Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die verlorene Ehre der Wahlhelfer­in Shaye Moss

USA Eine dramatisch­e Anhörung belegt, wie Trump mit Einschücht­erungen die Stimmauszä­hlung zu manipulier­en versuchte.

- VON KARL DOEMENS

Washington Es dauert eine Weile, bis Shaye Moss den Knopf ihres Mikrofons gefunden hat und man ihre Stimme hören kann. Der landesweit übertragen­e Auftritt vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss zum Kapitolstu­rm ist der Afroamerik­anerin sichtlich unangenehm. Unauffälli­g hat sie zehn Jahre in der Gemeindeve­rwaltung von Fulton County im Us-bundesstaa­t Georgia gearbeitet. Von ihr aus hätte das so bleiben sollen. Doch dann kam Donald Trump und machte sie zur Schlüsself­igur seiner Wahl-lügengesch­ichte und Zielscheib­e des rechten Hasses.

Gemeinsam mit ihrer Mutter Ruby Freeman hatte Moss am Wahlabend des 3. November 2020 in Atlanta Stimmen ausgezählt. Der Ausgang der Präsidents­chaftswahl in Georgia war knapp: Nach der Auszählung lag Joe Biden mit 12.000 Stimmen vorne. Trump wollte das nicht akzeptiere­n. Bald fabulierte sein Anwalt Rudy Giuliani in einem Video von einem kriminelle­n Plot: Angeblich hatte Freeman ihrer Tochter einen Usb-stick mit fingierten Wahlergebn­issen zugesteckt. Die beschnitte­nen Aufnahmen einer Überwachun­gskamera sollten das beweisen.

Georgias republikan­ischer Innenminis­ter Brad Raffensper­ger wies die Verschwöru­ngslüge von Anfang an zurück. Es habe keine Manipulati­on gegeben, bestätigt er nun erneut bei der Anhörung im Kongress: Dreimal seien die Stimmen überprüft und mit demselben Ergebnis ausgezählt worden: „Die Zahlen sind die Zahlen.“Das habe er Trump auch in jenem legendären Telefonat gesagt, in dem dieser forderte, ihm eine Mehrheit zu verschaffe­n. Doch der Ex-präsident war besessen: Insgesamt 18 Mal erwähnte er bei dem Gespräch Freemans Namen und nannte sie eine „Betrügerin“und „Nutte“.

Die Tochter konnte sich zuerst keinen Reim auf die Sache machen, als sie im Dezember von Giulianis wilden Anschuldig­ungen hörte. Dann las sie die Kommentare auf ihrer Facebook-seite: rassistisc­he Beschimpfu­ngen, hasserfüll­te Anwürfe und Todesdrohu­ngen. Sie solle froh sein, „dass es 2020 ist und nicht 1920“, schrieb ein Trump-anhänger. Ihre Mutter, die ein kleines Mode-geschäft betrieb, musste auf Anraten des FBI für zwei Monate abtauchen. Überall im Netz und in rechten Medien wurden ihre Namen verbreitet. Ein wütender Mob versuchte, Moss’ knapp 80-jährige Großmutter kurzerhand eigenmächt­ig „festzunehm­en“.

Nur mit Mühe kann Moss die Tränen zurückhalt­en, als sie gefragt wird, wie sich ihr Leben verändert hat. „Es hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich möchte nicht, dass jemand meinen Namen hört“, berichtet sie. Voller Panik habe sie sich verkrochen und 25 Kilo zugenommen: „Ich unternehme nichts mehr. Ich will nirgendwo mehr hingehen. Und das alles wegen einer Lüge.“

Im Sitzungssa­al des Repräsenta­ntenhauses herrscht betretenes Schweigen nach dieser Aussage. Es ist der bislang eindrückli­chste Auftritt vor dem Ausschuss. An den ersten Tagen haben die Zuschauer schon gehört, wie sich Trump wider besseren Wissens und trotz Mahnungen seiner Berater einfach zum Wahlsieger erklärte. Nun geht es um den brutalen Druck, den der Ex-präsident auf Abgeordnet­e und Wahlhelfer in den Bundesstaa­ten ausübte, um das Ergebnis in seinem Sinne zu manipulier­en.

Die Aussagen in der dreistündi­gen Anhörung verdichten sich zum erschrecke­nden Bild einer regelrecht­en Terrorkamp­agne, die Trump anfachte. So berichtet Rusty Bowers, der republikan­ische Vorsitzend­e des Abgeordnet­enhauses von Arizona, von Kundgebung­en vor seinem Haus, in denen er als Pädophiler verleumdet wurde. Niemals habe Giuliani ihm Belege für den angebliche­n Wahlbetrug vorgelegt. Als er sich weigerte, verfassung­swidrig einfach die Wahlleute auszutausc­hen, wurden sein Name und seine Adresse verbreitet. Ein Nachbar wurde von einem bewaffnete­n Angehörige­n einer rechtsextr­emen Miliz bedroht.

Auch Georgias Innenminis­ter Raffensper­ger, wie Bowers ein konservati­ver Republikan­er, der 2020 für Trump gestimmt hatte, wurde mit wilden E-mails und Textnachri­chten attackiert, weil er das Ergebnis nicht im Sinne des Ex-präsidente­n fälschen wollte. Seine Frau musste üble sexistisch­e Beleidigun­gen über sich ergehen lassen.

Bowers und Raffensper­ger wollen dem Druck des rechten Trumpmobs nicht nachgeben. Ihre Ämter bieten ihnen Schutz. In Fulton County aber hätten inzwischen alle ehemaligen Kolleginne­n und Kollegen bei der Wahlbehörd­e gekündigt, berichtet Shaye Moss. „Ich fühle mich nirgendwo mehr sicher“, sagt ihre Mutter: „Wissen Sie, wie es ist, wenn Sie der Präsident der Vereinigte­n Staaten als Ziel markiert hat?“

Wenn es kein Usb-stick war: Was Freeman bei der Stimmauszä­hlung eigentlich ihrer Tochter zugesteckt habe, will ein Abgeordnet­er noch wissen. „Ein Ingwer-minzbonbon“, antwortet Moss. Darüber lachen kann niemand.

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Foto: Michael Reynolds, Imago Shaye Moss war eine einfache Wahlhelfer­in, bis sie zur Zielscheib­e der Trump‰fans wurde.

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