Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Klage gegen Benedikt ist bereits ein Erfolg
Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche gibt es viel „wäre“, „hätte“und „vielleicht“. Wären zum Beispiel Fälle sexualisierter Gewalt schon unmittelbar, nachdem sie geschahen, angezeigt worden, hätte zumindest die Chance auf eine juristische Bewältigung bestanden – hätten Staatsanwaltschaften und Gerichte zuvor nicht wie in manchem Fall einen, nennen wir es einmal „nachsichtigen“Umgang mit der Kirche gepflegt. Vielleicht wäre dann früh klar geworden, dass es sich nicht um vermeintliche Einzelfälle handelt.
Es sollte bekanntlich anders kommen. Und so ist traurige Realität: Wegen Verjährung kommt es nicht zu Ermittlungen oder zu Einstellungen, und der Kirche ist die Aufklärung und Aufarbeitung weitgehend selbst überlassen. Insofern ist die nun eingereichte Klage gegen den zurückgetretenen Papst Benedikt XVI. und weitere hochrangige Kirchenvertreter als eine Art Hilferuf, als Ruf nach Aufmerksamkeit und als Aufforderung zu verstehen, an Kirche wie Staat gleichermaßen: Werdet endlich eurer Verantwortung gerecht!
Denn wenn schon nicht die Justiz – der Staat, allen voran die Politik, hätte längst mehr tun können und müssen. Mit jedem weiteren Missbrauchsgutachten wird offensichtlicher, dass die Kirche – für nicht wenige nur noch eine „Täter-institution“– es nicht selbst schafft, ihrem Jahrhundertskandal, vor allem aber den Missbrauchsbetroffenen in gebotener Weise gerecht zu werden.
Der „Fall Peter H.“, der ausführlich im Münchner Missbrauchsgutachten beleuchtet wird und in dem es bei dieser Feststellungsklage geht, ist hierfür eines der eindrücklichsten, eines der besonders schockierenden Beispiele. Es steht für eine Verantwortungslosigkeit im Umgang mit klerikalen Missbrauchstätern, die sprachlos und wütend macht. Letztlich wird es nicht darauf ankommen, ob die Klage juristisch Erfolg hat. Sie ist bereits ein Erfolg: weil sie den Druck weiter erhöht. Und ohne Druck hat sich, das zeigt die Erfahrung, bislang wenig verändert. Dies gilt beim Thema Missbrauchsaufarbeitung für die Kirche wie für den Staat.