Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kinderkrebszentrum ist von Spenden abhängig
Nicht nur Spielsachen oder Einrichtungsgegenstände müssen erbettelt werden. Längst wird auch wichtiges Personal von Vereinen finanziert. Der Onkologe Michael Frühwald spricht von „beschämenden Zuständen“.
Augsburg Das hohe Fieber kam im Urlaub. Im Herbst vergangenen Jahres. Es stieg über 40 Grad und ließ sich über eine Woche nicht senken. Als die zwölfjährige Hannah nach ihrer Rückkehr mit ihrer Mutter sofort zum Kinderarzt ging, war dieser sehr beunruhigt. Das war an einem Freitag. Sie wurde in die Klinik überwiesen. Am Montag bekam Hannah die Diagnose: Leukämie.
Seit diesem 5. September war Hannah, die mit ihren zwei jüngeren Brüdern und ihren Eltern in Buttenwiesen im Landkreis Dillingen lebt, immer wieder im Schwäbischen Kinderkrebszentrum in Augsburg. Oft über Wochen, dann wieder nur für ein paar Tage. Eine sehr schwere Zeit. Vor allem für Hannah. Aber auch für ihre Eltern.
Etwa 70 junge Patienten erhalten im Schwäbischen Kinderkrebszentrum jährlich die Diagnose Krebs. Bundesweit erkranken im Jahr etwa 2000 Kinder unter 18 Jahren an einer bösartigen Erkrankung. Die Heilungschancen werden zwar immer besser, doch dafür braucht es Forschung. Und schon diese ist nur mit Unterstützung von Spenden möglich, erklärt Professor Dr. Michael Frühwald, der Leiter des Schwäbischen Kinderkrebszentrums.
Denn ohne eine sogenannte Anschubfinanzierung für Forschungsprojekte könnte sein Haus größere Forschungsvorhaben gar nicht an den Start bringen. „Dafür habe ich ja auch noch ein gewisses Verständnis“, sagt der Kinderonkologe. Wofür ihm aber jedes Verständnis fehlt, ist die Tatsache, „dass wir auch immer mehr Regelversorgung nur über Spenden finanzieren können“. Das beginne bei einer Beschattung der Fenster, damit die schwer kranken Kinder im Sommer nicht in der Hitze in ihren Betten ausharren müssen. Aber auch der Neuropsychologe, der beispielsweise Kinder testet, die an einem Hirntumor leiden, und die Erzieherin, die den Kindern ihren stationären Aufenthalt etwas erleichtert, könnten nur bezahlt werden, weil Vereine, die Spenden sammeln, die Kosten für diese Mitarbeiter übernehmen. Früher hätten die Kinder zum Teil mit Medikamenten ruhiggestellt werden müssen, als es beispielsweise noch keine Erzieherin und Sporttherapeutin gegeben hat, erklärt Frühwald. Auch dürfe man nicht vergessen, dass für etliche Behandlungen und Untersuchungen
mehr Zeit und Aufwand als bei Erwachsenen nötig ist. Beispiel: Strahlentherapie. Kleine Kinder haben bei der belastenden Behandlung oft große Ängste. In einer bayerischen Kinderklinik sei erfolgreich eine Erzieherin eingesetzt worden, die mit den Kindern während der Therapie eine Traumreise macht. „Solche Stellen finanzieren die Kassen aber nicht, daher müssen wir die Kinder aus Spargründen narkotisieren, was meines Erachtens einer Körperverletzung nahekommt.“Frühwald spricht von „beschämenden Zuständen“, geht es doch um nichts weniger als um das Überleben der Kinder und Jugendlichen. Der Mediziner ist sich längst sicher: „Die Kostenträger – also die Krankenhausgesellschaften und die Krankenkassen – kalkulieren die Spenden einfach mit ein und erhöhen deshalb die Fallpauschalen nicht.“
Diese Nöte plagen viele Kinderkliniken. Nach einem Besuch in einer Kinderklinik in Nordrheinwestfalen twitterte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
(SPD) Anfang Mai: „Kinderkliniken kommen aus der Fallpauschale, dann gibt es auch kein Defizit mehr.“Auf Nachfrage unserer Redaktion, wann sich etwas ändert, heißt es vom Ministerium: „Eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen.“Der Koalitionsvertrag sehe vor, „kurzfristig für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie und Geburtshilfe zu sorgen“. Um „die notwendigen Reformen im Krankenhausbereich anzugehen“, habe eine Regierungskommission am 12. Mai ihre Arbeit begonnen. Sie werde unter anderem auch zur Finanzierung der Pädiatrie Stellungnahmen erarbeiten. „Dieser Prozess bleibt abzuwarten, bevor der politische Reformprozess beginnt.“
