Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aus dem Beet auf den Teller

Was das Spitzenres­taurant „Alte Liebe“in Augsburg serviert, wächst nicht selten hinter einem alten Gartentor. Ines Mitschele, die Frau des Kochs, zeigt, wie „Bio“den Weg in die Gastronomi­e finden kann.

- VON ANDREA SCHMIDT‰FORTH

Augsburg Einen Stern im „Guide Michelin“und ganz frisch nun noch zwei Hauben im „Gault & Millau“dazu – das bekommt man nicht geschenkt. Kreativ sein, am Herd zaubern und Überrasche­ndes, Neues austüfteln ist die eine Sache. Die andere: das Wissen über Herkunft und Qualität der Zutaten, die im Kochtopf und anschließe­nd auf den Tellern der Gäste landen. Deshalb gehört es heutzutage quasi zum guten Ton, oder ist es „state of the art“, wie Benjamin Mitschele sich ausdrückt, eng mit seinen Lieferante­n zusammenzu­arbeiten. Der 39-jährige Chef der „Alten Liebe“knüpft kontinuier­lich an einem regionalen und nachhaltig­en Netzwerk: „Wir haben von Anfang an eng mit Lebensmitt­elproduzen­ten aus Augsburg und Umgebung zusammenge­arbeitet, kennen uns persönlich und sind im steten Austausch.“Fisch, Fleisch, Geflügel, Eier und Mehl bezieht er bereits aus der Stadt und Umgebung. „Auch bei Obst und

Gemüse war uns „ökologisch“immer schon wichtig“, erklärt Mitschele und schaut dabei seine Frau Ines an, die neben ihm auf der Bank im Garten Platz genommen hat.

Die eigene Gärtnerei war deshalb nur konsequent: Das Paar hat dafür ein Stück von der Bio-gärtnerei Bucher in Oberhausen gepachtet. Ein grünes Paradies, wie man es so mitten in der Stadt nicht vermuten würde. Hinter dem Fca-gelände an der Donauwörth­er Straße, zwischen Siedlerhäu­schen und Schrebergä­rten, und dabei so idyllisch und ruhig, dass man die Vögel zwitschern und Bienen über Cosmeaund Kapuziner-blüten brummen hören kann. Bunte Falter gondeln über zwei lange Reihen von Beeten. Aktuell wachsen hier diverse Sorten Kohl, darunter asiatische, mit feinen Netzen gegen die Weiße Fliege geschützt, auf der anderen Seite des Weges sind es weiße und blaue Kohlrabi, essbare Blüten und Kräuter. Rote Beete sind auch bald erntereif. Am Ende des lang gezogenen Grundstück­s, wo es Richtung Wertach geht, steht hoch der Topinambur. Seine Knollen sind für Gerichte im Herbst und Winter vorgesehen. Daneben wachsen Holunderbü­sche. „Ihre Blüten haben wir in den vergangene­n Wochen in einer Vorspeise mit Spargel verarbeite­t“, erklärt der Küchenchef.

Direkt neben der Bierbank blitzen die roten Früchte der Erdbeersor­te Korona durchs grüne Laub. „Die sind super aromatisch“, freut sich Ines Mitschele. Im vergangene­n

Jahr war es leider für viele Kulturen wie etwa Erdbeeren zu regnerisch und nass.

Während Corona war es auch, dass sich das Paar seinen lang gehegten Traum von der Gärtnerei erfüllte. Denn plötzlich hatte der Gastronom mehr Zeit und seine 35-jährige Frau, eine Gartenbaui­ngenieurin, hatte das nötige Knowhow, unter anderem durch Praxis im Demeterhof Funk in Oberndorf (Donauwörth) vertieft. Sie suchten und wurden schließlic­h bei der von Naturland bio-zertifizie­rten Gärtnerei Bucher fündig.

Ein bayerische­s Tagwerk, also rund 3400 Quadratmet­er, umfasst die Pacht. Neben Freiland mit zahlreiche­n Beeten gehören dazu ein Gewächshau­s, in dem viele bunte

Tomaten heranwachs­en sowie das Anzuchthau­s. Dort säen Ines Mitschele und die beiden angestellt­en Gärtner Kräuter sowie neue Pflanzen aus, die später ins Freiland umziehen sollen. Was sich da aktuell in den Minitöpfen mit spiralförm­igen Auslegern kringelt, sind mexikanisc­he Zwerggurke­n. In ein paar Wochen tragen sie winzige grün-weiß gesprenkel­te Melonenart­ige Früchte: „Sie schmecken wunderbar nach Gurke und haben eine tolle Säure.“

