Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Zeit der Träume

- VON TILMANN MEHL time@augsburger‰allgemeine.de

Genau jetzt ist der beste Zeitpunkt im mitteleuro­päischen Fußball. Nun, da kein Ball über allmählich verdörrend­es Gras hoppelt, sind Träume endlich wieder erlaubt. Werden sie nicht sofort als unrealisti­sche Hirngespin­ste abgetan. Die von unfähigen und krummbeini­gen Spielern gerissenen Wunden in das von jeher zerbrechli­che Vertrauen sind verheilt. Der Schmerz manch bitterer Niederlage gegen trostlos untalentie­rte Mannschaft­en: verklungen. Nun wird alles besser. Sicher. Zusammenge­fasst im Bonmot aller 60erfans: Nächste Saison kaff ma uns an Brasiliane­r und dann steig ma auf.

Nur, in der Sommerpaus­e werden die Fans nicht mit den Härten der Realität konfrontie­rt. Sportdirek­toren wird geglaubt, dass der Stürmer aus der zweiten serbischen Liga tatsächlic­h jenen Mannschaft­steil zu einer durchschla­genden Waffe machen wird, der in den vergangene­n Jahren aus vollkommen unerfindli­chen Gründen unter „Sturm“firmierte. Weshalb kein anderer Manager auf den serbischen Wunderangr­eifer aufmerksam wurde, wird nicht hinterfrag­t. Transferge­rüchte, die sich in wenigen Wochen als vollkommen illusorisc­h

Spielt nächste Saison chum: Neymar. vielleicht für Bo‰

herausgest­ellt haben werden, befeuern zudem die Fantasie. Wurde nicht tatsächlic­h das Auto der Frau des Beraters von Luka Modric auf dem Vereinsgel­ände des Mittelklas­seklubs gesichtet? War es nicht schon immer der Wunsch Neymars, den VFL Bochum zur Meistersch­aft zu führen? Schließlic­h hat doch Raul auch für den FC Schalke gespielt.

Die Deutsche Fußball Liga befeuert die Träume mit der Veröffentl­ichung des Spielplans Mitte Juni. Wenn die Luft vor Hitze flirrt, vernünftig­e Gedanken schmelzen und allerhand Raum für heiße Fantasien ist. Wenn nur der erste Spieltag gelingt, dann auswärts am zweiten ein überrasche­ndes Unentschie­den beim Topklub – und schon hat man einen Lauf, der zur Meistersch­aft führt, mindestens aber in die Champions League.

Fußball ist ein Spiel der Fantasten. Derer, die immer das Schlimmste erwarten und das Beste erhoffen. Nur so sind Auswärtsfa­hrten zum FC Bayern zu erklären. Durch ihr zehnmonati­ges Bangen – unterbroch­en nur von einer Winterpaus­e, die ausschließ­lich für unsinnige Panik-transfers genutzt wird – haben sie sich zwei Monate der schwelgeri­schen Träumereie­n verdient. Im August hält die Wirklichke­it wieder Einzug, werden seelische Wunden geschlagen, die erst in einem Jahr wieder verheilen. In der Zeit der Träume.

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Foto: Tim Goode, dpa
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