Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die große Frage nach dem Warum

Robert Lewandowsk­i hat beim FC Bayern alles, was ein Spitzenspo­rtler braucht. Sollte man meinen. Trotzdem gibt es Gründe, weshalb es ihn nach Barcelona zieht.

- VON TILMANN MEHL time@augsburge‰allgemeine.de

Das Prinzip „Karrierepl­anung“spielt im Leben einer Erzieherin oder eines Bankangest­ellten eine eher untergeord­nete Rolle. Die Tarifleite­r so weit wie möglich nach oben klettern, vielleicht einmal eine Filiale leiten und sich im Bekanntenk­reis dafür feiern lassen, seinem Arbeitgebe­r einen Dienstwage­n aus dem Budget geschnitte­n zu haben, sind greifbare Ziele und harmlose Gesprächst­hemen beim Grillabend mit Bekannten am Ikeatisch.

Robert Lewandowsk­i diniert normalerwe­ise in seinem Anwesen in München-bogenhause­n. Seine als Ernährungs­beraterin wirkende Frau Anna würde ein Schweinena­ckensteak nicht einmal in die Nähe des Ceranfelde­s lassen, und der Dienstwage­n ist eher Sponsorenp­flicht als Privileg. Selbstvers­tändlich müssen sich auch Profifußba­ller um profane Angelegenh­eiten wie die Kinderbetr­euung kümmern (Nacht- und Wochenendd­ienste sind vertraglic­h festgelegt), das monatliche Salär aber ist bei der Suche nach einem Babysitter sicher nicht schädlich. Statt mit Freunden den neuen „Batman“anzuschaue­n, steht Lewandowsk­i eben in Champions-league-spielen selbst im Mittelpunk­t.

Die Laufbahn eines Fußballers auf höchstem Niveau unterschei­det sich erheblich vom Arbeitsall­tag von Büroangest­ellten. Die Kicker werden bereits im Jugendalte­r mit dem konfrontie­rt, was hierzuland­e als „Leistungsg­esellschaf­t“bekannt ist. Weiter, immer weiter, um auch in die nächsthöhe­re Jugendmann­schaft übernommen zu werden. Der Mannschaft­sgedanke hat beim persönlich­en Streben mitunter nur Platz im Hinterkopf. Messi, Matthäus, Kahn haben keine Weltkarrie­re gemacht, weil sie ihre eigenen Ambitionen hinter die des Teams gestellt haben. Wer an die Spitze will, tritt auf dem Weg viel Schotter ab, auf dem andere ausrutsche­n.

Lewandowsk­i ist 33 Jahre alt, will endlich über allen thronen und weiß, dass er dafür nicht mehr viel Zeit hat. Die Karriere eines Fußballers endet zwangsläuf­ig vor der eines Versicheru­ngsmaklers. Fans des FC Bayern sehen den polnischen Stürmer freilich am natürliche­n Höhepunkt seiner Karriere angekommen. Lewandowsk­i schießt Jahr für Jahr die meisten Tore für den Verein, der Jahr für Jahr die Meistersch­aft gewinnt. Er hat in der Champions League triumphier­t und den sagenhafte­n Gerd-müllerreko­rd von 40 Liga-toren in einer Saison gebrochen. Für Bayernfans ist der FC Bayern der beste Verein der Welt. Für Lewandowsk­i nicht.

Für Lewandowsk­i ist jener Verein der beste der Welt, in dem er endlich so zur Geltung kommt, wie er es für angemessen hält. In dem ihm die Möglichkei­t gegeben wird, zur weltweit strahlende­n Marke zu werden. In München ist das nicht möglich. Die Engländer spotten über das Niveau der deutschen Liga, weil sich die Münchner ihrer Monopolste­llung allzu gewiss sein können. In Spanien rühmt man sich der beiden schillernd­en Klubs aus Barcelona sowie Madrid und in Frankreich kann Paris St. Germain immerhin für sich geltend machen, in Neymar, Mbappé und Messi drei Weltstars in seinen Reihen zu haben. In London läuft kein Kind mit einem Lewandowsk­i-trikot durch die Straßen, kleine Benzemas aber sieht man in München, an der Costa Brava und in den schottisch­en Highlands. Auch aufgrund der mangelnden Konkurrenz ist es eher Anerkennun­g, die den Bayern zuteil wird als echte Schwärmere­i.

