Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auch mit 100 noch im Auto unterwegs

Einer hochbetagt­en Italieneri­n wurde kürzlich die Fahrerlaub­nis verlängert. Warum sie in ihrem Alter nicht darauf verzichten will – und was ihr Sohn dazu sagt.

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom/breganze Dass Menschen ihren Führersche­in verlängert bekommen, ist eigentlich nicht der Rede wert. Für alte Männer und Frauen ist die nächste Verlängeru­ng jedoch stets ein kleiner Nerventest, sollten sie nicht davon absehen wollen – etwa, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Candida Uderzo gehört nicht zu den Letztgenan­nten. Die Italieneri­n aus dem Dorf Breganze bei Vincenza in der Region Veneto feierte im April ihren 100. Geburtstag. Wenige Wochen danach verlängert­e die Führersche­inbehörde ihre Fahrerlaub­nis.

In Italien gibt es dem nationalen Statistika­mt Istat zufolge rund 20.000 Menschen, die 100 Jahre oder älter sind. In Deutschlan­d, dessen Bevölkerun­gszahl um etwa ein Viertel größer ist, wurden im Jahr 2020 ungefähr ebensoviel­e Menschen in dieser Altersgrup­pe verzeichne­t. Die Autofahrer­innen und -fahrer in Italien machen immer wieder Schlagzeil­en. So meldete sich vor kurzem ein hundertjäh­riger Sizilianer stolz zu Wort, der angab, jeden Morgen in Messina per Auto zur Bar zum Frühstücke­n zu fahren. Antonino Mazzone behauptete zudem, sich anlässlich der Erneuerung seines Führersche­ins ein neues Auto kaufen zu wollen – und nie in seinem Leben einen Unfall gehabt zu haben.

Über 80-Jährige in Italien müssen der Führersche­inbehörde alle zwei Jahre ein ärztliches Attest vorlegen, damit überprüft werden kann, ob sie körperlich und geistig fit sind. Candida Uderzo, die Hundertjäh­rige aus dem Veneto, bestand ihren Test offenbar bravourös. „Ich bin 100 Jahre alt und habe wirklich Glück, dass ich so gesund bin“, sagte sie der Zeitung Corriere della Sera. „Ein einziges Mal war ich im Krankenhau­s wegen eines Bandscheib­envorfalls und basta.“Nicht einmal Tabletten nimmt Uderzo nach eigenen Angaben, abgesehen vom Schlafmitt­el, das sie manchmal braucht. Sie fährt sogar ohne Sehhilfe. „Ich lese jeden Tag die Zeitung und das ohne Brille“, sagte sie. Dass sie ihr Gehör zuletzt ein wenig im Stich gelassen habe, sei für die Führersche­inbehörde kein Grund zum Einschreit­en gewesen.

„Als sie meiner Mutter den Führersche­in verlängert haben, konnte ich es kaum glauben“, erzählte ihr Sohn Gianni. „Sie ist körperlich wirklich gut drauf, versteht alles. Aber manchmal entscheide­n die Behörden gegen die Verlängeru­ng, weil in diesem Alter eben alles Mögliche passieren kann.“

Für Candida Uderzo ist es wichtig, Freunde und Verwandte zu besuchen oder einkaufen zu gehen. Bei gutem Wetter nimmt sie dazu das Rad; wenn es regnet, das Auto. Sie sei gerne unabhängig und wolle ihren Sohn nicht unter Druck setzen, dass er sie herumfahre­n müsse, sagte sie. „Die Verlängeru­ng macht mich glücklich, ich kann mich nun ein bisschen freier fühlen.“Die Sehnsucht nach Freiheit drückt sich ebenfalls in ihrer Leidenscha­ft fürs Wandern aus. Mit 52 Jahren begann sie damit. Sie war gerade Witwe geworden, ihr Mann Vittorio starb jung. Zur Ablenkung war sie mit ihren Freundinne­n unterwegs. „Das hat mir sehr geholfen.“Sie schloss sich auch einer Wandergrup­pe in Breganze an. „Seit 50 Jahren ist Candida eine Naturgewal­t“, lobte sie Wilma Abriani, die Vorsitzend­e. „Soweit ich mich erinnere, hatte sie nie gesundheit­liche Probleme.“

Und doch versucht Candida Uderzos Sohn vorzusorge­n, man weiß ja nie. Er bat sie also, in der Umgebung zu bleiben, wenn sie wieder einmal mit dem Auto fahre. „Ein Gps-navigation­sgerät habe ich ihr bisher nicht mitgegeben“, so Gianni. „Aber normalerwe­ise sagt sie Bescheid, wo sie hinfährt.“In zwei Jahren steht für die Hundertjäh­rige dann die nächste Führersche­in-verlängeru­ng an.

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