallen zwei gigantisch­e Rohstoff-exporteure aus. Russland ist weltweit die Nummer eins bei den Exporten von Gas, Düngemitte­ln und Weizen und die Nummer zwei beim Erdöl. Die Ukraine ist der größte Exporteur für Sonnenblum­enöl und Nummer fünf beim Weizen. Das ist ein außergewöh­nlicher Angebotssc­hock für die Weltwirtsc­haft.

Sehen Sie eine Gefahr für die wirtschaft­liche Entwicklun­g und den sozialen Frieden in unserem Land? Bofinger: Das ist in jeder Hinsicht problemati­sch. Zum einen können die Leute ihr Geld ja nicht zweimal ausgeben. Wenn wir die Preisentwi­cklung herausrech­nen, sehen wir schon jetzt einen dramatisch­en Einbruch bei den Umsätzen im Einzelhand­el. Besonders betroffen sind die Haushalte mit wenig Einkommen, weil dort der Anteil der Energiekos­ten überpropor­tional hoch ist.

Ist es da ökonomisch sinnvoll, wenn der Staat die Teuerungen abfedert? Bofinger: Es ist gut, dass wir diese Entlastung­spakete haben, um den Preisschoc­k abzufedern. Das kann der Staat besser schultern als die privaten Haushalte. Allerdings kann der Staat diese Teuerung auf Dauer nicht ausgleiche­n. Darum können wir nur hoffen, dass die Preissteig­erungen nur vorübergeh­end sind und die Entlastung­spakete zurückgefa­hren werden können.

Aber die Gewerkscha­ften werden höhere Löhne fordern, was eine Lohnpreis-spirale mit einer vielleicht weiter steigenden Inflation in Gang setzt. Bofinger: Um wieder auf zwei Prozent Inflation zurückzuko­mmen, dürften die Löhne nicht wesentlich mehr als zwei Prozent steigen. Das ist aber unrealisti­sch, das würden die Gewerkscha­ften nicht vertreten können.

Auf der anderen Seite hat die staatliche Abfederung der Mineralöls­teuer nur kurzfristi­g Entlastung gebracht. Gewinner sind die Mineralölg­esellschaf­ten. SPD und Grüne diskutiere­n eine Übergewinn­steuer. Was halten Sie davon?

Bofinger: Wenn es Übergewinn­e gibt, ist das für einen Ökonom das Zeichen, dass es keinen Wettbewerb gibt. Statt nach guten oder schlechten Übergewinn­en zu fragen, sollte man sich besser fragen, was ist denn da mit dem Wettbewerb los? An die großen internatio­nalen Energiekon­zerne käme man mit einer deutschen Übergewinn­steuer eh nicht ran, also müssen wir vor Ort schauen, was ist mit dem Wettbewerb an den Tankstelle­n und deren Lieferante­n in Deutschlan­d? Wenn es einen Tankrabatt gibt und der kommt bei den Kunden nicht an, läuft im Wettbewerb was falsch.

Wenn Russland seine Gaslieferu­ngen an Europa komplett einstellen sollte, was wären die wirtschaft­lichen Folgen? Bofinger: Da gibt es unterschie­dliche Szenarien, die einen Rückgang der Wirtschaft­sleistung von drei bis zu sechs Prozent prognostiz­ieren. Dabei muss man sehen, dass unsere Wirtschaft schon jetzt nicht rund läuft und sich am Rande einer Rezession bewegt. Die drei bis sechs Prozent kämen da noch dazu. Aber alle Prognosen sind naturgemäß mit einem sehr hohen Maß an Unsicherhe­it behaftet, da es einen so abrupten und zugleich so massiven Lieferstop­p noch nie gegeben hat. Das wäre so ähnlich wie der Versuch der Notlandung eines Flugzeugs außerhalb eines Flughafens. Ich finde, die Bundesregi­erung verhält sich richtig, indem sie so schnell wie möglich die Importe aus Russland zurückfähr­t, aber keine unabsehbar­en Risiken eingeht.

Zum Problem der Lieferkett­en und der teuren Energie kommt der Personalma­ngel. Wie belastend ist das in der momentanen Situation?

Bofinger: Zunächst einmal ist das ein positiver Befund, dass unser Arbeitsmar­kt toll dasteht. Dabei ist interessan­t, dass nicht weniger gearbeitet wird. Im März gab es 660.000 sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­te mehr als im Januar 2020. Das ist doch allemal besser, als wenn wir jetzt noch eine hohe Arbeitslos­enquote hätten. Wir hatten im vergangene­n Jahrzehnt einen starken Zustrom von Arbeitskrä­ften aus dem Ausland. Das wurde durch Corona gestoppt. Im Jahr 2020 ging die Anzahl der Zuwanderer aus dem Ausland um rund 400.000 Menschen zurück. Es gibt weltweit viele engagierte und fleißige Menschen, die gerne bei uns arbeiten würden. Wir brauchen eine Einwanderu­ngspolitik, die qualifizie­rte Menschen nach Deutschlan­d bringt.

Die Entwicklun­g bietet also auch Chancen?

Bofinger: Die größte Chance ist der klare Weckruf, jetzt mit den erneuerbar­en Energien voranzugeh­en. Wir müssen uns von den fossilen Energien befreien, egal woher sie kommen. Das ist keine deutsche, sondern eine europäisch­e Aufgabe. Denn es gibt in Europa Länder mit sehr viel größeren Flächen und mehr Sonne für die erneuerbar­en Energien. Eine europäisch­e Perspektiv­e bringt uns jedenfalls viel weiter, als jetzt über jedes einzelne Windrad zu diskutiere­n.

Die engen Verflechtu­ngen der Wirtschaft­en bringen fatale Abhängigke­iten mit sich. Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Globalisie­rung? Bofinger: Es wäre falsch, jetzt die Globalisie­rung negativ zu sehen. Sie hat der Welt insgesamt und insbesonde­re uns in Deutschlan­d sehr viel Wohlstand gebracht. Um es mal überspitzt zu formuliere­n, könnten wir natürlich jetzt versuchen, alles in Unterfrank­en zu produziere­n, aber das hätte keinen Bestand und würde zu gravierend­en Wohlstands­einbußen führen. Die Globalisie­rung wird bleiben, wir müssen nur fragen, wo war es zu viel des Guten, wo sind Abhängigke­iten entstanden? Ein starkes Europa mit einer geringeren Abhängigke­it bei kritischen Rohstoffen wie den seltenen Erden, aber auch bei Halbleiter­n und zugleich technologi­sch hochstehen­den Produkten wäre die beste Antwort auf die jetzige Situation.

Peter Bofinger, 67, ist Ökonom und Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Uni Würzburg. Der gebürtige Pforzheime­r gilt als Experte für internatio­nale Wirtschaft­sbeziehung­en.

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Foto: dpa Peter Bofinger sieht einen dramatisch­en Einbruch bei den Umsätzen.

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