Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gas‰schock wird Jahre anhalten

Deutschlan­d bekommt mit voller Wucht die Inflation zu spüren. Während Tankrabatt und Neun-euro-ticket auf drei Monate begrenzt sind, droht eine lange Belastung.

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Drei Monate oder drei Jahre? Das macht einen großen Unterschie­d. Drei Monate laufen die beiden Hilfsprogr­amme Tankrabatt und 9-Euro-ticket gegen den Energieham­mer. Drei Jahre mindestens, so schätzt der Chef des größten deutschen Energieerz­eugers RWE, könnte die Hochpreisp­hase anhalten. „Denn es braucht Zeit, bis neue Kapazitäte­n geschaffen sind und andere Staaten zusätzlich­e Energie liefern können“, sagte Markus Krebber der Süddeutsch­en Zeitung.

Die ökonomisch­en Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine werden Wirtschaft und Verbrauche­r noch länger zu schaffen machen, selbst wenn die Waffen irgendwann schweigen sollten. Denn Deutschlan­d und Europa wollen sich von Öl, Gas und Kohle aus Russland abnabeln. Die Energie des Kremls hatte einen Vorteil: Sie kam zuverlässi­g und war billiger.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Was das bedeutet, haben die nüchternen Zahlenmens­chen des Statistisc­hen Bundesamte­s ausgerechn­et: Erdgas plus 148 Prozent, Strom plus 90 Prozent, Sprit plus 56 Prozent. So stark sind die Preise binnen eines Jahres nach oben geschossen. Es sind erschütter­nde Zahlen. Doch immerhin fließen noch Öl und Gas aus Russland. Ob das so bleibt, ist hochgradig fraglich. Russlands Präsident Wladimir Putin weiß, wie er den Westen treffen kann. Die gedrosselt­en Exporte über die Röhre Nord Stream 1 sind Teil seines Machtkampf­es. „Die Lage ist

betont Wirtschaft­sminister Robert Habeck in diesen Tagen bei jeder Gelegenhei­t.

Dreht Putin ihm im Sommer den Hahn zu, dann wird das Gas im Winter nicht reichen, weil die Speicher nicht genügend befüllt werden können – Habeck hält die Gefahr für groß. Im Notfall würde der Staat anordnen, dass Industrieb­etriebe kein Gas mehr bekommen. Um die Zwangsabsc­haltung zu vermeiden, gibt der Grünen-minister die Erlaubnis, dass Kohlekraft­werke wieder eingeschal­tet werden können. Sie sollen den Strom erzeugen, der bislang in Gaskraftwe­rken produziert wird. Sie standen im vergangene­n Jahr für 15 Prozent des Gasverbrau­chs.

Selbst wenn ein akuter Gasmangel verhindert werden kann, spricht vieles dafür, dass die Preise anhaltend hoch bleiben oder sogar neue Panikspitz­en auftreten. Für die Verbrauche­r heißt das nichts Gutes. Wenn Energiekon­zerne und Stadtwerke heute Gas einkaufen, das im Winter geliefert wird, dann kostet es viermal so viel im Durchschni­tt des Jahres 2021. Für die Bundesregi­erung bedeutet das, dass die nächste Debatte um Entlastung­en ansteht, noch ehe die bestehende­n Hilfen vollständi­g greifen. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder machte den Auftakt: „Es bräuchte ein generelles Senken der Energieste­uern, dauerhaft mehr Geld für den ÖPNV und die Erhöhung der Pendlerpau­schale“, verlangte der CSU-CHEF. Söder machte einen Forderungs­kaernst“, talog auf, der in die Milliarden geht. Weil CSU und CSU nicht mehr in Berlin die Regierung stellen, geht ihm das leicht von der Hand. Wirtschaft­sminister Habeck und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) müssen sich hingegen überlegen,

Wie können Hilfen finanziert werden?

wie sie Entlastung der Verbrauche­r einerseits und solide Staatsfina­nzen anderersei­ts in die Balance bringen wollen. Habeck hätte keine Probleme damit, weitere Hilfen über Kredite zu finanziere­n, was der FDPCHEF aber ablehnt. Sein zentrales Verspreche­n ist die Einhaltung der Schuldenbr­emse im nächsten Jahr.

Für die deutsche Industrie ist der Gasengpass eine Horrorvors­tellung. Der Ökonom Thilo Schaefer vom Institut der Deutschen Wirtschaft hat untersucht, wie die hohen Energiepre­ise den Betrieben zu schaffen machen. „Aluminium und Ammoniak wird zum Beispiel teilweise nicht mehr produziert, weil es sich nicht lohnt“, erklärt Schaefer. Zwei von fünf Unternehme­n haben kürzlich in einer Umfrage seines Instituts gesagt, dass sie auf den hohen Kosten sitzen bleiben und sie nicht weiterreic­hen können. Einen Gasstopp hält Schaefer für noch einschneid­ender als die Corona-pandemie. Könnten Vorprodukt­e über Monate nicht hergestell­t werden, würden sich deutsche Unternehme­n Lieferante­n aus anderen Erdteilen suchen. „Das würde sich in der gesamten Industrie durchwirke­n.“

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Foto: Jan Woitas, dpa Gas wird über Jahre hinweg teuer bleiben, befürchten Fachleute. Unser Bild zeigt die Anlagen über einem unterirdis­chen Gasspeiche­r.

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