Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Einiges ist heute besser als früher“
Smudo ist mit den Fantastischen Vier auf Jubiläumstour. Er spricht über das Wunder, das einst sein Leben verändert hat, über grassierende „German Angst“und seine Ängste heute, über das Ringen um Zuversicht für die Zukunft seiner Töchter – und über das Karriere-ende.
Werter Herr Schmidt, lieber Smudo, mit Corona-verzögerung sind Sie nun mit den Fantastischen Vier auf Jubiläumstour. Sind solche Jubiläen ein Anlass, um sich mal wieder darauf zu besinnen, wie unglaublich ist, was aus dem geworden, was vor 30 Jahren anfing? Smudo: Eigentlich fühlen sich die vergangenen 15 Jahre so an, als wären sie komplett in einer Art Jubiläumsmodus vergangen: Album gemacht, Tour gemacht, eine Festivalsaison gespielt – zack die nächsten fünf Jahre vorbei, nächstes Jubiläum. Es war eher jetzt, als wir nach zwei Jahren Pandemie, in denen unsere Hauptjobs weggefallen sind, aus dem Stand wieder zweimal 10.000 Leute in die Hamburger Arena bekommen haben – da staunt man: Guck mal, wie konnte das denn passieren? Oder wenn ich überlege, was wir als junge Männer so alles machen wollten: Informatik studieren beispielsweise mit Schwerpunkt Wirtschaft wollte ich, haha! Andy wollte technische Informatik machen, Michi hat Industriekaufmann gelernt… Nichts davon hätte uns lange bei der Stange gehalten. Hingegen das, wovon alle gesagt haben: „Deutsche Hip-hop-musik, was ist das denn für’n Scheiß!“– das ist das Verlässlichste geworden, was wir als Schwaben machen konnten. Jetzt stehe ich in meinem Haus mit meinen Kindern und sage: Das alles hat der deutsche Hip-hop gemacht! Das ist schon ein Flash: Unfassbar, dass unser Wille, Musik zu machen, auf der Bühne zu stehen, gemocht zu werden, das ganze Zeug gekifft zu haben, hierhin gebracht hat!
Und die Freude an der Tour trübt auch keine Sorge wegen der Corona-sommerwelle? Grönemeyer musste ja gleich mal seine ganze Tour abblasen. Bei euch ist das Risiko eher vierfach, oder? Ihr könntet ja wohl kaum als die Fantastischen Drei auftreten…
Smudo: Dass Grönemeyer ausgerechnet kurz vor den zwei Wochen krank wird, in denen er alle Konzerte durchziehen wollte, das ist wirklich saublöd gelaufen. Bei uns liegen die Shows oft so weit auseinander, dass man eine Erkrankung dazwischen sogar auskurieren könnte. Vor allem aber haben fast alle schon Corona gehabt, insofern sind wir tatsächlich gut mit Antikörpern bestückt, das Risiko für das kleine Kernteam, das im Zweifelsfall nicht zu ersetzen wäre, ist also relativ gering. Aber natürlich haben wir auch unsere Maßnahmen, es gibt keine Backstage-treffs, wir haben einen eigenen Hygienekreis hinter der Bühne, wir testen uns sehr viel… Klar, man weiß nie, aber ich bin zuversichtlich, dass wir ohne Konzertabsage durch den Sommer kommen.
Sie haben selbst am deutschen Krisenmanagement mitgewirkt durch Ihr Engagement an der Luca-app, die die Zettelwirtschaft der Registrierung in der Veranstaltungs- und Gastronomiebranche digital zu ersetzen versuchte. Insgesamt wirkt das digitale Management bis in die Gesundheitsämter hinein nicht gerade geglückt. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Smudo: Unterm Strich hat die Sache mit der Luca-app ganz gut hingehauen, es ist nie zu einem großen Datenabfluss gekommen, der ja immer befürchtet wurde. Ob im Gesamten das Konzept der Kontaktnachverfolgung allerdings das Gelbe vom Ei ist, da bin ich mir nicht sicher. Aber vor allem war für mich als linksversifftem Computerfreak die Schärfe, in der die Debatte um den Datenschutz geführt worden ist, erschütternd – weil gerade aus meiner Blase heraus auch stark gegen digitale Helferlein geschossen worden ist. Und eigentlich ausschließlich überwiegend aufgrund von Bedenken und pessimistischen Hypothesen, und nicht, weil tatsächlich ein massiver Datenmissbrauch stattgefunden hätte.
