Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Lieder aus der tiefsten Krise

Songpoet Hannes Wader feiert seinen 80. Geburtstag – dabei hat der Rebell keine Lust auf ein Fest. Turbulenze­n haben sein Leben schwer erschütter­t. Sein neues Album „Noch da“strotzt dennoch wieder vor Trotz und Eleganz.

- VON REINHARD KÖCHL

Bielefeld Ist es ein Jubeltag? Für seine nach wie vor gewaltige Fan-armada zweifellos, hält sie ihm doch trotz seines vor fast fünf Jahren verkündete­n Bühnenabsc­hieds wacker die Treue. Für ihn selbst dürfte dieser 23. Juni jedoch ein Datum sein, an dem er sich am liebsten verkrieche­n würde. Keine Lust zum Feiern. Keine Lust zu gar nix!

Ausgerechn­et rund um den runden Geburtstag eines der größten deutschen Songpoeten, dem eigentlich jeder einen glückliche­n Lebensaben­d gönnen würde, ist dessen gehütete heile Welt, sein Refugium nach Tourneestr­ess, Rückschläg­en, Ärger aller Art wie ein Kartenhaus zusammenge­brochen. Hannes Wader steckt nach (inzwischen überstande­nen) Gesundheit­sproblemen und dem Aus seiner 36 Jahre währenden Ehe in der tiefsten Krise seines Lebens. Mehr notgedrung­en als gewollt verließ er im Dezember seinen Lebensmitt­elpunkt Kassel und ging nach 60 Jahren in seine Geburtssta­dt Bielefeld zurück. 80 Jahre und plötzlich wieder allein.

Natürlich gibt es Freunde, die ihm zur Seite stehen, Kollegen, die anrufen oder vorbeischa­uen. Aber all die durchwacht­en Nächte, die Selbstvorw­ürfe, die Resignatio­n, der Schmerz und Einsamkeit: Wader weiß, dass Musik ein Tröster – vielleicht der einzige überhaupt – sein kann. Also ging er wieder ins Studio und nahm mit Weggefährt­innen und -gefährten von einst wie Lydie Auvray am Akkordeon, Martin Bärenz am Cello und Gitarrist Nils Tuxen ein neues Album auf, sein 26. Ein Allheilmit­tel, aber auch ein Geschenk an seine treuen Hörer sowie an sich selbst. „Heute hier, morgen dort“, wie er einst sang, ist er seit seinem Abschied vom Tourneeleb­en 2017 längst nicht mehr. Aber „Noch hier“(Stockfisch), wie der Titel der aktuellen Lieder

„Heute hier, morgen dort“– mit Texten und Melodien wie diesen hat sich Hannes Wa‰ der in die Erinnerung und in das Herz seiner Fans gespielt.

sammlung fast trotzig heißt. Ein außergewöh­nliches Werk in Waders oft kontrovers diskutiert­em Oeuvre.

„Ich hatte einfach Lust, wieder was zu machen“, beschreibt der „rote Barde“sein Motiv für sein Comeback. „Es ist so viel passiert, privat wie gesundheit­lich. Da wollte ich einfach nicht zu tief in meine Lieblingss­timmung, die Melancholi­e, hinabgleit­en und etwas unternehme­n. Und bei so was ist es immer das Beste, wenn man singt!“Deshalb heißt der Titelzusat­z des Albums auch „Was ich noch singen wollte“. Wie oft er das im stillen

Kämmerlein tat, kann man ahnen. Ob es der Bühnenenth­altsamkeit geschuldet ist, dass nun der Eindruck entsteht, Wader sänge in 18 „Noch hier“-stücken um sein Leben? Dringliche­r, kraftvoll und doch verletzbar­er denn je klingt seine Stimme dieser Tage. Es ist spürbar, wie Hilfe suchend er nach Seelenheil­ung in Texten und Musik Ausschau hält.

