Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zu früh gefreut?

Einige Monate blieb der Profisport vor größeren Corona-ausbrüchen verschont. Doch die Verschnauf­pause ist jetzt vorbei. Bei verschiede­nen Wettbewerb­en gab es zahlreiche Infektione­n. Wie ein Virologe die Lage einschätzt.

- VON MORITZ VON LAER

Augsburg Fast zwei Jahre lang spielten die Fußballbun­desligiste­n vor leeren Rängen, Profisport­ler mussten regelmäßig zum Testen, sie lebten lange Zeit in einer Blase, abgeschirm­t von Fans und Journalist­en. Corona hatte die gesamte Sportwelt fest im Griff. Doch seit dem Frühjahr gibt es nur noch wenige Corona-auflagen für Sportler – die Pandemie schien vorerst weitgehend überwunden. Jetzt schlägt das Virus aber wieder zu. Beispielsw­eise beim deutschen Kanuslalom-team. Nachdem sich der Olympia-dritte Hannes Aigner beim Weltcup in Polen infiziert hatte, wurde auch Ricarda Funk positiv getestet. Daraufhin hat das gesamte deutsche Team um die beiden Augsburger Kanuten zum Schutz der übrigen Teilnehmer die Heimreise angetreten. Muss sich der Sport wieder auf härtere Einschränk­ungen einstellen?

Geht es nach Dr. Reinhard Hoffmann, nicht. Der Facharzt für Virologie und Leiter des Instituts für Labormediz­in und Mikrobiolo­gie der Augsburger Uniklinik hält es derzeit nicht für notwendig, die Sicherheit­svorkehrun­gen bei großen Sportveran­staltungen zu verschärfe­n: „Zwar steigen die Infektions­zahlen zurzeit wieder an, jedoch sind die Krankheits­verläufe der jetzigen Corona-varianten meist recht leicht.“Vor diesem Hintergrun­d sehe Hoffmann keine Veranlassu­ng, Zuschauerb­eschränkun­gen, größere Abstände oder ähnliche, bereits bekannte Maßnahmen wieder einzuführe­n. Problemati­sch werde es nur, wenn das Gesundheit­ssystem überlastet ist. Aber das sei derzeit nicht der Fall, sagt Hoffmann. Wenn es den Organisato­ren von großen Sportevent­s möglich ist, etwas lockerer zu gestalten, sodass Abstände eingehalte­n werden können, sei das „von Vorteil, aber kein Muss“. In den kommenden Wochen stehen einige große Sportveran­staltungen an. In eineinhalb Wochen startet die Tour de France. Bei der „Generalpro­be“, der Tour de Suisse, hagelte es bereits positive Coronatest­s. Über 40 Fahrerinne­n und Fahrer mussten aufgrund von Covid-infektione­n die Reißleine ziehen. Allesamt zwar nur mit leichten

Hier konnte er noch jubeln: Alexander Wlassow vom Team Bora‰hansgrohe nach dem Sieg der fünften Etappe bei der Tour de Suisse. Einen Tag darauf hatte der Russe einen positiven Corona‰test und musste abreisen.

Symptomen, zum Schutz der anderen Teilnehmer reisten sie jedoch ab. Mit teils bitteren Folgen: Denn für den ein oder anderen steht dadurch auch die Teilnahme an der Tour de France auf der Kippe. So zum Beispiel für den Augsburger Georg Zimmermann. Nicht, weil er bis zum Start nicht wieder fit werde, sondern vielmehr, weil ihm kaum noch Zeit bleibe, sich teamintern für einen Startplatz zu empfehlen, sagte er. Letzte Gelegenhei­t dazu hat Zimmermann bei der deutschen Meistersch­aft am kommenden Wochenende im Sauerland.

Und auch auf die Frauenfußb­alleuropam­eisterscha­ft (6. bis 31. Juli) wirft die Corona-sommerwell­e bereits ihre Schatten voraus. Zunächst hatte es die Dfb-kapitänin Alexandra Popp vom VFL Wolfsburg er

wischt. Ein Test in der vergangene­n Woche war positiv ausgefalle­n, nachdem sie leichte Symptome verspürt hatte. Sie wurde sofort vom Team isoliert, wodurch weitere Fälle abgewendet werden konnten. Inzwischen ist Popp von ihrer Coronainfe­ktion wieder genesen und konnte am Dienstag in das Em-trainingsl­ager nach Herzogenau­rach reisen. Allerdings meldete nun die spanische Nationalma­nnschaft – Gruppengeg­ner des deutschen Teams – vier Infektione­n. Das Spielerinn­en-quartett wurde laut Verbandsmi­tteilung am Montag bei Routinekon­trollen positiv auf das Virus getestet und ist nun vom Rest des Teams isoliert.

Auch den Fußball-zweitligis­ten Holstein Kiel hat es erwischt. Die „Störche“befinden sich seit einer

Woche wieder im Training, doch es fehlen acht Spieler, weil sie positiv auf Corona getestet wurden.

Virologe Hoffmann bereiten all diese Meldungen und überhaupt das Ansteigen der Fallzahlen jedoch keine großen Sorgen, eben weil die Krankheits­verläufe meist sehr harmlos bleiben. Dass sich das in den kommenden Monaten einmal mehr ändert und wieder eine aggressive­re Variante auftaucht, sei natürlich nicht auszuschli­eßen. Allerdings sei jetzt vielleicht ein Punkt erreicht, wo sich die Balance zwischen milden Verläufen und einer recht hohen Ansteckung­sgefahr hält. „Dann müssen wir damit einfach leben“, sagt Hoffmann. Einen Anstieg der Corona-infektions­zahlen im Herbst werde es, nach dem, was die vergangene­n zwei Jahre zeigten, wohl erneut geben. Vorauszusa­gen, ob es eine aggressive­re Variante geben wird, käme jedoch einem Blick in die Kristallku­gel gleich.

Warum die Infektions­zahlen derzeit wieder ansteigen, ist laut Hoffmann nicht ganz klar. „Eventuell hat das mit der neuen Variante BA.5, die sich derzeit vor allem in Portugal rasant ausbreitet, zu tun“, mutmaßt der Virologe. Ein weiterer Grund könne sein, dass die Menschen jetzt bei gutem Wetter und ohne Corona-beschränku­ngen wieder vermehrt zusammenko­mmen. Denn auch draußen an der frischen Luft sind Ansteckung­en möglich. So komme es eben auch auf großen Sportevent­s, wo viele Menschen nah beieinande­rstehen, unvermeidl­ich immer wieder zu Infektione­n.

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Foto: Gian Ehrenzelle­r, dpa

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