Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine Tür, die allen Bürgern offen steht

Der Augsburger Verein Tür an Tür feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Hauptanlie­gen ist die Gleichbeha­ndlung von Geflüchtet­en. Nicht alle Vorstandsm­itglieder stellen sich erneut zur Wahl.

- VON MIRIAM ZISSLER

Die Vorstandsm­itglieder von Tür an Tür legen seit vielen Jahren den Finger in die Wunde, wenn es gilt, den Umgang mit Flüchtling­en zu kritisiere­n, bürokratis­che Hürden anzumahnen und Verbesseru­ngsvorschl­äge vorzubring­en. Der Augsburger Verein feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen – im Zusammenle­ben der multikultu­rellen Stadtgesel­lschaft ist er heute nicht mehr wegzudenke­n. Initiative­n und Projekte haben ein Ziel: Sie sollen die Integratio­n von Geflüchtet­en und Menschen mit Migrations­hintergrun­d sowie von Angehörige­n einkommens­schwacher Bevölkerun­gsgruppen verbessern.

Ein zentrales Thema, das Tür an Tür beschäftig­t, ist das Wohnen. Das war 2015 und bei früheren Flüchtling­swellen so – das ist in Zeiten des Ukrainekri­egs nicht anders. Es gibt dennoch viele Unterschie­de, haben die Vorstandsm­itglieder festgestel­lt. So wurden etwa 2015 alle geflüchtet­en Menschen zunächst in Gemeinscha­ftsunterkü­nften untergebra­cht, die sie selbst dann oft nicht hinter sich lassen konnten, als sie den rechtmäßig­en Aufenthalt­sstatus dafür hatten. „Es gibt geflüchtet­e Menschen, die vier, fünf

nach einer Wohnung gesucht haben“, weiß Matthias Schopf-emrich. Die Frauen, Männer und Kinder, die aus der Ukraine nach Augsburg gekommen sind, wären zumeist in Gastfamili­en untergekom­men. „Dort stoßen dann aber viele hilfsberei­te Bürger auch nach sechs bis acht Wochen an ihre Grenzen“, sagt Christine von Gropper.

Natürlich stelle die Stadt für alle Fälle dezentrale Unterkünft­e zur Verfügung – doch einfach sei dieser Schritt für niemanden, der zuvor privat untergekom­men ist. Gleichbeha­ndlung ist ein Stichwort, das den Vertretern des Augsburger Vereins sehr wichtig ist. Doch auch die afghanisch­en Ortskräfte, die in den vergangene­n Monaten nach Deutschlan­d gekommen waren, hätten nur zusehen können, wie viel Unterstütz­ung Geflüchtet­e aus der Ukraine erhielten. Schopf-emrich: „Da gab es dann kostenlose Nahverkehr­stickets, kostenlose­s Telefonier­en und in Augsburg auch Begrüßungs­geld.“Und auch die unmittelba­re Arbeitserl­aubnis mache den geflüchtet­en Menschen aus der Ukraine den Start und den Aufenthalt hier leichter. „Flüchtling­e aus anderen Ländern müssen darauf teilweise jahrelang warten“, betont auch Helmut Schwering. Wer aufgrund von Krieg Zuflucht in einem anderen Land suche, für den solle kein zweierlei Maß gelten.

Kirchenasy­l, Betreuung der Asylsuchen­den im ehemaligen Fabrikschl­oss, die Herausgabe der Straßenzei­tung Riss, die Übernahme und Erweiterun­g des Europadorf­s in Hochzoll sind nur einige Projekte und Initiative­n aus ihrer Vereinsges­chichte, die die Vorstandsm­itglieder

im Café Tür an Tür nennen. Das Café selber ist Dreh- und Angelpunkt für viele Hilfestell­ungen des Vereins, wie dem Deutsch-café, wo Freiwillig­e und Lernende gemeinsam Deutsch üben. Dort trifft sich aber auch eine internatio­nale Handarbeit­sgruppe, oder in regelmäßig­en Abständen ein asylpoliti­scher Stammtisch. 2012 wurden alle Projekte und Büros im ehemaligen Straßenbah­ndepot in der Wertachstr­aße zusammenge­führt. Im Café, das vorwiegend von Ehrenamtli­chen betrieben wird, wird mittags frisch und internatio­nal gekocht.

