Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Noch ist er die Nummer eins

Im Vatikan herrscht Endzeitsti­mmung. Papst Franziskus ist gesundheit­lich angeschlag­en, sein Vorgänger nur noch ein Schatten seiner selbst. Im Hintergrun­d wird die Wahl des nächsten Kirchenobe­rhaupts vorbereite­t. Manche Kardinäle rollen das Feld von hinten

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Die Leibwächte­r in ihren schwarzen Anzügen folgen im Laufschrit­t dem Papamobil. Es ist ein weißer Jeep, der da über den heißen Petersplat­z rollt. Die Sonne blendet, hinten auf dem Wagen haben sie ein paar Kinder mitgenomme­n. Schließlic­h schafft es der Papst seit Mai nicht mehr, abzusteige­n von dem Gefährt, auf die Gläubigen hinter den Absperrgit­tern zuzugehen, sie anzufassen und zu begrüßen. Der direkte Kontakt mit den Menschen, so hieß es immer, sei so wichtig für Franziskus. Jetzt sitzt er als unflexible­r Monarch in einem weißen Drehsessel und salutiert der Menge. Statisch, unbeweglic­h, starr. So gar nicht Franziskus-like.

Es ist Mittwochmo­rgen im italienisc­hen Hochsommer, der in diesem

Jahr schon Anfang Juni begonnen hat und den Über-80-jährigen keine rechte Hilfe ist beim Älterwerde­n. Die Jüngeren ächzen ja schon. Franziskus ist jetzt 85, unter dem weißen Papst-gewand trägt er einen schwarzen Anzug. Der Vatikan hat zwar mit die effiziente­sten Klimaanlag­en im Land, was man bei Hinterzimm­ergespräch­en mit Kühlschran­ktemperatu­ren in diesen Tagen am eigenen Leib erfahren kann. Auf dem Petersplat­z allerdings gibt es Schatten nur unter dem großen Baldachin vor der Basilika.

Der Jeep fährt die Rampe hinauf, die der Papst vor Wochen noch alleine, leicht gestützt, tapfer entlangsta­pfte. Voller Mühe humpelt Franziskus die paar Schritte zum Polsterstu­hl unter dem Baldachin. Kurz bevor der Papst schwerfäll­ig und mehrfach gestützt aus dem Fahrzeug steigt, hat das Vatikanfer­nsehen auf die Menge geschwenkt. Die Weltöffent­lichkeit soll nicht direkt mitbekomme­n, wie gebrechlic­h der Stellvertr­eter Christi auf Erden geworden ist. Das könnte die frohe Botschaft trüben.

Franziskus, da ist er wieder ganz katholisch­er Anarchist, macht der

dann bei der Katechese selbst ein Ende, als er lakonisch sagt: „Im Alter ist es eben so. Man bekommt all diese Krankheite­n und wir müssen sie akzeptiere­n, wenn sie kommen.“Dann zitiert er Jesus, der sich an Petrus wandte und gesagt habe: „,Als du jung warst, warst du selbstgenü­gsam. Wenn du alt bist, wirst du nicht mehr so sehr Herr über dich und dein Leben sein.‘ Und das sagen sie mir, der ich im Rollstuhl herumfahre­n muss.“Der Meister der diffusen Kommunikat­ion hat gesprochen und mal wieder allen ein Schnippche­n geschlagen. Die Menge lacht.

Jetzt ist es das Knie. Nach chronische­r Entzündung des Ischias-nerves, einer dramatisch­en Dickdarmop­eration im vergangene­n Sommer, als es für Jorge Bergoglio auf Messers Schneide stand, nun Bewegungsu­nfähigkeit. Den Terminus „Gonalgie“, also Knieschmer­zen, kennen alle Vatikan-berichters­tatterinne­n und -erstatter. Franziskus selbst machte vor Wochen einen Witz, als ihn die italienisc­hen Bischöfe besuchten, und sagte, er wolle lieber abdanken, als sich noch mal operieren lassen. Die Vollnarkos­e letztes Jahr hatte ihm schwer zugesetzt. Das Zitat wurde kolportier­t, dann folgten die Spekulatio­nen über seinen Rücktritt, den er diese Woche wieder einmal kategorisc­h ausgeschlo­ssen hat.

Bergoglio denke nicht über seine Dimission, seinen Rücktritt, nach, erzählte Erzbischof Roque Paloschi, der mit brasiliani­schen Kollegen zum regelmäßig vorgeschri­ebenen Papstbesuc­h da war. „Ich möchte meine Mission so lange erfüllen, wie Gott es mir erlaubt“, habe Franziskus gesagt. Ein anderer, Lucio Nicoletto, neuer Diözesanad­ministrato­r aus Roraima, berichtet, man habe den Papst in seiner ganzen Zerbrechli­chkeit erlebt, „aber auch mit großer Kraft“. Die Fronleichn­amsprozess­ion sagte Franziskus ab, ebenso seine für Juli geplante Reise in den Kongo und den Südsudan.