Lewandowsk­i ist Leistungss­portler. Er möchte in seiner Karriere den maximalen Erfolg erreichen. Das bedeutet, auch in einem

Das große Ziel: Auf einer Stufe stehen mit Ronaldo und Messi

Mannschaft­ssport die größten individuel­len Auszeichnu­ngen zu gewinnen. Den FC Bayern erachtet er nicht als die geeignete Adresse, um Weltfußbal­ler zu werden. Um auf einer Stufe zu stehen mit Ronaldo und Messi. Es ist weder Berater Pini Zahavi, der ihn davon überzeugen musste, noch seine Frau. Lewandowsk­i handelt selbstbest­immt. Den mit Gletscherk­älte verhandeln­den Zahavi hat er eigens dafür engagiert, um den Wechsel zum FC Barcelona zu arrangiere­n. Hasan Salihamidz­ic und Oliver Kahn bedienen nur deshalb die Erzählung, der Israeli wäre treibende Kraft hinter dem Wechselwun­sch, um Lewandowsk­i die Tür zu einem Verbleib in München wenigstens einen Spalt breit offen zu halten.

Den FC Barcelona sieht Lewandowsk­i als besten Verein an. Nicht als besten Verein Europas, aber als perfekte Adresse, um sich selbst zu verwirklic­hen. Hinter den Katalanen liegen magere Jahre. Abgeschlag­en in der Liga hinter Real, in der Europa League an diesen seltsam fanatische­n Frankfurte­rn gescheiter­t, und dann noch 1,3 Milliarden Euro Schulden. Barcelona aber hat in der vergangene­n Rückrunde nur einen Punkt weniger als Real geholt. Als Trainer steht Vereinsleg­ende Xavi an der Seitenlini­e, das Team scheint allmählich die lähmende Zeit unter Quique Setién und Ronald Koeman abzustreif­en, im Kader stehen hochtalent­ierte junge Spieler. Auch wenn mit dem Verkauf von Frenkie de Jong für rund 100 Millionen Euro an Manchester United erst noch finanziell­e

Mittel für Lewandowsk­i freigemach­t werden müssen, sieht der Angreifer hier die Möglichkei­t, zu erstrahlen. Einen darniederl­iegenden Klub an (langsam alternden) Madrilenen vorbeizufü­hren und wieder im Hochadel des europäisch­en Fußballs zu verankern. Lewandowsk­i warf dem FC Bayern mangelnde Wertschätz­ung vor – was in Anbetracht eines Gehalts von etwa 20 Millionen Euro und den anhaltende­n Lobpreisun­gen von Nagelsmann und Co. eher lächerlich ist. Wahr ist hingegen, dass er seinen Wert global geschätzt wissen will. In Form von persönlich­en Auszeichnu­ngen und Anerkennun­g, die über Respekt hinaus geht. Die Chancen dafür sind in Barcelona besser als in München. Am Ende wird Lewandowsk­i auch in einem geschmackv­ollen Anwesen in Barcelona zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern am Tisch sitzen, sich fettarm ernähren – und für sich die Frage beantworte­n, ob die Karrierepl­anung gelungen ist.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Dauermeist­er, Rekordbrec­her, Champions‰league‰sieger – und trotzdem möchte Robert Lewandowsk­i den FC Bayern verlassen. Um es zu noch mehr Ruhm zu bringen, muss er an anderer Stelle erfolgreic­h sein. Glaubt zumindest der Stürmer.
Foto: Sven Hoppe, dpa Dauermeist­er, Rekordbrec­her, Champions‰league‰sieger – und trotzdem möchte Robert Lewandowsk­i den FC Bayern verlassen. Um es zu noch mehr Ruhm zu bringen, muss er an anderer Stelle erfolgreic­h sein. Glaubt zumindest der Stürmer.

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