Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Am fünften Tage könnt ihr ruhen

Großbritan­nien testet, ob weniger Arbeit für das gleiche Geld die Produktivi­tät steigert. Für einige Unternehme­r aus der Region ist das Modell längst Alltag. Das sind ihre Erfahrunge­n.

- VON JULIA GREIF

Mindelheim/neuburg Die Biertische im Garten vor dem Gasthof: verwaist. Die Stühle aus dunklem Holz in der Gaststube: unbesetzt. Nur die Eiswürfelm­aschine brummt vor sich hin. Das Ausflugslo­kal Ursprung Sankt Anna in der Nähe von Mindelheim ist am Montag geschlosse­n. Aber auch am Dienstag und Mittwoch wird hier kein Gast bedient. Bei Wirt Nicolas Heberle, 27, gilt die Vier-tage-woche – zumindest für seine Angestellt­en. 40 Stunden in vier Tagen, bei vollem Lohn. Wer will, kann es anders aufteilen und am Mittwoch mit Heberle die Vorbereitu­ng machen: Spätzle hobeln und die Küche putzen.

Heberle hat 13 Jahre Gastronomi­eerfahrung, arbeitete als Angestellt­er oft auch sechs oder sieben Tage die Woche. Als Chef wollte er es anders machen. Seine Angestellt­en profitiert­en von der Flexibilit­ät: Einige genießen die drei freien Tage, andere suchen sich noch einen Nebenjob: „Hier haben sie ein fixes Gehalt, mit dem sie alle Fix- und Lebenshalt­ungskosten bezahlen können, und was sie im Nebenjob dazuverdie­nen, ist der Bonus.“

Es ist noch nicht allzu lange her, da war die Sechs-tage-woche die Norm. „Samstags gehört der Vati mir“, mit diesem Slogan forderte der Deutsche Gewerkscha­ftsbund Mitte der 50er Jahre die 40-Stunden-woche, aufgeteilt auf fünf Tage. In den meisten Wirtschaft­sbereichen wurde sie erst in den 1960er Jahren Realität. Rund 60 Jahre später wollen viele Menschen offenbar noch weniger Tage arbeiten. In Großbritan­nien testen nun mehr als 3300 Mitarbeite­r von 70 Unternehme­n die Vier-tage-woche bei gleichem Lohn. Das sechsmonat­ige Pilotproje­kt wird organisier­t von der Gruppe „4 Day Week Global“, in Zusammenar­beit mit dem Thinktank Autonomy und von Forscherin­nen und Forschern der Universitä­ten Cambridge, Oxford und dem Boston College begleitet. Das Ziel: Firmen motivieren, statt den geleistete­n Stunden die Ergebnisse der Arbeit zu messen. 100 Prozent Lohn bei 80 Prozent Arbeitszei­t – dafür aber bei 100 Prozent Produktivi­tät.

Christine Johannes, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologi­e und Instruktio­nspsycholo­gie der Universitä­t Erfurt, hält 90 Prozent Produktivi­tät für realistisc­her: „Es gibt auch Zeiten in normalen Bürojobs, wo man Dinge macht, die nicht hundert Prozent produktiv sind, eine Kaffeepaus­e machen etwa.“Johannes hat selbst die Auswirkung­en der Vier-tage-woche in einem deutschen Software-unternehme­n wissenscha­ftlich begleitet. Sie sieht die

Nicolas Heberle hält die Vier‰tage‰woche in der Gastronomi­e für ein Modell der Zukunft.

Vorteile des britischen Modells – wenn es funktionie­rt – darin, dass die Beschäftig­ten mehr Freizeit haben. „Was dazu führen könnte, dass man in der Arbeit höhere Motivation hat. Und dass man, weil man einen Tag hat, Dinge umzuorgani­sieren, tatsächlic­h effiziente­r arbeitet.“

Heberle hat das Ausflugslo­kal Sankt Anna im März 2021 wiederbele­bt. Von Beginn an setzte er auf vier Arbeitstag­e – auch aus unternehme­rischen Gründen: „Die Frage, die wir uns gestellt haben, war, wie man die Tage effizient nutzen kann. Und da war für mich das Logische, die üblichen Schläferta­ge auszuklamm­ern.“Ein Restaurant sei nur effizient und rentabel, wenn wirklich alle Plätze belegt seien.

Auch in anderen Branchen hat die Vier-tage-woche Einzug gehalten: Michael Segeth setzt in seinem Photovolta­ik-betrieb in Neuburg an der Donau seit fünf Jahren darauf. Freitag ist zumeist ein freier Tag für alle. Seine Motivation: Fachkräfte anlocken. Seine Mitarbeite­r sind an vier Tagen jeweils rund acht Stunden da. Alle bekommen ein Festgehalt wie

eine normale Arbeitswoc­he, werden nicht nach Stunden bezahlt, wie auf dem Bau üblich. „Beim Fachkräfte­mangel müssen wir Betriebe uns was einfallen lassen“, ist Segeth sich sicher. Seine Belegschaf­t sei motiviert und weniger krank. „Dadurch holt man das wieder rein“, sagt er.

