Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Diese Woche: Mehr Verkehrsto­te durch Tempolimit?

- WIRKLICH WISSEN? EINE BEISPIELHA­FTE AUFKLÄRUNG ÜBER DEN TATSÄCHLIC­HEN WAHRHEITSW­ERT KURSIEREND­ER BEHAUPTUNG­EN

Bei der in Deutschlan­d häufig emotional geführten Diskussion zum Thema Tempolimit werden mitunter äußerst fragwürdig­e Argumente vorgebrach­t. Aktuell etwa wird auf einer Grafik, einem sogenannte­n Sharepic, verbreitet über die sozialen Medien, die Zahl der Verkehrsto­ten in ausgewählt­en Eu-staaten mit der in der Bundesrepu­blik verglichen. Aufgrund der dort höheren Quote wird der Eindruck erweckt, ein Tempolimit mache Autobahnen sogar unsicherer. Aber stimmen die Angaben wirklich?

Fakten

Die Tempolimit-angaben im Sharepic stimmen. Während es in Deutschlan­d nur eine Empfehlung gibt, sich auf Autobahnen nach einer Geschwindi­gkeit von 130 Stundenkil­ometer zu richten, gibt es in den anderen genannten Ländern strikte Begrenzung­en: In Belgien darf man höchstens 120 Kilometer pro Stunde fahren, in Österreich wie in Griechenla­nd 130 und in Polen 140.

Woher und von wann stammen die Werte zu Verkehrsto­ten?

Das ist zunächst nicht ersichtlic­h. Klar ist aber: Sie sind sehr veraltet. Zwar wird im Sharepic auf das Unternehme­n Statista als Quelle verwiesen, doch sind die dort für die Jahre 2019 bis 2021 angegebene­n Daten zur Zahl von Verkehrsto­ten in der Europäisch­en Union nach Ländern (kostenpfli­chtig) nicht dieselben.

Unter anderem der Autofahrer­club Mobil in Deutschlan­d verbreitet das Sharepic am 6. Juni 2022 auf seinem Facebook-account „Kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen“. Auf eine entspreche­nde Anfrage der kann der Verein keine genaue Ursprungsq­uelle für die Werte nennen. „Bei dieser Grafik handelt es sich um einen Repost von 2020“, schreibt Präsident Michael Haberland am 13. Juni. Tatsächlic­h verbreitet­e Mobil in Deutschlan­d die Grafik schon Ende 2019 in sozialen Medien.

Die aktuellen Statista-werte für 2019, 2020 und 2021 stammen ursprüngli­ch von der Eu-kommission und wurden von dieser am 22. März 2022 veröffentl­icht. Demnach gab es auf deutschen Straßen 37 Tote (Jahr 2019), 33 (2020) beziehungs­weise 31 Tote (2021) pro eine Million Einwohner. Das Sharepic hingegen schreibt von 3,8

Toten pro 100.000 Einwohner, also umgerechne­t etwa 38 Toten per Million.

Auch die Sharepic-zahlen zu den anderen Ländern sind bei weitem nicht deckungsgl­eich mit den aktuellen Daten aus Brüssel. Während in der Grafik etwa 7,4 Tote pro 100.000 Einwohner für Polen genannt werden, führt die Eu-kommission 59 Tote bei einer Million Einwohner (Jahr 2021) auf. Genauso liegen bei Griechenla­nd, Belgien und Österreich die Sharepicza­hlen teils deutlich über den Eu-angaben für 2021.

Was ist mit ganz anderen Ländern?

Was die Grafik verschweig­t: Es gibt weitere Staaten mit Tempolimit­s, deren Quoten etwa im Jahr 2021 aber teils deutlich unterhalb der 31 Verkehrsto­ten pro eine Million Einwohner in Deutschlan­d lagen.

Nach Eu-angaben starben in den Niederland­en 28 Menschen von einer Million Einwohner im Straßenver­kehr (Autobahnte­mpolimit: 130 km/h), in Irland 27 (120 km/h), in Dänemark 23 (130 km/h), in Schweden 18 (110 km/h) und auf Malta 17 (80 km/h).

Grundsätzl­ich allerdings hat eine solche Gegenübers­tellung von Verkehrsto­ten und Tempolimit­s, wie sie im Sharepic gemacht wird, keine besondere Aussagekra­ft. Denn die allgemeine­n Daten zu Verkehrsto­ten lassen etwa keinen Unterschie­d erkennen, ob sich die Unfälle beispielsw­eise in verkehrsbe­ruhigten städtische­n Bereichen oder auf Überlandst­raßen ereigneten. Den jüngsten Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s zufolge starben im Jahr 2020 die meisten Menschen auf Landstraße­n außerhalb von Ortschafte­n, nicht auf Autobahnen. Ähnlich war es 2021 etwa in Österreich.

Und wie sieht nun die Unfallbila­nz konkret auf Autobahnen aus?

Auch zum Unfallgesc­hehen dort macht die Europäisch­e Union Angaben – bis einschließ­lich 2020. Und da steht Deutschlan­d nicht allzu gut da, sondern nur im schlechtes­ten Drittel der 22 europäisch­en Länder, aus denen Angaben dazu erhältlich sind.

Demnach gab es 2020 in der Bundesrepu­blik 0,4 Tote pro 100.000 Einwohner nach Verkehrsun­fällen auf Autobahnen. In Polen waren es 0,1 Tote, 0,3 in Griechenla­nd und Österreich. 0,7 waren es in Belgien.

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