Ein deutsches Problem?
Smudo: Ich würde sagen: Das ist eine Form von German Angst, die speziell in den vergangenen zehn Jahren, beobachtbar, ein bedenkliches Ausmaß annimmt. Wie hier bei allem, was versucht, auf digitaler Ebene innovativ nach vorne zu gehen, sofort verlangt wird, dass alles gleich richtig gemacht wird – was ich für unmöglich halte – und ansonsten alles sofort durch Bedenken kaputlobbyisiert wird: Das ist wirklich ein deutsches Problem. Aus dem Stand konnte aber keiner Auto fahren und flog auch kein neues Flugzeug – alles ist ein Lernprozess. Ausgerechnet im digitalen Zeitalter, in dem wir zum Beispiel sicher nicht mehr ewig alle mit Papierausweisen rummachen werden, darf das so nicht sein? Immerhin haben wir jetzt in dieser Krise gezeigt, dass die heilige Kuh, von wegen man dürfe Daten nicht zentral speichern, das sei zu unsicher, durchaus vom Eis zu holen ist, dass das geht. Und das ist ja schon mal ein positiver Baustein zum Schritt in eine digitalere Welt.
Durch die Covid-verspätung sind es jetzt 30 Jahre, dass Ihr bereits zweites Album erschien, das Durchbruchswerk „4 gewinnt“– und der erste deutsch gerappte Chart-hit mit „Die da!?!“. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit? Smudo: Ich weiß noch, wir waren bei irgendeiner krassen Zdf-schlagershow, Bernd Clüver, der Junge mit der Mundharmonika, war auch da und hat zu uns gesagt: „Hey, ‚Die da!?!‘, tolle Nummer, Alter – was zwei ist, kann auch eins werden!“Das ist bis heute unser Erinnerungsspruch an die Zeit. Aber von Platz zwei der Charts vorbei an dem Hit des Jahres, dem unvergesslichen „A lalalala long“, haben wir’s damals dann doch nicht mehr geschafft. Die erste Nummer eins war 1995 „Sie ist weg“. Dazwischen lag quasi die Emanzipationsphase mit vielfältiger Musik, viel Engagement, eigener Plattenfirma und einem adäquaten Hit, der dann musiktechnisch nicht so plump daherkam wie „Die da!?!“– das war dann so die Mischung, die uns zu einer etablierten Band gemacht. Aber natürlich war „Die da!?!“der Song, der unser Leben verändert hat, und die Demarkationslinie ist zwischen „Jetzt sind wir eine kleine Band“und „Jetzt sind wir ein deutschlandweites Phänomen“.
Inzwischen ist seit vielen Jahren Rap nicht nur die kommerziell erfolgreichste Musik weltweit, sondern auch deutscher Rap auf Spitzenplätze hierzulande abonniert. Aber können Sie mit Ihren Nachfolgern noch was anfangen? Smudo: Vor allem ist Rap ja immer noch eine sehr relevante Jugendkultur in dem Raster meiner Jugend, zu dessen Entstehung wir als Steigbügelhalter des ganzen Genres in Deutschland mitgewirkt zu haben – das jetzt, mit 54, wo ich selbst langsam aus diesem Raster falle, zu sehen, ist schon toll. Aber wenn ich etwa die Songs des aktuell erfolgreichsten deutschen Rappers höre, der ja auch schon Songs für Helene Fischer geschrieben hat, Montez, da fällt mir schon auf: Das ist bei allem, wie fern mir das durch den Altersunterschied natürlich inhaltlich ist, auch rein musikalisch eine komplett andere Welt. Mich kickt das, ohne dem Künstler zu nahe treten zu wollen, überhaupt nicht. Das ist so soft und so songwriterig, ganz weit weg von der Sprache, die mir im Hip-hop gefällt mit einer gewissen Sprachakrobatik, einer Kraft im Vortrag… Aber das Fach ist ja inzwischen so riesig, dass man nun wirklich nicht alles toll finden kann und muss.