Warten können aber schwer kranke Kinder und Jugendliche nicht. Das weiß Dr. Rainer Karg, der Vorsitzende der „Kinderkrebshilfe-königswinkel“. Den Verein
gibt es seit 23 Jahren. Wichtig ist ihm, dass der Aufenthalt der Kinder und ihrer Familien in den Kliniken erträglicher wird. Und zwar nicht nur in Augsburg, sondern auch in den Kinderkliniken in Kaufbeuren, Kempten und Memmingen. Seit vielen Jahren engagiert sich der Allgemeinmediziner Karg gezielt für krebskranke Kinder, indem er unter anderem Spenden-radtouren veranstaltet. Denn er weiß: „Ohne ehrenamtliche Hilfe wäre es um krebskranke Kinder und ihre Familien schlecht bestellt.“Entscheidend ist für Karg und sein Team, dass vor allem die Familien jede Unterstützung erhalten, die sie im Kampf gegen die Krankheit stärkt. Da werden beispielsweise Verdienstausfälle übernommen oder Fahrtkosten, da werden für die Klinik Musikinstrumente angeschafft oder Begleitbetten, damit Mutter oder Vater neben dem Krankenbett nächtigen können. „Auch den Bau eines Kinderkrebsforschungszentrums in Augsburg haben wir mit einer hohen Summe ermöglicht.“Und auch dringend nötige Personalstellen, „die von der Verwaltung gestrichen wurden“, finanziere der Verein.
Dieses umfangreiche Leistungsspektrum bietet auch der Verein „Lichtblicke“. Diese „Elterninitiative krebskranker Kinder Augsburg“hat unweit des Schwäbischen Kinderkrebszentrums nicht nur ihren Sitz, sondern auch ein Elternhaus. 1985 aus einer Selbsthilfegruppe heraus entstanden, sorgt der Verein heute nicht nur für Elternzimmer, sondern greift Familien in den unterschiedlichsten Notsituationen unter die Arme und arbeitet dafür eng mit dem psychosozialen Dienst der Klinik zusammen. Denn „Lichtblicke“fördert ausschließlich das Schwäbische Kinderkrebszentrum. Einerseits um die Behandlungen kindgerechter und erfolgreicher zu machen, andererseits um die Wünsche der Kinder und Familien zu erfüllen, erklärt Geschäftsführer Thomas Kleist. Als zwei von unzähligen Beispielen nennt er die Finanzierung von Forschungsprojekten für Kinder mit Hirntumoren, aber auch die Beteiligung an Erweiterungsbauten des Kinderkrebszentrums. Auch der „Förderkreis für krebskranke Kinder im Allgäu“und der Verein „Glühwürmchen“unterstützen das Kinderkrebszentrum.
Hannah und ihre Eltern wissen heute, was wirklich hilft, um diese belastenden Monate gut zu überstehen. Wer mit Mutter und Tochter spricht, bekommt anschaulich beschrieben, was es heißt, wenn einem sportlichen, lernbegeisterten, an ihren Freundinnen hängenden Mädchen von einem Tag auf den anderen der Krebs nicht nur die Kräfte raubt, sondern das ganze gewohnte Lebensumfeld. Hannah konnte zeitweise kaum noch etwas essen, sich nur noch schlurfend fortbewegen und war so tief bedrückt, dass sie über Wochen nicht mehr gesprochen hat. Eine großzügige Terrasse, auf der man auch mit seinen vielen Infusionen raus gehen kann, eine Elternküche, in der einem die Mama auch nachts die Leibspeise kochen kann, eine Sporttherapeutin, die einen zu kleinen Bewegungen motiviert, und eine Erzieherin, die jede Menge Möglichkeiten zum Basteln, Malen, Musizieren hat, haben auf einer Kinderkrebsstation eine ganz andere Bedeutung. Das wird im Gespräch mit Hannah klar. „Das Umfeld hat ihr geholfen, den Krebs zu bekämpfen“, sagt Katrin Kehl, und ihre Tochter ergänzt: „Aktuell sind keine bösartigen Zellen mehr vorhanden.“Hannah kann also wieder das Familienleben genießen, ihre Freundinnen treffen und – was sie besonders freut: „Ich darf endlich wieder in die Schule!“
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