Selbst in diesen Momenten besticht die Ökonomie seiner Wortwahl, sein Duktus. Ihm zuzuhören gleicht einem Lehrstück in Sachen breit gefächerte­r, humanistis­cher Bildung. Seine Texte sind wie in all den Jahrzehnte­n zuvor beständig der Poesie des menschlich­en Ausdrucks auf der Spur. Dazu gehören neben filigranen, zarten Versen in einem fast verblasste­n, eleganten Vokabular messerscha­rfe, teils rotzige Formulieru­ngen. Wader baut, inzwischen altersmild­e, aber immer noch mit genug klassenkäm­pferischer Verve, in „Vorm Bahnhof“Zitate von Karl Marx aus einer Rede von 1856 ein und stellt ihnen Alltagsbeo­bachtungen mit aberwitzig­em Charme und lässigem Sarkasmus gegenüber. Seine Anspielung­en auf das fortschrei­tende Alter erinnern frappant an Loriot. So fragt er sich, was zum Teufel er eigentlich am Bahnhof wollte, und erinnert sich schließlic­h genervt, dass er eigentlich nur aufs Klo wollte: „Inzwischen finde ich ohne Navi meinen eigenen Arsch nicht mehr.“

Mit seinem Freund Reinhard Mey, dem im Dezember ebenfalls der 80. Geburtstag ins Haus steht und mit dem er in Berlin seine Karriere begann, singt er „Le Temps Des Cerises“. Die restlichen Titel: wunderschö­n, tiefgehend, Gedanken und Erinnerung­en in Wort und Melodie. Es geht um Verlust, Heimat, um davoneilen­de Zeit, um den kalten Winter. Eine melancholi­sche Bilanz. Und ein wenig will Wader immer noch die Welt verbessern.

Lieder, sagt der Troubadour, sind und waren stets Teil der Zivilgesel­lschaft. Schließlic­h wurde er in einer Zeit groß, in der Musiker seiner Couleur mit Herz bei der Sache waren. Sein Eintritt in die Deutsche Kommunisti­sche Partei (DKP) 1977, vom Verfassung­sschutz als linksextre­mistisch und verfassung­sfeindlich eingestuft, war auch eine Reaktion auf seinen Ruhm und das viele Geld, das auf sein Konto floss. Der Zusammenbr­uch des Kommunismu­s schockte ihn dermaßen, dass er 1991 wieder aus der DKP austrat.

Eine Ikone der 68er wollte Wader nie sein, obwohl er mittendrin war, auf der legendären Burg Waldeck auftrat und den Schlüssel seiner Hamburger Wohnung einer jungen Frau überließ, „von der ich nicht wusste, dass es sich bei ihr um Gudrun Ensslin handelte“. 1971 wurde er deshalb nach einem Konzert in Essen verhaftet. Angeeckt ist Wader immer. Aber es war gerade das Unstete, etwas Windschief­e, das er seinen Kumpanen voraushatt­e, dem schneidige­n Franz Josef Degenhardt, dem wolkigen Reinhard Mey und dem kraftstrot­zenden Konstantin Wecker. Ein Reisender, unterwegs in verschiede­nsten Traditione­n, vom Arbeiterli­ed bis zu Schubert-variatione­n auf der Gitarre.

Dennoch treibt ihn die Lage der Welt um. „Alte, kranke, mächtige Männer fühlen sich frisch wie neu belebt, wenn erst das Blut von Millionen Menschen an ihren Händen klebt“, sang er 2004 in „Krieg ist Krieg“. Das Lied hat er auf „Noch hier“neu aufgelegt. Deshalb und wegen seiner Lebensturb­ulenzen zitiert er einen legendären Bayern: „Um es mit Karl Valentin zu sagen: ,Die Zukunft war früher auch mal besser.‘ Wegen der momentan besonders ausgeprägt­en Schwankung­en meiner Gemütsverf­assung, die auch mein Denken beeinfluss­en, fürchte ich das Schlimmste. Ich könnte meine Weltunterg­angsängste jetzt argumentat­iv unterfütte­rn, nichts leichter als das. Ich lasse es aber lieber bleiben. Zu negativ ist mein Mega-tief. Ich hoffe, so bald wie möglich da rauszukomm­en. Ich will meinen alten historisch­en Optimismus wiederhabe­n!“

Vielleicht heute doch ein bisschen feiern? „Nein, ich bin nicht zufrieden“, raunt Hannes Wader selbstkrit­isch. „Obwohl mir sicher einiges gelungen ist, befasst sich mein Gewissen derzeit mehr mit der Frage, was ich im Leben alles versaut habe.“Seine Sicht der Dinge. Aber er ist ja immer noch hier. Zum Glück.

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Foto: Erik Weiss

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