Schon 1992 haben Sie auch schon Gesellschaftskritisches geliefert, „Individuell aber schnell“etwa, deutliche Medienkritik mit Hinblick auf die Auswirkung auf Pubertierende. Heute haben Sie selber drei Töchter – und den Text könnte man zu Folgen von Social Media und Influencern wunderbar ins Heute übertragen, oder?
Smudo: Schon. Man muss bei Gesellschaftskritischem halt nur immer aufpassen, das hat schnell ein bisschen etwas gymnasial Besserwisserisches, so einfach mal in die Tür zu treten und zu sagen, wie’s geht. Aber mit ein bisschen Gag und als Persiflage machen wir das ja auch heute noch immer wieder. Zum Beispiel im ersten Stück des letzten Albums „Captain Fantastic“darüber, wie sich Menschen von Verschwörungstheorien und falschen Narrativen beeinflussen lassen: „Alle mosern nach oben, werden belogen / Von Posern und Doofen, die hetzen und drohen / Hass auf den Staat, Bürger mit Sorgen / Ha’m den Kontakt zu den Fakten verlor’n / Alle seh’n rot, niemand das Bremslicht / Feuer verlor’n und dann wird es brenzlich / Nur ein Idiot kommt zur Erkenntnis / Menschen sind irre und Irren ist menschlich.“
Da ist die Medienkritik eher indirekt. Smudo: Ja, aber mit der direkten muss man als Mensch mit Mitte 50 halt auch ein bisschen aufpassen, das wirkt dann schnell wie ein „Früher war es besser“. Außerdem finde ich die ganze Youtuberei ja toll, das ist ja so etwas wie die Demokratisierung des Unterhaltungsangebots – auch wenn es da, wie überall, natürlich den ganzen Schwach- und Wahnsinn gibt. Aber ich sehe, wie meine Töchter das nutzen, die sind eben viel näher an den Themen der Zeit, und sie sind weniger gefiltert. Wir hatten „nur“die „Tagesschau“, und die haben nun verschiedene Medien, die das Geschehen verschieden interpretieren. Zudem sind nach meinem Eindruck Kinder heute auch viel offener in der Kommunikation mit ihren Eltern über ihre Gedanken und Gefühle. Es wird auch mehr Rücksicht genommen darauf, wie sie sich fühlen. Da ist also sogar einiges heute besser als früher.
Und wie blicken Sie auf die Zukunft Ihrer Töchter? Es gibt da ja zwischen Krieg und Klima aktuell reichlich Gründe, sich Sorgen zu machen. Smudo: Als es etwa mit der Ukraine losging, war das natürlich nicht einfach. Denn wenn etwas, von dem alle denken, dass es nie passiert, dann doch passiert: Das signalisiert den Kindern, dass es eine unsichere Welt ist – was natürlich ein schlechtes Gefühl ist für sie und ihre Entfaltung. Aber ich versuche immer, Optimismus zu verbreiten, zumal wir ja in einer privilegierten Position sind, in der das Gefühl der Angst und der Bedrohung noch sehr theoretisch ist. Und da hatten die Kinder in den vergangenen zwei Jahren mit Corona ja ihren Stresstest. Und jetzt gilt es die Sache mit der Klimakatastrophe irgendwie zu realisieren. Aber vielleicht ist es ja gerade das, was diese Generation nun eben lernt: mit dieser Form der halbtheoretischen Bedrohung und den Ängsten klarzukommen. Das ist etwas, das sich sehr unterscheidet von meiner Kindheit und dem, was ich damals gelernt habe – davon ist heute nichts anwendbar. Aber es ist eben auch okay, den Kindern zu zeigen, dass diese Entwicklungen auch uns Erwachsene sehr fordern. Die Kinder werden dadurch heute wohl einfach ein bisschen früher erwachsen.