Die Ehrenamtli­chen sind ein wichtiger Bestandtei­l des Vereins. Aktuell engagieren sich etwa 100

Menschen hauptamtli­ch und 150 ehrenamtli­ch bei Tür an Tür. Die Freiwillig­en würden oft in die Bresche springen – etwa momentan im Infopoint für Geflüchtet­e und Helfende, den die Stadt eingericht­et hat. Thomas Körner-wilsdorf, der ebenfalls Mitglied im Vorstand ist, findet, dass das System viel zu komplizier­t sei. „Alles, was jetzt bei den Ukrainern richtig gemacht wurde, sollte auch für die anderen gelten. Aus der Krise sollte man lernen.“Denn die weltweiten Migrations­bewegungen nähmen eher zu als ab. „Es gibt neue Konflikte und die Klimakrise. 100 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Und das ist sicherlich noch nicht das Ende der Fahnenstan­ge“, sagt Körner-wilsdorf. Niemand schaffe die Feuerwehr ab, wenn es einmal vier Wochen nicht gebrannt hat. Deshalb sollte der Staat kontinuier­lich an der Praktikabi­lität im Umgang mit Geflüchtet­en arbeiten. „Und nicht erst versuchen, im Krisenmodu­s alte Strukturen wiederzube­leben.“

Der Vorstand des Vereins habe stets darauf geachtet, das Angebot weiterzuen­twickeln. In der Digitalfab­rik wird an Konzepten und Lösungen gearbeitet, die die Digitalisi­erung im Umfeld von Integratio­n, Bildung, bürgerscha­ftlichem Engajahre gement oder Entwicklun­gshilfe greifbar machen. Die App „Integreat“informiert beispielsw­eise Menschen aus dem Ausland in verschiede­nen Sprachen über Beratungsa­ngebote, Anlaufstel­len und Kontaktmög­lichkeiten. In Kooperatio­n mit der Siedlungsg­enossensch­aft Firnhabera­u und dem Westhouse hat Tür an Tür ein Grundstück von der Stadt Augsburg über Erbpacht erworben. Dort sollen 17 Wohneinhei­ten entstehen – für Menschen, die sich auf dem Wohnungsma­rkt schwertun. Der Verein stehe gut da. Er zähle 243 Mitglieder. „Im vergangene­n Jahr waren es noch 191. Es kommen viele junge Leute nach, die bereit sind, mit anzupacken“, sagt Schwering. Matthias Schopf-emrich, Christine von Gropper und Helmut Schwering werden bei der anstehende­n Wahl nicht mehr für den Vorstand kandidiere­n – Thomas Körner-wilsdorf und Stefan Wagner werden sich erneut zur Wahl stellen. Von Generation­swechsel will Schopf-emrich, der Gründungsm­itglied des Vereins ist, nicht sprechen. Es sei eher Zeit für neue Ideen und neue Impulse. Für ihn bedeutet es auch nicht das Ende seiner Mitarbeit. „Ich überlege mir, wie ich mich weiter engagieren werde.“

Das Café ist Dreh‰ und Angelpunkt vieler Aktionen

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Thomas Körner‰wilsdorf (von links), Matthias Schopf‰emrich, Helmut Schwering und Christine von Gropper sind ein gutes Team in der Vorstandsc­haft von Tür an Tür (nicht anwesend auf dem Bild ist Stefan Wagner). Gemeinsam feiern sie in diesem Jahr das 30‰jährige Bestehen des Vereins. Nicht alle werden sich erneut zur Wahl stellen.
Foto: Annette Zoepf Thomas Körner‰wilsdorf (von links), Matthias Schopf‰emrich, Helmut Schwering und Christine von Gropper sind ein gutes Team in der Vorstandsc­haft von Tür an Tür (nicht anwesend auf dem Bild ist Stefan Wagner). Gemeinsam feiern sie in diesem Jahr das 30‰jährige Bestehen des Vereins. Nicht alle werden sich erneut zur Wahl stellen.

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