Eine Zäsur markiert dieser Sommer in jedem Fall. Die zu Beginn des Pontifikat­s versproche­ne Kurienrefo­rm ist abgeschlos­sen und die neue Verfassung (Praedicate Evangelium) veröffentl­icht. Die großen Themen sind seit den Familiensy­noden 2014 und 2015 alle ausführlic­h und mit unterschie­dlichen Ergebnisse­n besprochen worden: der Missbrauch, der Umgang mit wieder verheirate­ten Geschieden­en, das Frauendiak­onat, die Weihe verheirate­ter Männer, der Fortgang der Ökumene. Die Reform der Vatikanfin­anzen ist abgeschlos­sen, die Vatikanban­k ist aufgeräumt, gegen einen wegen Mauschelei­en in Ungnade gefallenen Kardinal führt der Vatikan derzeit sogar einen Prozess. „Wir sind in der Endphase des Pontifikat­s“, sagt der Vatikan-kenner und Buchautor Marco Politi, bekannt geworden durch sein Werk „Im Auge des Sturms“aus dem Jahr 2021. „Die Frage ist nur, wie lange sie dauert.“Vier, fünf Jahre wolle er amtieren, vielleicht auch nur zwei oder drei, hatte Franziskus einst gesagt. Im kommenden März wären es zehn Jahre. Die Abnutzungs­erscheinun­gen sind nicht zu übersehen.

Und dann ist da dieser seltsame Termin Ende August. Franziskus ernennt da 21 Kardinäle im Petersdom, wenn der Vatikan eigentlich im Sommerurla­ub weilt. Vatikanang­estellte und Kardinäle müssen wegen der Vorbereitu­ngen ihre Ferien verschiebe­n. Dann reist Franziskus am Tag danach nach L’aquigeheim­niskrämere­i la, um in einer Zeremonie an Coelestin V., den ersten zurückgetr­etenen Papst der Neuzeit, zu erinnern. „Warum macht er das?“, fragen sich hohe Kurienmita­rbeiter, „das ist eigenartig.“Zurück in Rom will er mit den Kardinälen dann die Kurienrefo­rm besprechen. Manche behaupten, die Versammlun­g sei auch ein Zusammenko­mmen vor dem nächsten Konklave, jener streng abgeschlos­senen Zusammenku­nft zur Wahl des neuen Papstes. Schließlic­h kennt man sich persönlich kaum angesichts der vielen neuen Gesichter von den Peripherie­n der ganzen Welt.

Dabei wäre das Schrullige am Papst ja eigentlich nichts Neues. Nur unter diesen Umständen, wo alle irgendwie schon in Endzeitsti­mmung sind? Aber Kurienmita­rbeiter, Erzbischöf­e und externe Beobachter sind sich einig, dass Franziskus nicht zurücktret­en wird, solange sein 95 Jahre alter Vorgänger Benedikt XVI. noch am Leben ist. Menschen, die den ebenfalls im Rollstuhl sitzenden papa emeritus in den letzten Monaten im Vatikanklo­ster Mater Ecclesiae getroffen haben, sagen, seine Stimme sei zwar kaum noch zu vernehmen, aber geistig sei er nach wie vor voll da. Drei Päpste, einen neu gewählten und zwei emeritiert­e, das wolle auch Franziskus seiner Kirche nicht zumuten. Sicher?

Ein kleiner Spaziergan­g in den Vatikan hinein vermittelt das Bild großer Ruhe. Die Tankwarte der Vatikantan­kstelle an der Piazza Santa Marta lehnen an den Zapfsäulen. Vor dem Gästehaus Santa Marta, in dem Franziskus zu Amtsbeginn sein Quartier bezogen hat, stehen ein bunt gekleidete­r Schweizer Gardist sowie ein Vatikan-gendarm, sie bewachen die zum Generalqua­rtier umfunktion­ierte Herberge, in der 2013 alles seinen Lauf nahm. Hier residierte­n viele der Kardinäle, die im Konklave Bergoglio wählten. Hier kam man zusammen, checkte Kandidaten ab und verwarf sie wieder. Hier leiteten die selbst ernannten Spin-doktoren Bergoglios die Wahl Franziskus’ ein.

Bergoglios langjährig­er Chefberate­r im Hintergrun­d, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras, Vorsitzend­er des päpstliche­n Kardinalsr­ates, wollte nach dem zweiten Wahlgang wissen, wie es wirklich um den rechten Lungenflüg­el Bergoglios stehe. Es hatte schon damals Gerüchte gegeben, der Erzbischof von Buenos Aires habe gesundheit­liche Probleme. Bergoglio jedoch gab grünes Licht und wurde noch am selben Abend Papst. Jetzt hält ein Taxi vor dem fast kasernenar­tigen Gebäude. Ein Priester steigt aus, vielleicht ist es einer der vielen externen Berater des Papstes, auf die viele Kurienmänn­er machtlos und ein bisschen eifersücht­ig herabschau­en.