Aber hilft etwa die aktuelle Klimapolitik dabei, zuversichtlich zu sein? Smudo: Ich mache seit 20 Jahren grünen Motorsport, also mit Rennwagen mit nachhaltigen Materialund Brennstoff-technologien – und ich finde es gut, dass jetzt das Ende der Verbrennermotoren beschlossen wurde. Andererseits verstehe ich nicht, warum in der Nutzung die ganzen E-fuels und nachhaltigen Treibstoffe ausgeklammert wurden, die jetzt bereits einsatzfähig sind und mit denen mittelfristig bis zur vollständigen Verstromung die noch bestehenden Fahrzeuge betrieben werden könnten. Dass das so kategorisch entschieden wird, mit auch einseitigen politischen Debatten, das macht mir Angst. Ich habe manchmal das Gefühl, da bleiben gerade die Feinheiten, die man braucht, um eine klimaneutrale Zukunft hinzubekommen, auf der Strecke, weil man nur mit groben Schlagzeilen und harten Meinungen die Größe an Mehrheiten beschaffen kann, die es erst ermöglichen, dass man in Europa so etwas überhaupt beschließt. Diese politische Grobmotorik, das macht mir Sorgen.
Und wie sieht Ihre persönliche Zukunft und die der Fantas aus? Solange es noch Spaß macht, erst mal weiter – oder auch schon mal nachdenken, wann der beste Zeitpunkt zum Aufhören ist? Smudo: Beides. Denn solche Veränderungen kommen ja nicht von jetzt auf gleich, sondern man wächst so rein. Wie man sich ja auch selbst wandelt: Im 30-Jährigen steckt noch die Adoleszenz drin, aber wenn man so in die 40er hingeht, kommt es langsam schon angefünfzigt mit minimal gebeugterer Haltung und leichtem Bauchansatz; und zwischen 50 und 60 kommt eher die Vorstufe des Greisen, zum Teil auch in Schüben. Mit 48 sagt man noch: Ich mach das, bis ich 65 bin. Um dann mit 53 festzustellen, dass sich ganz schön viel schon geändert hat.
Konkret?
Smudo: Da entwickelt sich zum Beispiel vom Mikrofonhalten und Rumhüpfen auf der Bühne eine „Frozen Shoulder“und man stellt fest, dass man halt doch eine 400er Ibu nehmen muss, bevor man abends auf die Bühne geht. Das schleicht sich also so an. Wir Fantas genießen gerade durch Corona wieder ein bisschen neu, was wir tun, wissen aber zugleich, dass es endlich ist. Einen konkreten Schluss haben wir noch nicht, aber unsere Pläne gehen nicht mehr so weit. Wir machen immer nur noch das Album und dann eine Tour und dann schauen wir mal. Wir mussten in den vergangenen zwei Jahren auch erfahren, wie schnell solche Gedanken eh überflüssig sein können: Klaus Scharff, der den Sound auf unseren Konzerten wie auf einigen unseren Alben abgemischt hat, ist überraschend gestorben, nicht an Corona, sondern einfach so. Aber sofern man es in der Hand hat, denkt man natürlich darüber nach.
… dass man eine 400er Ibu nehmen muss, bevor man auf die Bühne geht
Und was macht Smudo, was macht Herr Schmidt, wenn es die Fantastischen Vier mal nicht mehr gibt? Smudo: Weiß ich nicht. Wie mein frommer Schwiegervater zu mir, einem Agnostiker, so schön sagt: „Arbeit ist ja nicht einfach nur Beschäftigung, ist nicht nur Einkommenssicherung, sondern es ist vor allem auch Sinnstiftung.“Und das ist richtig. Das ist es nun mal, mein Sinn. Danach kann man vielleicht mal noch hier und da als Botschafter Kultur in einer Talkshow seinen Platz haben, aber auch das ist sicher endlich. Ich habe keine Ahnung. Theoretisch, wobei klimatechnisch natürlich gar nicht koscher, würde ich jetzt sagen: Ich nehme mir dann, wenn die Kinder groß und aus dem Haus sind, als Hobbypilot endlich mal die Zeit und fliege einfach alle Plätze in Europa ab, die ich immer mal noch angucken wollte, oder binge meinen Pile-of-shame ab, stapelweise ungesehene Filme und Serien – oder lerne endlich mal Klavier… Mal sehen, die Neugier wird’s zeigen.
Smudo wurde als Michael Schmidt vor gut 54 Jahren in Offenbach ge boren und wuchs nahe Stuttgart auf. Sein Künstlername als Teil der er folgreichsten deutschen Hiphop Band, Die Fantastischen Vier, kommt von „Schmuddel“, zuvor Spitzname wegen seines Outfits. Er lebt seit 25 Jahren in Hamburg, ist verheiratet und hat drei Töchter.