Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Aus dem Beet auf den Teller
Was das Spitzenrestaurant „Alte Liebe“in Augsburg serviert, wächst nicht selten hinter einem alten Gartentor. Ines Mitschele, die Frau des Kochs, zeigt, wie „Bio“den Weg in die Gastronomie finden kann.
Augsburg Einen Stern im „Guide Michelin“und ganz frisch nun noch zwei Hauben im „Gault & Millau“dazu – das bekommt man nicht geschenkt. Kreativ sein, am Herd zaubern und Überraschendes, Neues austüfteln ist die eine Sache. Die andere: das Wissen über Herkunft und Qualität der Zutaten, die im Kochtopf und anschließend auf den Tellern der Gäste landen. Deshalb gehört es heutzutage quasi zum guten Ton, oder ist es „state of the art“, wie Benjamin Mitschele sich ausdrückt, eng mit seinen Lieferanten zusammenzuarbeiten. Der 39-jährige Chef der „Alten Liebe“knüpft kontinuierlich an einem regionalen und nachhaltigen Netzwerk: „Wir haben von Anfang an eng mit Lebensmittelproduzenten aus Augsburg und Umgebung zusammengearbeitet, kennen uns persönlich und sind im steten Austausch.“Fisch, Fleisch, Geflügel, Eier und Mehl bezieht er bereits aus der Stadt und Umgebung. „Auch bei Obst und
Gemüse war uns „ökologisch“immer schon wichtig“, erklärt Mitschele und schaut dabei seine Frau Ines an, die neben ihm auf der Bank im Garten Platz genommen hat.
Die eigene Gärtnerei war deshalb nur konsequent: Das Paar hat dafür ein Stück von der Bio-gärtnerei Bucher in Oberhausen gepachtet. Ein grünes Paradies, wie man es so mitten in der Stadt nicht vermuten würde. Hinter dem Fca-gelände an der Donauwörther Straße, zwischen Siedlerhäuschen und Schrebergärten, und dabei so idyllisch und ruhig, dass man die Vögel zwitschern und Bienen über Cosmeaund Kapuziner-blüten brummen hören kann. Bunte Falter gondeln über zwei lange Reihen von Beeten. Aktuell wachsen hier diverse Sorten Kohl, darunter asiatische, mit feinen Netzen gegen die Weiße Fliege geschützt, auf der anderen Seite des Weges sind es weiße und blaue Kohlrabi, essbare Blüten und Kräuter. Rote Beete sind auch bald erntereif. Am Ende des lang gezogenen Grundstücks, wo es Richtung Wertach geht, steht hoch der Topinambur. Seine Knollen sind für Gerichte im Herbst und Winter vorgesehen. Daneben wachsen Holunderbüsche. „Ihre Blüten haben wir in den vergangenen Wochen in einer Vorspeise mit Spargel verarbeitet“, erklärt der Küchenchef.
Direkt neben der Bierbank blitzen die roten Früchte der Erdbeersorte Korona durchs grüne Laub. „Die sind super aromatisch“, freut sich Ines Mitschele. Im vergangenen
Jahr war es leider für viele Kulturen wie etwa Erdbeeren zu regnerisch und nass.
Während Corona war es auch, dass sich das Paar seinen lang gehegten Traum von der Gärtnerei erfüllte. Denn plötzlich hatte der Gastronom mehr Zeit und seine 35-jährige Frau, eine Gartenbauingenieurin, hatte das nötige Knowhow, unter anderem durch Praxis im Demeterhof Funk in Oberndorf (Donauwörth) vertieft. Sie suchten und wurden schließlich bei der von Naturland bio-zertifizierten Gärtnerei Bucher fündig.