Bergoglios Wahl wurde damals von der sogenannte­n Sankt-gallengrup­pe im Geheimen vorbereite­t, einem Klub reformorie­ntierter Kardinäle und Bischöfe. Karl Lehmann und Walter Kasper gehörten dazu. Die einzigen drei deutschen Kardinäle heißen heute Reinhard Marx, Rainer Maria Woelki und Gerhard Ludwig Müller. Dass sie sich in einer Gruppe treffen, ist unvorstell­bar, zu verschiede­n sind ihre Vorstellun­gen und zu beschäftig­t in ihren Diözesen sind zumindest die ersten beiden. Auch heute gibt es Gruppen, doch sie tagen fernab der Öffentlich­keit. Insider wissen von Seilschaft­en im italienisc­hen Kardinalsk­ollegium, das 2013 zerstritte­n war und in Vorbereitu­ng des nächsten Konklaves den charismati­schen Erzbischof von Bologna und neuen Vorsitzend­en der italienisc­hen Bischofsko­nferenz, Matteo Zuppi, zum Kandidaten auserkoren hat. Zuppi hat beste Verbindung­en zur liberalen Laiengemei­nschaft Sant Egidio, die voll auf der Franziskus­linie liegt.

Alternativ könnte Staatssekr­etär Pietro Parolin die auseinande­rtreibende­n Enden der katholisch­en Kirche wieder zusammenfü­hren, meinen andere. Der Chef der Bischofsko­ngregation, Marc Ouellet, wird wohl wieder einige Stimmen bekommen, Kardinal Sean O’malley aus Boston ebenfalls, auch der Konservati­ve Peter Erdö aus Budapest. Der „Restaurati­on“, wie Franziskus selbst seine offenen und verdeckten Gegner nennt, die auf etwa 20 Prozent der Kirchenhie­rarchie geschätzt

Die Welt soll seine Schwäche nicht zu sehen bekommen

Der Papst nimmt Einfluss auf seine Nachfolge

werden, werden aber keine echten Chancen eingeräumt. Die Hardliner im Kardinalsk­ollegium wie Leo Burke, Robert Sarah oder der Ex-chef der Glaubensko­ngregation, Müller, hat der Papst entmachtet.

Seine Nachfolge bereitet er nun selbst in gewisser Weise vor. 67 von 117 derzeit wahlberech­tigten, also jünger als 80 Jahre alten Kardinälen hat er selbst ernannt. Im August treffen sich die Purpurträg­er zum Konsistori­um, ihrer Plenarvers­ammlung. Im Oktober 2023 kommen Bischöfe und Kardinäle dann zur Weltsynode zusammen. „Ein kleines Konzil“, nennt Vatikanken­ner Politi die Veranstalt­ung. Es soll um „Teilhabe und Teilnahme“gehen, um die Beteiligun­g von Frauen an der Kirchenlei­tung, um Synodalitä­t im Allgemeine­n.

Franziskus, wenn er dann noch im Amt ist, will der Kirche zeigen, was er sich unter diesem Begriff vorstellt. Ganz gewiss wird es bei den informelle­n Abend-runden aber vor allem um die derzeit wichtigste Frage für die katholisch­e Kirche gehen. Sie lautet: Wer wird der nächste Papst?

 ?? Fotos: Alessandra Tarantino (2), Dalati&nohra/dpa ?? Papst Franziskus, hier bei einer Generalaud­ienz Anfang Juni, kann sein Papamobil nur noch mithilfe seiner Leibwächte­r verlassen. Auf Gläubige zugehen? Sie umarmen? Das geht nicht mehr. Dass ihm das Alter und seine Krankheite­n zu schaffen machen, gibt der 85‰Jährige offen zu. Und doch steht er immer noch an der Spitze der Kirche.
Fotos: Alessandra Tarantino (2), Dalati&nohra/dpa Papst Franziskus, hier bei einer Generalaud­ienz Anfang Juni, kann sein Papamobil nur noch mithilfe seiner Leibwächte­r verlassen. Auf Gläubige zugehen? Sie umarmen? Das geht nicht mehr. Dass ihm das Alter und seine Krankheite­n zu schaffen machen, gibt der 85‰Jährige offen zu. Und doch steht er immer noch an der Spitze der Kirche.
 ?? ?? Kandidaten für Franziskus’ Nachfolge: der vatikanisc­he Staatssekr­etär Pietro Parolin (links) und Matteo Zuppi, charismati­scher Erzbischof von Bologna.
Kandidaten für Franziskus’ Nachfolge: der vatikanisc­he Staatssekr­etär Pietro Parolin (links) und Matteo Zuppi, charismati­scher Erzbischof von Bologna.
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