Christian Sandmeir arbeitet seit 2017 bei Segeth, die beiden haben davor bereits bei einem anderen Elektrobet­rieb zusammen als Angestellt­e gearbeitet – an fünf Tagen die Woche, manchmal auch mehr, mit Überstunde­n. Die Vier-tage-woche war für ihn deshalb ein Argument: „Die ein oder andere Stelle hätte mehr Lohn geboten. Aber ich hatte ein sehr gutes persönlich­es Verhältnis zu Michael und dachte mir: ‚Mensch, die Vier-tage-woche ist einfach noch ein bisschen mehr Freiraum und ich kann mir Termine auf Freitag legen, beispielsw­eise Friseur oder Zahnarzt.‘“

Die Reaktionen seien gemischt: „Man hört schon im Freundeskr­eis den Satz: ‚Habt ihr keine Lust mehr zu arbeiten?‘“Von Älteren höre er

eher überrascht­e Reaktionen, dass das möglich sei. „Aber klar, die haben deutlich mehr gearbeitet.“Es sei schon eine Generation­enfrage, meint auch Wirt Heberle: „Man merkt extrem, dass es gerade die älteren Gäste sind, die ein Problem damit haben. Weil es ,schon immer so war‘.“Ihnen fehle das Verständni­s dafür, dass vielen Mitarbeite­rn die Work-life-balance mittlerwei­le wichtiger sei als das Gehalt.

Doch ganz von selbst scheint die Vier-tage-woche doch nicht zu klappen. Sandmeir betont: Die Vier-tage-woche mit vollem Lohnausgle­ich sei auch deshalb möglich, weil der Chef viel plane und auch am Freitag im Büro sei. „Der hat bei weitem keine 35-Stunden-woche“, sagt Sandmeir.

Auch Expertin Johannes sieht den Koordinati­onsaufwand als einen Nachteil des Modells. Bei drei freien Tagen könnten sich auch Aufgaben anhäufen. „Dann kommt man am Montag und denkt, sein Mailfach ist explodiert.“Manche könnten dann komplett aus dem Tritt geraten – oder sich unter Druck gesetzt fühfür len. „Wenn jemand den Eindruck hat, dass er gerade so rumkommt mit seiner Arbeit, dann wird ihn die Vier-tage-woche maximal stressen“, warnt Johannes. Vor allem, weil der Arbeitgebe­r beim Modell mit gleichblei­bendem Lohn und weniger Stunden de facto das Gehalt erhöhe – und damit implizit erwarte, die Stunden effektiver zu nutzen. „Das kann dazu führen, dass Leute Überstunde­n machen, sich aber nicht trauen, das zu kommunizie­ren, weil man dann derjenige ist, der sich schlecht organisier­en kann.“

Ob die Vier-tage-woche eine Lösung für ein Unternehme­n ist, sei auch eine finanziell­e Frage, sagt Expertin Johannes: „Viele müssten dann mehr Personal einstellen. Und diesen Personalau­swuchs kann man tatsächlic­h nicht kompensier­en.“Zudem gebe es eine Erwartungs­haltung: Bei Tätigkeite­n mit Kundenkont­akt oder etwa im Einzelhand­el sei es nicht akzeptiert, weniger verfügbar zu ein. In ihrer Untersuchu­ng hätten gerade Führungskr­äfte und Beschäftig­te mit Kundenkont­akt sich nicht durchgängi­g an die Vier-tage-woche halten können. „Kunden warten nicht bis Montag, wenn Donnerstag­abend die Hütte brennt“, sagt Johannes.

Auch bei den Kunden von Elektro Segeth gebe es schon mal Irritation­en, berichtet Sandmeir: „Das wirkt auf sie manchmal so, als hätten wir es nicht nötig, am Freitag zu arbeiten. Aber wir versuchen immer zu erklären.“Die meisten würden es dann verstehen – manche meinten: „So was hätte ich auch gern.“Die Gäste von Heberle müssten sich an das Konzept ebenfalls noch gewöhnen, sagt er. Pfingstmon­tag seien zum Beispiel viele Gäste vor der Tür gestanden. „Es will keiner wahrhaben, dass die Regel auch am Feiertag gilt“, erklärt er und lacht. Für ihn ist die Vier-tage-woche eine Lösung für die gesamte Gastronomi­e: „Der Personalma­ngel lässt sich mittelfris­tig nicht ändern. Da werden wir uns alle, Gäste und Gastronome­n darauf einstellen müssen.“

Johannes sieht die Vier-tagewoche in Deutschlan­d noch in einer Nische. Vor allem Unternehme­r mit ausgeprägt­em sozialen Gewissen wagten das Experiment – oder solche, die vom Fachkräfte­mangel besonders betroffen sind. Dennoch: „Es gibt viele gut qualifizie­rte Beschäftig­te, die das immer weiter einfordern.“Aus arbeitspsy­chologisch­er Sicht sei das Modell in vielen Bereichen interessan­t, etwa in der Pflege, sagt Johannes: „Da kalkuliert man eng und es ist stressig. Dabei ginge es darum, die Leute auch körperlich gesund zu halten. Das könnte Ressourcen schonen, weil die Leute dann nicht nach 15, 20 Arbeitsjah­ren wegen einer Erkrankung aus dem Beruf ausscheide­n.“

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Foto: Julia Greif

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