Ein bayerisches Tagwerk, also rund 3400 Quadratmeter, umfasst die Pacht. Neben Freiland mit zahlreichen Beeten gehören dazu ein Gewächshaus, in dem viele bunte
Tomaten heranwachsen sowie das Anzuchthaus. Dort säen Ines Mitschele und die beiden angestellten Gärtner Kräuter sowie neue Pflanzen aus, die später ins Freiland umziehen sollen. Was sich da aktuell in den Minitöpfen mit spiralförmigen Auslegern kringelt, sind mexikanische Zwerggurken. In ein paar Wochen tragen sie winzige grün-weiß gesprenkelte Melonenartige Früchte: „Sie schmecken wunderbar nach Gurke und haben eine tolle Säure.“
Dieser Garten ist nicht nur Lieferant für die Küche, sondern auch Experimentierfeld. Aus Samen, die Ines Mitschele zum Teil über Deutschlands Grenzen hinaus von Bio-saathändlern besorgt, gewinnt sie alte sowie besondere Sorten, die in der Spitzenküche einfach dazu
gehören. Etwa die Kerbelrübe, die wie Pastinake verarbeitet wird, der intensiv schmeckende rote Shiso, der in der japanischen Küche gerne verwendet wird, das Steinpilzkraut, die aromatischen und leicht pikanten Korianderblüten, die Austernpflanze, deren Blätter tatsächlich nach Moluske schmecken oder die Chinesische Keule. Das wiederum ist ein Salat, dessen fester Strunk irgendwo zwischen Gurke und Spargel liegt und den Benjamin Mitschele und sein Küchenteam für ein Fischgericht plant: „Nicht immer gelingt alles auf Anhieb. Wir versuchen aber immer besser zu werden und möglichst viel aus dem Garten in unsere Gerichte einzuarbeiten.“
Der grün-rot gesprenkelte Forellenschlusssalat ist dagegen eine von mehr als zehn Sorten, mit denen die Gärtnerei nebst Gemüse und Kräutern auch andere Augsburger Gastronomiebetriebe wie das Café Viktor, die Lokalhelden und die Blaue Kappe beliefert.
Alles in allem steckt in der Gärtnerei viel Arbeit: Die kleinen Beete werden von Hand bestellt – von der Aussaat bis zum Hacken. Bio in dieser Ausprägung erfordert Geduld und Vertrauen in die Kräfte der Natur: Zum Beispiel was Schädlinge wie Blattläuse angeht, die sich vergangenes Jahr über die Bohnen hermachten. Bis die Marienkäfer kamen, die sich in Disteln eingenistet hatten und sich dann an den Blattläusen labten. „Zum Schluss konnten wir eine richtig gute Bohnenernte einfahren“, freut sich Ines Mitschele. „Die Gärtnerei ist unser Herzensprojekt“, erklärt ihr Mann.
Ein steter Lernprozess ist auch, das Angebot der Saison mit den Möglichkeiten der Küche überein zu bringen. „Synchronisation nennt man das. In diesem Lernprozess werden wir noch länger stecken“, so der Koch. „Leider können wir nicht alles, was wir verarbeiten, selbst anbauen.“Etwa grüne Erbsen, die er viel und gern in seine Menüs einbaut. „Und reife Tomaten liefert uns der Garten je nach Wetterlage etwa bis Oktober, weil wir das Gewächshaus auf keinen Fall beheizen.“
Bio-anbau heißt: Verzicht auf den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln und viel Handarbeit, um Beikräutern (wie Unkraut heute heißt) Herr zu werden. Gegen Schädlinge setzt man im Freiland zum Beispiel Kulturschutznetze und im Gewächshaus Nützlinge ein. Dass auch alles mit rechten Dingen zugeht, wird von Anbauverbänden wie Naturland, Bioland oder Demeter reglementiert und von einer Zertifizierungsstelle im Jahresabstand vor Ort geprüft und kontrolliert. Unter der Zeit müssen die Gärtner oder Landwirte alle Prozesse von der Aussaat bis zur Ernte dokumentieren.
Ihre ursprüngliche Idee, sich mit der Bio-gärtnerei selbstständig zu machen, gab Ines Mitschele zugunsten einer Festanstellung auf. Heute kümmert sie sich beim Landwirtschaftsamt als Bildungsberaterin in Vollzeit um die Belange von Auszubildenden im Gärtnerhandwerk. Unterstützt werden die Mitscheles von Rainer Riedel und Vera Feix, die beide als Gärtner in Teilzeit angestellt sind. „Die beiden sind mit vollem Engagement dabei und übernehmen den Großteil der vor Ort anfallenden Arbeiten“, erklären Ines und Benjamin Mitschele. Neben ihrem Job könnten sie die Arbeit nicht stemmen. Doch in ihrer Freizeit sind beide oft in ihrem grünen Paradies zu finden.
Neue Rezepte mit alten Sorten