Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Gespenst ist zurück

Die EU will Griechenla­nds Finanzen künftig nicht mehr gesondert überwachen. Dennoch steigt angesichts der angekündig­ten Zinserhöhu­ng der Europäisch­en Zentralban­k die Nervosität an den Märkten. Im Fokus steht Italien.

- VON GERD HÖHLER

Athen Griechenla­nd soll erstmals seit der Schuldenkr­ise nicht mehr verstärkt von der Eu-kommission überwacht werden. Das haben die Finanz- und Wirtschaft­sminister der Euroländer am Donnerstag beschlosse­n. Als Folge der Finanzkris­e ab 2010 musste das Land auf Druck seiner Gläubiger harte Sparmaßnah­men umsetzen. Seit 2018 steht Athen finanziell zunehmend auf eigenen Beinen. Die Eu-kommission muss dem Beschluss der Minister noch zustimmen, doch das gilt als sicher. Sein Land sei damit nicht mehr „das schwarze Schaf Europas“, kommentier­te Regierungs­chef Kyriakos Mitsotakis die Ankündigun­g der Eurogruppe. Griechenla­nd habe jüngst die letzten Kredite beim Internatio­nalen Währungsfo­nds getilgt. „Damit schließt sich ein schmerzhaf­ter Kreislauf, der vor zwölf Jahren begonnen hat.“

Doch nach der angekündig­ten Zinswende im Euroraum drohen neue Turbulenze­n für die hoch verschulde­ten Länder in Südeuropa. Im Juli will die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) den Leitzins von null auf 0,25 Prozent heraufsetz­en. Am Bondmarkt macht sich die Zinswende bereits bemerkbar. Die Kurse der Staatsanle­ihen fallen. Spiegelbil­dlich steigen die Renditen. Die Anleger verlangen deutlich höhere Risikozusc­hläge. Die Marktteiln­ehmer treibt vor allem eine Sorge um: Werden diese Staaten in der Lage sein, ihre Verbindlic­hkeiten auch bei steigenden Leitzinsen zu bedienen, ohne dass die Staatsfina­nzen entgleisen? Das gilt vor allem für die hoch verschulde­ten PIGS, die Länder, die vor zehn Jahren im Mittelpunk­t der damaligen Staatsschu­ldenkrise standen: Portugal, Italien, Griechenla­nd und Spanien.

Zur Zinswende kommen der Krieg in der Ukraine, die Inflations­sorgen und die Furcht vor einer neuen Rezession. Diese Kombinatio­n könnte eine gefährlich­e Dynamik entwickeln, warnt der Internatio­nale Währungsfo­nds. Er sieht vor allem Risiken in den Entwicklun­gsländern. Ungemütlic­h wird es aber auch für die hoch verschulde­ten Staaten der Eurozone, die bisher von den Nullzinsen und den Anleihekau­fprogramme­n der EZB profitiert­en. Die Eurokrise begann 2009 in Griechenla­nd. Das Land scheint auf den ersten Blick mit der höchsten Schuldenqu­ote immer noch am schlechtes­ten dazustehen: 193,3 Prozent des BIP Ende 2021. Im August 2021 war die Rendite der zehn

jährigen Anleihe mit 0,53 Prozent auf den niedrigste­n Stand seit der Euro-einführung gefallen. Als Griechenla­nd Mitte Januar mit einem Zehnjahres­bond an den Markt ging, musste das Land den Anlegern bereits einen Aufschlag von 1,84

Prozent bieten. Aktuell liegt die Rendite des zehnjährig­en Papiers sogar bei 4,4 Prozent. Dennoch sehen die meisten Analysten keine Gefahr.

„Die griechisch­en Schulden sind tragfähig“, sagt Klaus Regling, Chef des Euro-stabilität­sfonds ESM, der Griechenla­nds größter Gläubiger ist. Der Grund für die Entwarnung liegt in der Schuldenst­ruktur des Landes: 75 Prozent der griechisch­en Staatsschu­lden liegen bei öffentlich­en Gläubigern wie dem ESM und seinem Vorgänger EFSF. Die Zinsen der Hilfskredi­te sind dauerhaft niedrig, die Laufzeiten gehen bis ins Jahr 2070. Entspreche­nd niedrig ist der Refinanzie­rungsbedar­f der nächsten Jahre. Außerdem verfügt Griechenla­nd über ein Liquidität­spolster von fast 40 Milliarden Euro. Überdies drückt das starke Wachstum die Schuldenqu­ote: „Mit einem realen Wirtschaft­swachstum von sieben Prozent zum Vorjahr hat Griechenla­nd im ersten Quartal 2022 den Rest der Eurozone mal wieder weit hinter sich gelassen“, sagt Holger Schmieding, Chefvolksw­irt der Berenberg Bank.

Auch in Spanien und Portugal sieht die Eu-kommission keine unmittelba­re Gefahr einer neuen Schuldenkr­ise. Die beiden ehemaligen

Krisenländ­er haben gute Wachstumsa­ussichten, nicht zuletzt dank des Comebacks im Tourismus und der Gelder aus dem Eu-coronaaufb­auplan. Der Fokus liegt diesmal auf Italien. Das liegt vor allem an der schieren Größe des italienisc­hen Schuldenbe­rges. Er macht fast ein Viertel der gesamten Staatsschu­lden der Eurozone aus. Die Rendite der zehnjährig­en Anleihe stieg seit dem vergangene­n August von 0,56 auf jetzt 4,1 Prozent. Sorge bereitet den Analysten die schwindend­e Reformdyna­mik in Italien und die Aussicht, dass Ministerpr­äsident Mario Draghi, der als Stabilität­sgarant gilt, bei den Wahlen Anfang kommenden Jahres sein Amt verlieren könnte.

Eine Studie der Investment­bank Goldman Sachs warnt, Italien sei in der Eurozone jenes Land, dessen finanziell­e Stabilität „am stärksten von politische­n Strömungen bedroht ist“. Die Refinanzie­rungskoste­n in den stärker verschulde­ten Mittelmeer­ländern dürften sich gegenüber den solider dastehende­n Nordstaate­n deutlich erhöhen. Gegensteue­rn könnte die EZB mit neuen Anleihekau­fprogramme­n. Bisher haben die Währungshü­ter in Frankfurt aber nicht erkennen lassen, wie sie dieses Problem in den Griff bekommen wollen.

 ?? Foto: Simela Pantzartzi, dpa (Archiv) ?? Griechenla­nd ist weiter hoch verschul‰ det.
Foto: Simela Pantzartzi, dpa (Archiv) Griechenla­nd ist weiter hoch verschul‰ det.

Newspapers in German

Newspapers from Germany