Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wird Frankreich unregierbar?
In den Reihen der Partei von Präsident Emmanuel Macron herrscht nach der Schlappe bei den Parlamentswahlen Panik – bei den Rechtsextremen große Freude.
Paris Sie äußere sich jetzt nicht nur als Regierungssprecherin, sondern auch als Bürgerin, sagt Olivia Grégoire in einem Interview am Tag nach den französischen Parlamentswahlen: „Mein Horror ist, dass das Land blockiert wird.“Ähnliche Warnungen hatte zuvor auch Präsident Emmanuel Macron ausgesprochen: Sollten ihm die Wähler keine solide Mehrheit in der Nationalversammlung geben, drohe „Unordnung“in Frankreich. „Unregierbar!“, titelte die Tageszeitung Le Parisien am Montag.
Tatsächlich sind die Verluste für das Regierungslager massiv: Mit 245 Abgeordneten in der Nationalversammlung blieb das Bündnis aus Macrons Partei La République en marche (LREM) und den Partnerparteien weit hinter den 289 Sitzen zurück, die für eine absolute Mehrheit gebraucht werden. In der Geschichte Frankreichs ist eine solche Situation sehr selten: Meist wusste der Staatschef die Nationalversammlung, das Unterhaus des Parlaments, hinter sich, manchmal sogar noch den Senat. Vor fünf Jahren zogen 308 Lrem-abgeordnete in die Nationalversammlung ein, die seitdem weitgehend geräuschlos für Macrons Gesetzesprojekte stimmen. Künftig benötigt er grundsätzlich die Zustimmung anderer Parteien. „In zehn Tagen kommt ein Paket für die Kaufkraft auf den Tisch der Nationalversammlung. Wir werden sehen, wie sich die Opposition verhält“, sagt Olivia Grégoire. Das Gesetz, das die Folgen der Inflation für die Menschen abfedern soll, dürfte noch Zustimmung über die Lremabgeordneten hinaus finden. Aber wie soll Macron umstrittene Vorhaben wie die Rentenreform umsetzen? Droht dem Land, wie Regierungssprecherin Grégoire es befürchtet, die Blockade?
Der Politologe Vincent Martigny glaubt das nicht: „Für die Demokratie ist dieses Ergebnis eher positiv, denn es bedeutet eine Aufwertung des Parlaments.“In Umfragen sprachen sich sechs von zehn Franzosen gegen eine absolute Mehrheit für Macrons Partei aus: Der Wunsch nach mehr demokratischen Debatten ist groß. Am wahrscheinlichsten gilt, dass sich LREM um Allianzen mit den Republikanern bemüht, die 61 Sitze erreichten. Die Streitigkeiten unter den Konservativen, ob sie Kompromisse eingehen oder ablehnen sollen, haben hingegen schon begonnen. Ohne Zweifel werden die beiden stärksten Fraktionen als unerbittliche Opposition auftreten. Auf der Linken erzielte das Bündnis Nupes („Neue Ökologische und Soziale Volksunion“) aus der Linkspartei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), den Sozialisten, Grünen und Kommunisten insgesamt 142 Sitze. Jede dieser Parteien profitierte von dem Zusammenschluss um die Kernthemen Umweltschutz und soziale Rechte. Die erhoffte linke Dynamik blieb jedoch aus.
Großen Zuwachs gab es hingegen beim rechtsextremen Rassemblement National (RN). Dieser konnte die Zahl seiner Abgeordneten mehr als verzehnfachen auf 89. „Wir werden eine harte, aber konstruktive Opposition sein“, versprach Marine Le Pen, die im nordfranzösischen Hénin-beaumont 62,5 Prozent der Stimmen erhalten hatte.
„Die Rentenreform ist beerdigt“, versicherte sie. Den Parteivorsitz hat die 53-Jährige dauerhaft abgegeben, um sich ganz der Parlamentsarbeit als Fraktionschefin zu widmen. Bereits bei der Präsidentschaftswahl hatte sie mit 42 Prozent einen Achtungserfolg erzielt – auch wenn sie als Verliererin dastand. Sie rappelte sich einmal mehr auf.
„Marine Le Pen kann in fünf Jahren Präsidentin werden“, sagte am Montag ein Politikanalyst im Sender BFM. Eine Mehrheit von über 50 Prozent zu erreichen, stelle für den RN keine unüberwindbare Hürde mehr dar. Zugleich galt das Votum als Abstrafung Macrons nur zwei Monate nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten. Der hohe Anteil an Nichtwählern von 54 Prozent schadete ihm: 37 Prozent seiner Wählerschaft hatte sich enthalten.
Auf europäischer Bühne dürfte sich dennoch wenig ändern: In Frankreich liegt die Kompetenz bei der Außen- und Sicherheitspolitik beim Präsidenten. Schwieriger könnte es hingegen für ihn werden, Einsparungen durchzusetzen und die Neuverschuldung wieder unter das Maastricht-kriterium von drei Prozent zu drücken. Auch die enge deutsch-französische Zusammenarbeit wird nicht infrage gestellt. Gerade in der Ukraine-krise rückten er und Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen, sichtbar zuletzt bei der gemeinsamen Kiew-reise. Viele Anstöße gingen vom rastlosen Macron aus, zu humanitären Fragen und auch als Mittler hält der Franzose den Kontakt und eine diplomatische Brücke zu Kreml-chef Wladimir Putin aufrecht.
„Wir werden eine harte, aber konstruktive Opposition sein.“
Marine Le Pen