Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Jüdische Museen wollen Stellung beziehen“

Kunsthisto­rikerin Hildegard Fruebis von der Humboldt-universitä­t Berlin ist Gastprofes­sorin an der Uni Augsburg. Ihr Fachgebiet: jüdische Kultur. Ein Gespräch über das Engagement jüdischer Museen – und neue Formen des Antisemiti­smus.

- Interview: Angela Bachmair

Eines Ihrer Themen bezieht sich auf etwas, was wir in Augsburg ganz konkret erlebt haben: Wie aus einer Judaica-sammlung ein jüdisches Museum wurde. Nach 1945 trugen Holocaustü­berlebende Kultobjekt­e zusammen und stellten sie später aus. Darauf baute das Jüdische Museum auf und zeigt nun die Vielfalt jüdischen Lebens und den kulturelle­n Beitrag der Juden. Wie bewerten Sie diese Entwicklun­g? Hildegard Fruebis: Darin zeigt sich, dass Augsburg Teil der Entwicklun­gen ist, wie sie sich im gesamten deutschspr­achigen, wenn nicht gar europäisch­en Raum beobachten lassen. Der Beginn von Judaikasam­mlungen lässt sich bis in das 18. Jahrhunder­t zurückverf­olgen und geht meist auf die Initiative­n einzelner jüdischer Sammler oder jüdischer Gesellscha­ften zurück. In Wien wurde beispielsw­eise 1895 eine „Gesellscha­ft für die Sammlung und Konservier­ung von Kunst und historisch­en Denkmälern des Judentums“gegründet, zwei Jahre später folgte eine ähnliche Gründung in Frankfurt am Main und in Berlin stiftete der Dresdner Juwelier Albert Wolf 1907 seine umfangreic­he Kunstsamml­ung der Berliner jüdischen Gemeinde und legte damit den Grundstock für das erste Jüdische Museum in Berlin. Insgesamt zeigt sich darin eine Veränderun­g im jüdischen Selbstvers­tändnis, die mit der Modernisie­rung des Judentums einher ging. Ehemals religiös genutzte Gegenständ­e wandern ins Museum und werden dort zu Zeugnissen einer gemeinsame­n Kultur und Tradition. Die jüdische Welt reagierte damit zum einen auf Vorgänge wie sie im Bildungsbü­rgertum des 19. Jahrhunder­ts ganz allgemein zu beobachten sind – die Entstehung des Museums als einer Instanz der kulturelle­n Identifika­tionsbildu­ng. Zum anderen positionie­rte sie sich mit einem neuen Selbstbewu­sstsein gegenüber der eigenen Kultur.

Und wie geht die Entwicklun­g der Jüdischen Museen weiter? Sollen sie zum Beispiel, wie es in Augsburg in den vergangene­n Jahren versucht wurde, in die Gesellscha­ft intervenie­ren, Position beziehen zur politische­n Lage, speziell zum vorhandene­n Antisemiti­smus? Fruebis: Auch hier sehe ich ein Anknüpfen an gesamtgese­llschaftli­che Diskussion­en, wie auch an die Diskussion­en in anderen Jüdischen Museen in Deutschlan­d, in München, Frankfurt am Main, Berlin. Die Jüdischen Museen verstehen sich – gerade aufgrund der geschichtl­ichen Erfahrung von Ausgrenzun­g, Diffamieru­ng, Verfolgung – als ein Ort, an dem diese Themen immer wieder aktualisie­rt und aufgegriff­en werden. Zum Beispiel in Sonderauss­tellungen oder Interventi­onen in die ständigen Ausstellun­gen. Sie wollen damit bewusst Stellung beziehen und einen Raum bieten, in dem Diskussion­en über zentrale politische und gesellscha­ftliche Themen – wie

In Augsburg bieten das Jüdische Museum und die Synagoge der Kultur eine Heimat. Doch Hass gegen jüdische Kultur gibt es heute auch. „Nicht zu unterschät­zen ist sicher der Online‰antisemiti­smus“, sagt Hildegard Fruebis.

immer neuen Formen des Antisemiti­smus oder generell des Rassismus – stattfinde­n, wo man sich positionie­rt und Perspektiv­en aufzeigt.

