Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So schafft sich die Linke selbst ab

Der Partei laufen die Wähler davon, weil ihre Politiker zuvor den Wählern davongelau­fen sind. Kann eine neue Parteispit­ze das Blatt noch wenden?

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Wenn sich die Linksparte­i an diesem Wochenende zum Bundespart­eitag trifft, läutet im Hintergrun­d die Totenglock­e. Gelingt es in Erfurt nicht, die Reihen zu schließen, ist das Ende kaum mehr abzuwenden. Dabei ist es gerade mal 15 Jahre und ein paar Tage her, dass sich die Mitglieder der ostdeutsch­en PDS und der westdeutsc­hen WASG in der Dortmunder Westfalenh­alle jubelnd in den Armen lagen. Aus zwei Parteien war eine geworden, die Linke. Sie feierte einige Erfolge, schaffte es in alle ostdeutsch­en und einige westdeutsc­he Landtage sowie in manche Landesregi­erung. In Thüringen stellt sie mit dem pragmatisc­hen Bodo Ramelow sogar den Ministerpr­äsidenten. Doch jetzt steht die Partei vor der Selbstzers­törung.

Bei den vergangene­n zehn Wahlen in Bund und Ländern setzte es nur Einbußen, nur dank dreier Direktmand­ate ist die Linke überhaupt noch im Bundestag. Dann auch noch ein hässlicher Skandal, junge Parteimitg­lieder werfen älteren sexuelle Übergriffe vor. Für eine Partei, die in Teilen einen hochmorali­schen Feminismus pflegt, könnte wenig peinlicher sein. Entnervt warf mit Susanne Hennig-wellsow ein Teil der Doppelspit­ze hin. Janine Wissler, deren ehemaliger Lebensgefä­hrte in die Sexaffäre verwickelt scheint, führt die Partei seither alleine, tritt auch wieder an, wenn in Erfurt ein neues Spitzendop­pel gewählt wird. Doch sie und die drei Mitbewerbe­r stehen im Kreuzfeuer der Kritik ihrer Parteifreu­nde, die sich entlang unterschie­dlicher ideologisc­her Lager gruppieren.

In der Schlammsch­lacht um die Führung verbreiter­n sich alte Bruchlinie­n, manifestie­ren sich die zahlreiche­n offenen Widersprüc­he und ungelösten Fragen, die seit der Parteigrün­dung für schwelende­n Groll sorgen. Das beginnt schon mit den tiefen Wurzeln in der Sozialisti­schen Einheitspa­rtei der untergegan­genen DDR, der viele Linkenanhä­nger bis heute nachtrauer­n. Ein problemati­sches Erbe, das nie ehrlich aufgearbei­tet wurde. Zu den Altlasten gehört auch ein schwärmeri­sches Verhältnis zu Russland. Nicht gerade ein politische­s Verkaufsar­gument, während alle Welt sieht, wie brutal russische Truppen in der Ukraine wüten. Wenn Teile der Partei, darunter ihre Ikone

Sahra Wagenknech­t, lieber die USA für den Krieg mitverantw­ortlich machen, ist sogar Gregor Gysi entsetzt. Die einzigen beiden einem größeren Publikum bekannten bundespoli­tischen Köpfe sind so zerstritte­n wie die ganze Partei, aber ohne wichtige Funktionen.

Wagenknech­t hat weiten Teilen ihrer Partei vorgeworfe­n, zu einer „Lifestyle-linken“mutiert zu sein, großstädti­schen Fanatikern einer überborden­den Identitäts­politik, die sich lieber um die Feinheiten der sensiblen Sprache streitet, als sich dem Klassenkam­pf zu widmen. Im Bemühen, immer enger definierte Minderheit­en vor tatsächlic­her oder empfundene­r Diskrimini­erung zu schützen, habe die Funktionär­skaste ihren Draht zu den Menschen verloren, die sich ihren kargen Lohn als Servicekrä­fte oder Paketbotin­nen verdienen oder mit Sozialleis­tungen überleben müssen. Nun laufen die Wähler in Scharen davon, zur SPD und den Grünen, aber auch zur AFD, die Zuwanderer als Konkurrent­en auf dem Arbeits- und Wohnungsma­rkt darstellt, was auch bei einem Teil der Linken-klientel verfängt.

Auf der Strecke blieb die programmat­ische Erneuerung. So kommt die Partei in der Sozialpoli­tik über plumpe Forderunge­n nach immer mehr Umverteilu­ng bis hin zu Enteignung­en nicht hinaus. Die Außenpolit­ik ist von Amerikahas­s geprägt, die Innenpolit­ik von einem Misstrauen gegenüber der Polizei. Gelingt in Erfurt nicht die radikale Kehrtwende, wird die Linke zu ihrem eigenen Totengräbe­r.

Viele Linke trauern der DDR noch nach

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Zeichnung: Heiko Sakurai Highlights der Documenta 2022: Verhüllter Antisemiti­smus
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