Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zu früh gefreut?
Einige Monate blieb der Profisport vor größeren Corona-ausbrüchen verschont. Doch die Verschnaufpause ist jetzt vorbei. Bei verschiedenen Wettbewerben gab es zahlreiche Infektionen. Wie ein Virologe die Lage einschätzt.
Augsburg Fast zwei Jahre lang spielten die Fußballbundesligisten vor leeren Rängen, Profisportler mussten regelmäßig zum Testen, sie lebten lange Zeit in einer Blase, abgeschirmt von Fans und Journalisten. Corona hatte die gesamte Sportwelt fest im Griff. Doch seit dem Frühjahr gibt es nur noch wenige Corona-auflagen für Sportler – die Pandemie schien vorerst weitgehend überwunden. Jetzt schlägt das Virus aber wieder zu. Beispielsweise beim deutschen Kanuslalom-team. Nachdem sich der Olympia-dritte Hannes Aigner beim Weltcup in Polen infiziert hatte, wurde auch Ricarda Funk positiv getestet. Daraufhin hat das gesamte deutsche Team um die beiden Augsburger Kanuten zum Schutz der übrigen Teilnehmer die Heimreise angetreten. Muss sich der Sport wieder auf härtere Einschränkungen einstellen?
Geht es nach Dr. Reinhard Hoffmann, nicht. Der Facharzt für Virologie und Leiter des Instituts für Labormedizin und Mikrobiologie der Augsburger Uniklinik hält es derzeit nicht für notwendig, die Sicherheitsvorkehrungen bei großen Sportveranstaltungen zu verschärfen: „Zwar steigen die Infektionszahlen zurzeit wieder an, jedoch sind die Krankheitsverläufe der jetzigen Corona-varianten meist recht leicht.“Vor diesem Hintergrund sehe Hoffmann keine Veranlassung, Zuschauerbeschränkungen, größere Abstände oder ähnliche, bereits bekannte Maßnahmen wieder einzuführen. Problematisch werde es nur, wenn das Gesundheitssystem überlastet ist. Aber das sei derzeit nicht der Fall, sagt Hoffmann. Wenn es den Organisatoren von großen Sportevents möglich ist, etwas lockerer zu gestalten, sodass Abstände eingehalten werden können, sei das „von Vorteil, aber kein Muss“. In den kommenden Wochen stehen einige große Sportveranstaltungen an. In eineinhalb Wochen startet die Tour de France. Bei der „Generalprobe“, der Tour de Suisse, hagelte es bereits positive Coronatests. Über 40 Fahrerinnen und Fahrer mussten aufgrund von Covid-infektionen die Reißleine ziehen. Allesamt zwar nur mit leichten
Hier konnte er noch jubeln: Alexander Wlassow vom Team Borahansgrohe nach dem Sieg der fünften Etappe bei der Tour de Suisse. Einen Tag darauf hatte der Russe einen positiven Coronatest und musste abreisen.
Symptomen, zum Schutz der anderen Teilnehmer reisten sie jedoch ab. Mit teils bitteren Folgen: Denn für den ein oder anderen steht dadurch auch die Teilnahme an der Tour de France auf der Kippe. So zum Beispiel für den Augsburger Georg Zimmermann. Nicht, weil er bis zum Start nicht wieder fit werde, sondern vielmehr, weil ihm kaum noch Zeit bleibe, sich teamintern für einen Startplatz zu empfehlen, sagte er. Letzte Gelegenheit dazu hat Zimmermann bei der deutschen Meisterschaft am kommenden Wochenende im Sauerland.
Und auch auf die Frauenfußballeuropameisterschaft (6. bis 31. Juli) wirft die Corona-sommerwelle bereits ihre Schatten voraus. Zunächst hatte es die Dfb-kapitänin Alexandra Popp vom VFL Wolfsburg er
wischt. Ein Test in der vergangenen Woche war positiv ausgefallen, nachdem sie leichte Symptome verspürt hatte. Sie wurde sofort vom Team isoliert, wodurch weitere Fälle abgewendet werden konnten. Inzwischen ist Popp von ihrer Coronainfektion wieder genesen und konnte am Dienstag in das Em-trainingslager nach Herzogenaurach reisen. Allerdings meldete nun die spanische Nationalmannschaft – Gruppengegner des deutschen Teams – vier Infektionen. Das Spielerinnen-quartett wurde laut Verbandsmitteilung am Montag bei Routinekontrollen positiv auf das Virus getestet und ist nun vom Rest des Teams isoliert.
Auch den Fußball-zweitligisten Holstein Kiel hat es erwischt. Die „Störche“befinden sich seit einer
Woche wieder im Training, doch es fehlen acht Spieler, weil sie positiv auf Corona getestet wurden.
Virologe Hoffmann bereiten all diese Meldungen und überhaupt das Ansteigen der Fallzahlen jedoch keine großen Sorgen, eben weil die Krankheitsverläufe meist sehr harmlos bleiben. Dass sich das in den kommenden Monaten einmal mehr ändert und wieder eine aggressivere Variante auftaucht, sei natürlich nicht auszuschließen. Allerdings sei jetzt vielleicht ein Punkt erreicht, wo sich die Balance zwischen milden Verläufen und einer recht hohen Ansteckungsgefahr hält. „Dann müssen wir damit einfach leben“, sagt Hoffmann. Einen Anstieg der Corona-infektionszahlen im Herbst werde es, nach dem, was die vergangenen zwei Jahre zeigten, wohl erneut geben. Vorauszusagen, ob es eine aggressivere Variante geben wird, käme jedoch einem Blick in die Kristallkugel gleich.
Warum die Infektionszahlen derzeit wieder ansteigen, ist laut Hoffmann nicht ganz klar. „Eventuell hat das mit der neuen Variante BA.5, die sich derzeit vor allem in Portugal rasant ausbreitet, zu tun“, mutmaßt der Virologe. Ein weiterer Grund könne sein, dass die Menschen jetzt bei gutem Wetter und ohne Corona-beschränkungen wieder vermehrt zusammenkommen. Denn auch draußen an der frischen Luft sind Ansteckungen möglich. So komme es eben auch auf großen Sportevents, wo viele Menschen nah beieinanderstehen, unvermeidlich immer wieder zu Infektionen.