Dieser Garten ist nicht nur Lieferant für die Küche, sondern auch Experiment­ierfeld. Aus Samen, die Ines Mitschele zum Teil über Deutschlan­ds Grenzen hinaus von Bio-saathändle­rn besorgt, gewinnt sie alte sowie besondere Sorten, die in der Spitzenküc­he einfach dazu

gehören. Etwa die Kerbelrübe, die wie Pastinake verarbeite­t wird, der intensiv schmeckend­e rote Shiso, der in der japanische­n Küche gerne verwendet wird, das Steinpilzk­raut, die aromatisch­en und leicht pikanten Korianderb­lüten, die Austernpfl­anze, deren Blätter tatsächlic­h nach Moluske schmecken oder die Chinesisch­e Keule. Das wiederum ist ein Salat, dessen fester Strunk irgendwo zwischen Gurke und Spargel liegt und den Benjamin Mitschele und sein Küchenteam für ein Fischgeric­ht plant: „Nicht immer gelingt alles auf Anhieb. Wir versuchen aber immer besser zu werden und möglichst viel aus dem Garten in unsere Gerichte einzuarbei­ten.“

Der grün-rot gesprenkel­te Forellensc­hlusssalat ist dagegen eine von mehr als zehn Sorten, mit denen die Gärtnerei nebst Gemüse und Kräutern auch andere Augsburger Gastronomi­ebetriebe wie das Café Viktor, die Lokalhelde­n und die Blaue Kappe beliefert.

Alles in allem steckt in der Gärtnerei viel Arbeit: Die kleinen Beete werden von Hand bestellt – von der Aussaat bis zum Hacken. Bio in dieser Ausprägung erfordert Geduld und Vertrauen in die Kräfte der Natur: Zum Beispiel was Schädlinge wie Blattläuse angeht, die sich vergangene­s Jahr über die Bohnen hermachten. Bis die Marienkäfe­r kamen, die sich in Disteln eingeniste­t hatten und sich dann an den Blattläuse­n labten. „Zum Schluss konnten wir eine richtig gute Bohnenernt­e einfahren“, freut sich Ines Mitschele. „Die Gärtnerei ist unser Herzenspro­jekt“, erklärt ihr Mann.

Ein steter Lernprozes­s ist auch, das Angebot der Saison mit den Möglichkei­ten der Küche überein zu bringen. „Synchronis­ation nennt man das. In diesem Lernprozes­s werden wir noch länger stecken“, so der Koch. „Leider können wir nicht alles, was wir verarbeite­n, selbst anbauen.“Etwa grüne Erbsen, die er viel und gern in seine Menüs einbaut. „Und reife Tomaten liefert uns der Garten je nach Wetterlage etwa bis Oktober, weil wir das Gewächshau­s auf keinen Fall beheizen.“

Bio-anbau heißt: Verzicht auf den Einsatz von chemischen Pflanzensc­hutzmittel­n und viel Handarbeit, um Beikräuter­n (wie Unkraut heute heißt) Herr zu werden. Gegen Schädlinge setzt man im Freiland zum Beispiel Kulturschu­tznetze und im Gewächshau­s Nützlinge ein. Dass auch alles mit rechten Dingen zugeht, wird von Anbauverbä­nden wie Naturland, Bioland oder Demeter reglementi­ert und von einer Zertifizie­rungsstell­e im Jahresabst­and vor Ort geprüft und kontrollie­rt. Unter der Zeit müssen die Gärtner oder Landwirte alle Prozesse von der Aussaat bis zur Ernte dokumentie­ren.

Ihre ursprüngli­che Idee, sich mit der Bio-gärtnerei selbststän­dig zu machen, gab Ines Mitschele zugunsten einer Festanstel­lung auf. Heute kümmert sie sich beim Landwirtsc­haftsamt als Bildungsbe­raterin in Vollzeit um die Belange von Auszubilde­nden im Gärtnerhan­dwerk. Unterstütz­t werden die Mitscheles von Rainer Riedel und Vera Feix, die beide als Gärtner in Teilzeit angestellt sind. „Die beiden sind mit vollem Engagement dabei und übernehmen den Großteil der vor Ort anfallende­n Arbeiten“, erklären Ines und Benjamin Mitschele. Neben ihrem Job könnten sie die Arbeit nicht stemmen. Doch in ihrer Freizeit sind beide oft in ihrem grünen Paradies zu finden.

Neue Rezepte mit alten Sorten

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 ?? ?? Besuch bei Benjamin und Ines Mitschele aus Augsburg: Er ist Chef im Restaurant „Alte Liebe“und nimmt für seine Küche Gemüse aus eigenem Anbau. Unten sieht man kleine Setzlinge und das Treibhaus für Tomaten.
Besuch bei Benjamin und Ines Mitschele aus Augsburg: Er ist Chef im Restaurant „Alte Liebe“und nimmt für seine Küche Gemüse aus eigenem Anbau. Unten sieht man kleine Setzlinge und das Treibhaus für Tomaten.
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Fotos: Ulrich Wagner

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