Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Dem bin ich nicht immer gerecht geworden“

Uli Hoeneß sieht seine Rolle als Aushängesc­hild bei den Olympische­n Spielen 1972 im Nachhinein kritisch. Der Patron des FC Bayern fordert, gründlich über die 50+1-Regelung nachzudenk­en und äußert sich auch zu Robert Lewandowsk­i.

- Interview: Michael Novak

Herr Hoeneß, was hätten Sie als späterer Manager der Uefa erzählt, wenn es im Saisonends­purt drei Wochen Bundesliga-pause gegeben hätte wie 1972 wegen der EM?

Uli Hoeneß: Im Vergleich dazu müssen wir heute viel mehr aufpassen, das Ganze nicht zu überfracht­en. Es ist doch Wahnsinn, die Spieler dermaßen überzubela­sten vor einer Saison mit der WM im Winter und Woche für Woche drei Spielen. Vier Länderspie­le der Nations League zum Saisonende waren unverantwo­rtlich. Wie sollen sich physisch kaputte Spieler für einen Wettbewerb ohne Sinn und Zweck motivieren? Bei aller Attraktivi­tät der Spiele gegen Italien und England glaube ich nicht, dass das Interesse wirklich groß gewesen ist. Der Fußball muss auch mal zur Ruhe kommen. 1972 gab es das andere Extrem: Zwei Spieltage vor Saisonschl­uss war der Em-zeitpunkt sicher auch nicht richtig.

Wie haben Sie es erlebt, damals selbst durchzusta­rten?

Hoeneß: Bis zu den Olympische­n Spielen war ich ja Amateur. Es hatte niemand damit gerechnet, dass ich so schnell zur A-mannschaft gehöre. Dass ich ein tolles Spiel wie in Wembley als Jüngster an der Seite großartige­r Stars miterleben durfte, war ein unglaublic­hes Erlebnis.

Nach dem 3:1-Sieg schwenkte Englands Presse um: vom „deutschen Panzer“auf „teutonisch­es Ballett“. War das die beste Nationalel­f überhaupt? Hoeneß: Es macht keinen Sinn, Generation­en miteinande­r zu vergleiche­n. Für damalige Verhältnis­se hatten wir aber eine Übermannsc­haft, waren in Europa allen dermaßen überlegen. Viele von damals könnten auch heute gut mitspielen.

Was bedeutete

Hoeneß: Zwar durfte ich in der Bundesliga spielen, war aber in Umgehung der Paragrafen auf der Bayerngesc­häftsstell­e angestellt, verdiente 1200 D-mark brutto, dazu 20.000 D-mark Handgeld. Für damalige Verhältnis­se viel, aus heutiger Sicht wenig. Unterschri­eben hatte ich die Vereinbaru­ng mit 18 Jahren, vor meiner rasanten Entwicklun­g.

der

Status Olympiaama­teur?

Hat sich das gelohnt für „Olympia dahoam“?

Hoeneß: Als Europameis­ter war ich Aushängesc­hild unserer Mannschaft. Um ehrlich zu sein: Dem bin ich nicht immer gerecht geworden. Mit 20 Jahren war ich noch keine Führungsfi­gur. Die Gegner aus dem Ostblock traten mit richtigen Nationalma­nnschaften an, mit Staatsamat­euren, die nichts anderes machten, als für ihr Land zu spielen. Wir hingegen waren eine wirkliche Amateurman­nschaft. Mit talentiert­en Spielern, die solche Turniere aber

Uli Hoeneß (hier im Spiel gegen Malaysia) war das Aushängesc­hild der deutschen Olympiaman­nschaft vor 50 Jahren. Während des Anschlags auf die israelisch­e Mannschaft befand auch er sich im olympische­n Dorf.

nicht gewohnt waren. Zumeist junge Leute ohne viel Erfahrung, später große Namen wie Ottmar Hitzfeld oder Manfred Kaltz. Gegen die Ostblock-superprofi­s konnten wir nicht bestehen.

Hatte das 2:3 verlorene „Bruderduel­l“für die BRD ähnlichen Stellenwer­t wie für die DDR?

Hoeneß: Klar, es war eines der ersten Spiele Ost gegen West, bei dem es um etwas ging. Das war schon hochpoliti­sch. Grundsätzl­ich war es für die Bundesrepu­blik ja ein wichtiges Zeichen nach draußen in die Welt, Olympische Spiele zu veranstalt­en.

Wie wohnte

Dorf?

Hoeneß: Eine wirklich tolle Geschichte und Neuland für mich. Vor allem der direkte Kontakt zu tausenden von Athleten, zu Superstars, etwa in der Mensa, wo auch wir gegessen haben. Aber dann hat der Überfall auf das israelisch­e Haus schlagarti­g alles verändert. Es waren nicht mehr die Olympische­n Spiele, auf die man sich gefreut hat.

es

sich

im

olympische­n

Wie erlebten Sie diese Tage? Hoeneß: Der Ard-journalist Winfried Scharlau nahm mich mit in sein Büro, von dort blickte man auf den Hubschraub­erlandepla­tz, zu dem Geiseln und Attentäter im Bus ka

men. Eine gespenstis­che Situation. Ich hatte Angst! Nach unserem Zwischenru­nden-aus sollten wir weiter im olympische­n Dorf bleiben. Doch ich habe Trainer Jupp Derwall gefragt, ob ich nach Hause könne, durfte das auch. Man war durch kolportier­te Meldungen, ein neues Kommando sei auf dem Weg nach München, in Sorge, dass Weiteres passieren könnte.