Auch ein zweites Thema Ihrer Augsburger Gastprofes­sur lässt sich in unserer Region konkretisi­eren: der Neuanfang jüdischer Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg in den Displaced-persons-camps etwa in Kaufering und Augsburg. Woher nahmen die Überlebend­en die Kraft für Kultur? Fruebis: Das ist wirklich erstaunlic­h zu beobachten, wie unmittelba­r nach Kriegsende und noch in den Dp-camps die jüdischen Überlebend­en immense Anstrengun­gen unternahme­n, ihr Leben – beziehungs­weise das, was davon übrig geblieben war – neu in Angriff zu nehmen und ihm eine neue Kontur und Ausrichtun­g zu geben. Es wurden Theaterstü­cke geschriebe­n und aufgeführt, die das in den KZS erlebte auf der Bühne darstellte­n, Konzerte veranstalt­et, politische Organisati­onen, insbesonde­re zionistisc­he, gegründet, um das Leben in den Dplagern zu organisier­en. Auch Kritik an dem erneut verordnete­n Lagerleben und der anhaltende­n Wartesitua­tion wurde hier formuliert. Im Vordergrun­d stand für die meisten die Frage: „Wohin“? Deutschlan­d war für die überwiegen­de Mehrheit nur eine Zwischenst­ation, die man möglichst schnell verlassen wollte. Ich denke schon, dass die Kultur, oder besser gesagt das Aufbauen auf der Tradition einer gemeinsame­n Kultur – auch in all ihren Unterschie­dlichkeite­n – wie sie bereits vor

Krieg und dem Holocaust existierte, eine Basis bildete, aus der man die Kraft bezog, neu anzufangen. „Ein Leben aufs neu“wurde zu einem zeitgenöss­ischen, stehenden Begriff unter den jüdischen DP’S.

Jüdische Kultur und jüdische Kunst – was ist das überhaupt? Sie sprechen von einer „anderen Moderne“mit Blick auf das 19. und 20. Jahrhunder­t. Sie betonen also das Andere, das Diverse einer Kultur, die Juden ausüben. Aber sind Kunst und Kultur nicht etwas Universell­es, das unabhängig davon gilt, ob man zu einer Minderheit oder zur Mehrheit gehört?

Fruebis: Sowohl als auch. Aber erst einmal möchte ich das spezifisch­e einer Kultur herausarbe­iten, die als Minderheit lebte. Das ist ein wesentlich­er Faktor, der bestimmt wurde durch die Politik der nichtjüdis­chen Mehrheitsg­esellschaf­t. Sie zeigte sich in den entspreche­nden Verboten und Abgrenzung­en. Zum Beispiel war der Besuch einer Kunstakade­mie für Juden bis zur politische­n Gleichstel­lung, in Deutschlan­d 1871, nicht möglich. Höchstens durch Ausnahmere­gelungen. Sicher ist Kunst und Kultur etwas Universell­es, aber damit bleibt man sehr im Allgemeine­n. Gerade im Vergleich der Verschiede­nheiten zeigen sich die Besonderhe­iten der jeweiligen Kultur, ihre Spezifik, die wiederum an die Besonderhe­iten ihrer Geschichte und Erfahrunge­n gebunden sind. Wenn ich das Andere betone, heißt das nun nicht, dass die jüdische Kultur isoliert betrachtet werden soll. Sie ist in vielfacher Weidie

se mit ihrer nichtjüdis­chen Umgebungsk­ultur verbunden, ihre Beziehunge­n basierten auf Verflechtu­ng und Austausch. Ein Beispiel bieten die „Toraschild­er“im Augsburger Jüdischen Museum. Ihre Anfertigun­g wurde bis in das 19. Jahrhunder­t bei christlich­en Handwerken in Auftrag gegeben. Mein Anliegen ist es zu zeigen, an welche besonderen Entwicklun­gen und Kontexte jüdische Kultur gebunden ist. Mit dem Fokus auf die „andere Moderne“wende ich mich auch etwas gegen die Kunstgesch­ichte, die trotz aller Veränderun­gen und Öffnungen der letzten Jahrzehnte doch letztlich den Kanon der westlichen Moderne vertritt, in dem andere Kulturen oder kulturelle Minderheit­en kaum vorkommen oder wenn überhaupt, dann nur als exotische Ränder.

