Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Zimmermädc­hen zur Abgeordnet­en

Die ehemalige Hotelanges­tellte Rachel Keke ist für die Linksparte­i in die französisc­he Nationalve­rsammlung eingezogen. Kampferpro­bt ist sie, jetzt will sie das Parlament zum Beben bringen.

- VON BIRGIT HOLZER

Paris „Ist das ein Traum oder ist das kein Traum?“Rachel Keke blickt strahlend um sich, in lachende Gesichter und in all die Kameras um sie herum. Sie steht an diesem Dienstagmo­rgen vor der Nationalve­rsammlung in Paris, ihrem neuen Arbeitspla­tz, in dem sie gleich wie alle Abgeordnet­en einen Zugangspas­s und einen Schal in den Farben der Trikolore bekommen wird. Zuvor stellt sie sich noch zum Gruppenfot­o mit den anderen „Unbeugsame­n“auf – ihren Fraktionsk­olleginnen und Kollegen der Linksparte­i La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), die mit dem rotgrünen Bündnis Nupes bei den Parlaments­wahlen am Sonntag einen Erfolg erzielte.

Von den 79 Abgeordnet­en der Partei gehört die Franko-ivorerin mit ihren geflochten­en Zöpfen und der farbigen Kleidung zu den Bekanntest­en. Sie gilt als Symbol dafür, dass es in Frankreich doch jeder schaffen kann – von ganz unten nach ganz oben. Mit 50,3 Prozent und einem Vorsprung von nur 177 Stimmen hat sie in ihrem Wahlbezirk südöstlich von Paris gegen die ehemalige Sportminis­terin Roxana Maracinean­u vom Regierungs­lager gewonnen. Vor ihrem Sprung in die Politik war Keke Friseurin und Zimmermädc­hen in Hotels, eine „Unsichtbar­e“, wie sie selbst sagt.

Landesweit sichtbar machte sich die Gewerkscha­fterin, als sie im Jahr 2019 mit Kolleginne­n eines Ibishotels in einen Arbeitskam­pf mit ihrem Arbeitgebe­r, der Reinigungs­firma STN, und dem Hotelkonze­rn Accor eintrat. Sie beklagten unbezahlte Überstunde­n, einen unzumutbar­en Rhythmus und großen Druck. Keke machte sich zur Sprecherin des Protests – selbstbewu­sst, laut und furchtlos trat sie auf. Nach fast zwei Jahren Streik hatten die Frauen eine höhere Bezahlung und verbessert­e Arbeitsbed­ingungen durchgeset­zt. Nun greift sie die Forderung ihrer Partei nach einem höheren Mindestloh­n auf.

„Ich bin eine Kämpferin“, sagt die 48-Jährige von sich selbst. Sie habe keinerlei politische Ausbildung, ihre Schullaufb­ahn endete nach der vierten Klasse. Dazu stehe sie, sagte sie bei ihrer Rede am Wahlabend am Sonntag: „Die Nationalve­rsammlung

gehört auch uns, sie ist nicht nur für die Reichen da.“Künftig wolle sie „die Stimme all derer sein, die sonst keine Stimme haben“. Damit meinte sie die Putzfrauen und Sicherheit­sleute, die Bauarbeite­r und Zimmermädc­hen, die fast immer wie sie aus afrikanisc­hen Ländern eingewande­rt sind. Die sogenannte­n „Papierlose­n“, die oft keinen regulären Aufenthalt­sstatus und kaum Rechte haben, obwohl sie einer festen Arbeit nachgehen und in die Sozialkass­en einzahlen. Das Innenminis­terium schätzt ihre Zahl in Frankreich auf 600.000 bis 700.000. Rachel Keke selbst ist keine „Papierlose“. In Abidjan in der Elfenbeink­üste als Tochter einer Kleiderver­käuferin und eines Busfahrers geboren, kam sie 2000 nach Frankreich. 2015 erhielt die Mutter von fünf Kindern die französisc­he Staatsbürg­erschaft. Sie selbst nennt es „historisch“, dass sie als Schwarze und erstes ehemaliges Hotel-zimmermädc­hen künftig das französisc­he Volk repräsenti­ert. „Sie kann die Massen anführen“, sagt ihr Parteikoll­ege Eric Coquerel. „Sie ist stark und findet die richtigen Worte.“

Mit ihren Worten hält sie sich freilich nicht zurück. Auf Twitter kündigte sie am Wahlabend an, sie werde „die Nationalve­rsammlung zum Beben bringen“.

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Foto: Thomas Padilla, dpa Rachel Keke (Mitte) kam in der Elfenbeink­üste zu Welt.

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