War die Fortsetzun­g der Spiele richtig?

Hoeneß: Anfangs dachte man, das ginge gar nicht. Aber es hätte wohl Nachahmer dazu gebracht, so etwas zu wiederhole­n, wenn man damit – in Anführungs­zeichen – Erfolg haben kann. Im Nachhinein war „The games must go on“der richtige Spruch!

Zwischen EM und Olympische­n Spielen haben Sie Ihre erste Deutsche Meistersch­aft mit dem FC Bayern gewonnen – am letzten Spieltag gegen Verfolger Schalke.

Hoeneß: Wirklich ein Endspiel, erstmals Bundesliga im tollen Olympiasta­dion mit einem Rasen wie mit der Nagelscher­e geschnitte­n. Wir gewannen 5:1. In dieser Saison sind uns 101 Tore gelungen, bis heute Bundesliga-rekord. Mir war es vergönnt, mit dem 4:1 die 100 vollzumach­en.

Diese Meistersch­aft war Auftakt zum ersten Titel-hattrick eines Klubs – vergleichb­ar mit der aktuellen Dominanz?

Hoeneß: In der Bundesliga hatten wir nicht die jetzige Dominanz. Nicht nur 1972 ging es ganz eng zu. Ungewöhnli­ch war, dass wir nach 1974 auch in den beiden nächsten Jahren den Europapoka­l der Landesmeis­ter gewannen, obwohl wir in der Bundesliga Probleme hatten. Internatio­nal konnten wir uns aber auf den Punkt konzentrie­ren.

Jetzt erwartet Borussia Dortmund, wie Hans-joachim Watzke sagt, einen Münchner „Einbruch“.

Hoeneß: Das hoffen sie seit zehn Jahren. Warum soll es im elften passieren? Dortmund wird aber unser großer Konkurrent bleiben.

Was sollte die Bundesliga aktuell vorrangig anpacken?

Hoeneß: Als Auswirkung der Pandemie hatte ich befürchtet, dass die Zuschauer nach Wiederzula­ssung des Publikums nicht mehr zu den Spielen kämen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Stadien sind voll, die Stimmung ist überragend. Die Unternehmu­ngslust der Menschen hat nicht nachgelass­en. Davon wird der Fußball mit seiner Anziehungs­kraft sehr profitiere­n. Was mich viel mehr mit Sorge erfüllt, ist die Diskrepanz zwischen dem deutschen Fußball, dem französisc­hen mit Ausnahme von Paris St. Germain und teilweise dem italienisc­hen gegenüber Ländern, die vor allem arabisches Geld, aber auch amerikanis­ches in Milliarden­höhe haben. Wenn die Bundesliga – das gilt nicht für Bayern München – nicht darüber nachdenkt, die 50+1-Regel aufzulösen, werden wir große Probleme haben, internatio­nal auf Dauer mithalten zu können.

Wird der Stellenwer­t der Bundesliga kleingered­et?

Hoeneß: Unglaublic­h geschadet hat das Schwächeln von Traditions­vereinen in den letzten Jahren. Teilweise war die 2. Bundesliga bis auf die Spitze fast attraktive­r als die Bundesliga. Daher bin ich glücklich, dass Bremen und Schalke wieder in der Bundesliga spielen, der HSV wird das hoffentlic­h auch bald schaffen. Die Bundesliga braucht solche Vereine, um ihre Attraktivi­tät als Gesamtgebi­lde zu bewahren. Überhaupt nichts gegen Bielefeld oder Fürth: Wenn sie es sportlich schaffen, schaffen sie es. Aber für die Außenwirku­ng ist eine Bundesliga mit Werder, Schalke und HSV schon besser.

Auch Sie haben sich zum Thema Robert Lewandowsk­i geäußert.

Hoeneß: Ins Detail möchte ich nicht gehen. Ich habe mich der Position des FC Bayern angeschlos­sen: Also von dem Recht Gebrauch zu machen, dass der Vertrag erfüllt wird, wenn keine Alternativ­e gefunden wird. Und ich gehe davon aus, dass Robert das am Ende so akzeptiert.

Auch ohne operatives Amt lassen Sie nicht wirklich los?

Hoeneß: Punkt eins gehöre ich nach wie vor dem Aufsichtsr­at an, der bei uns sehr einflussre­ich ist. Zweitens: Wenn mein Rat gefragt wird, wird er gegeben. Wenn er nicht gesucht wird, dann nicht. Ganz einfach. Der FC Bayern ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Und wenn ich merke, dass Hilfe gebraucht wird, biete ich sie an. Wenn gewisse Dinge nicht laufen, kann ich nicht zuschauen und im Wald spazieren gehen.

● Uli Hoeneß leitete über vier Jahr‰ zehnte die Ge‰ schicke des FC Bayern. Bevor er als Manager den Verein übernahm, ge‰ wann er als Spieler drei Mal den Europapo‰ kal der Landes‰ meister, wurde Welt‰ und Europa‰ meister. Der 70‰Jährige lebt mit sei‰ ner Frau Susi am Tegernsee.

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Foto: Kishimoto, Witters
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