Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mahnmal statt Schandmal
Antijüdisches Relief darf an Kirche bleiben
Karlsruhe Die judenfeindliche Schweinedarstellung darf bleiben: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein als „Judensau“bezeichnetes Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-anhalt nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller mit erläuterndem Text habe die Kirchengemeinde das „Schandmal“in ein „Mahnmal“umgewandelt, befanden die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands am Dienstag in Karlsruhe.
Eine Entscheidung, die auf Kritik und Unverständnis stößt. Nicht nur bei Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt. Weder der BGH noch die beiden Vorinstanzen hätten die „propagandistische Wirkung, die vergiftende Wirkung auf die Gesellschaft wirklich ernst genommen“, sagte er. „Da ist noch viel zu tun.“Er will vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee erklärte: „Das heutige Urteil des Bundesgerichtshofes ist nicht nur für Überlebende des Holocaust enttäuschend.“Das Schandmal an einem der wichtigsten Orte des Protestantismus belaste das Verhältnis zwischen Juden und Christen: „Es tut jüdischen Menschen weh und es empört sie.“
Die Wittenberger Stadtkirche gilt als Mutterkirche der Reformation. Hier predigte einst Martin Luther (1483-1546), der später wegen seiner antisemitischen Äußerungen in die Kritik geriet. Das Relief stellt eine Sau dar, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen.
Der Vorsitzende Richter hatte bei der mündlichen Verhandlung gesagt, das Relief für sich betrachtet sei „in Stein gemeißelter Antisemitismus“. Allerdings stellte der BGH auch klar, selbst wenn die bisherigen Einordnungen nicht ausreichen würden, könnte der Kläger nicht die Entfernung des Reliefs verlangen. Die Kirche hätte mehrere Möglichkeiten, „den Störungszustand“zu beseitigen.