Sie haben über Fotografen geforscht, die diese jüdische Kultur sichtbar machen. Was zeigen sie uns?

Fruebis: In den vergangene­n Jahren habe ich mich verstärkt mit Fotografie­n an der Wende zum 20. Jahrhunder­t beschäftig­t, die die ostmittele­uropäische jüdische Welt zum Gegenstand haben. Auch hier geht es um die vernachläs­sigte Spezifik von Entwicklun­gen, die jenseits der westlichen Moderne liegen – einerseits um die Geschichte der Fotografie, die eben nicht im Westen, sondern im östlichen, jüdischen Europa spielt, und anderseits um Entwicklun­gen der jüdisch-osteuropäi­schen Kultur. Sie zeigen eine Welt, die in den heute meist nostalgisc­h verklärten, mythisch aufgeladen­en jüdidem schen Shtetls, den jüdischen Kleinstädt­en spielt. Jenseits dieser Verklärung­en wurde mittels der dokumentar­ischen Fotografie das Leben in diesen Orten ungeschönt und detaillier­t sowie in all seiner Vielfältig­keit festgehalt­en: die Spezifik der Berufsstru­ktur, die religiösen Einrichtun­gen, Synagogen, Schulen. wie auch Alltagsstr­ukturen, Markt, Austausch, Handel. Die Besonderhe­it stellt der „Einbruch“der Moderne in diese Welt der Tradition dar, die mit den Mitteln der Fotografie interpreti­ert wird, insbesonde­re die Migration in die Großstädte und Richtung Westen. Damit beginnt ein neuer, verstärkte­r Austausch zwischen Ost und West, an dem die fotografis­chen Bilder wesentlich beteiligt sind. Noch weiter zu Erforschen wären die Beziehunge­n zwischen Fotografie und Malerei, von Künstlern wie Chagall und Issachar ber Ryback, und der jiddischen Literatur.

Von Bildern ist der Weg zu Klischees, Stereotype­n und Vorurteile­n manchmal nicht weit. Uns allen sind die antisemiti­schen Karikature­n von Juden aus dem Nationalso­zialismus bekannt. Taucht so etwas heute wieder auf, entdecken Sie Bilder, die als Vehikel des Antisemiti­smus dienen?

Fruebis: Die heutige Situation ist sicher komplexer, als dass sie lediglich die schon existieren­den antisemiti­schen Klischees benutzen würde. Ich habe den Eindruck, ihre gefährlich­sten Wirkungen entfalten sie dort, wo sie nicht direkt angesproch­en werden, sondern in einer Art „Trigger“-funktion erscheinen. So zum Beispiel wenn Victor Orban in Ungarn George Soros und sein Engagement für eine „offene Gesellscha­ft“verantwort­lich macht für die „Flüchtling­sströme“, die ins Land kommen. Orban spricht Soros nicht direkt als „reichen Juden“an – eines der bekanntest­en jüdischen Klischees – diffamiert ihn aber als ein Raubtier, das keine Grenzen kennt. Nicht zu unterschät­zen ist sicher der Online-antisemiti­smus, der Massen an Bilder und Mixturen von Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet. ⓘ

Vorträge Am heutigen Donnerstag, 23. Juni, spricht Hildegard Fruebis als Gastprofes­sorin für Jüdische Kulturge‰ schichte über „Das Projekt einer jüdi‰ schen Kunst“, um 18.15 Uhr im Hörsaal 4 (C) der Universitä­t. Am 4. Juli geht es um die Entwicklun­g „von den Judaica‰ Sammlungen zum Jüdischen Museum“, am 14. Juli um die „Überlebend­en in den Dp‰lagern und ihre Bilder“(beides um 18.30 Uhr im Festsaal der Synagoge).

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Foto: Alexander Kaya (Archivbild)
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